Menstruation im Leistungssport
Wie lässt sich der Zyklus aus der Tabuzone holen?

Es gilt als eines der letzten Tabus im Sport: die Menstruation. Aber inzwischen sprechen immer mehr Top-Athletinnen öffentlich über ihren Zyklus. Sichtbarkeit ist ein erster Schritt, aber es braucht mehr, um den Zyklus aus der Tabuzone zu holen.

Von Sabine Lerche | 03.08.2024
Eine Frau greift nach Slipeinlagen in einer Sporttasche. Daneben liegt ein Fußball. Das einstige Tabuthema Menstruation bekommt auch im Frauenfußball immer mehr Aufmerksamkeit.
Die Menstraution ist im Sport immer noch ein Tabuthema. (picture alliance / dpa / Pia Bayer)
"Bei einer Trainingskameradin, die hatte, während sie ihre Periode hatte, immer deutlich Probleme. Also hat sie an dem Wochenende keinen Wettkampf gemacht, weil man wusste, das bringt gar nichts. Und dann läuft es nicht, und dann ist man frustriert", sagt die ehemalige 400-Meter-Läuferin Ruth Sophia Spelmeyer-Preuß. Unterleibskrämpfe, Kopfschmerzen, Müdigkeit, dazu die Angst, dass Tampon oder Binde doch schlecht sitzen, es Flecken gibt und alle könnten es sehen. "Besonders junge Athletinnen und man wird vielleicht überrascht und weiß noch gar nicht, wie das funktioniert, hat nichts dabei und traut sich aber auch nicht, zu fragen."
Yvonne van Vlerken meint: "Da kommt natürlich eine brutale Unsicherheit ins Spiel, wenn du deine Periode hast und du musst eine weiße Hose tragen." Genau deshalb ist sie Trainerin geworden, um den weiblichen Zyklus aus der Tabuzone zu holen: "Ich merke das auch mit neuen Athletinnen, wo ich dann anfange mitzuarbeiten, dass die da irgendwie das erstmal durchbrechen müssen. Aber danach geht das dann schon besser. Und eigentlich in diesen Zeiten darf es nicht mehr sein. Also wir haben da noch sehr viel Arbeit zu tun."

Zyklusbasiertes Training und Zyklusstörungen vermeiden

Van Vlerken trainiert ihre Athletinnen auch zyklusbasiert. Denn nicht nur die Monatsblutung kann psychisch und durch Begleitsymptome auch körperlich die sportliche Leistungsfähigkeit einschränken. Der gesamte weibliche Zyklus hat einen Einfluss darauf, wie leistungsfähig ein Körper ist und wie die körperlichen Funktionen gerade zusammenarbeiten. "Grundsätzlich ist es so, wenn ich eine Athletin unter meine Flügel nehmen, dann ist die höchste Priorität, also die Regel Nummer eins ist, dass wir über alles sprechen können. Und wenn sie nicht dafür offen ist, um über dieses Thema zu sprechen, dann coache ich sie sowieso nicht."
Yvonne van Vlerken während einer Trainingssession.
Die niederländische Triathletin und Duathletin Yvonne van Vlerken trainiert ihre Athletinnen zyklusbasiert. (privat)
Van Vlerken will verhindern, dass sich ihre Geschichte bei ihren Athletinnen wiederholt: Als niederländische Triathletin und Duathletin hat sie mehrmals den Ironman gewonnen, bei der Challenge Roth sogar einen Weltrekord aufgestellt. Während ihrer aktiven Zeit hatte sie aber durch das intensive Training und durch Energiedefizite jahrelang keinen Zyklus - mit gravierenden Folgen: Neben massiver gesundheitlicher Probleme ist auch ihr Kinderwunsch unerfüllt geblieben.
"Ich bin einfach doch jedes Jahr wieder zum Frauenarzt, weil ich habe eigentlich gewusst, dass da was nicht stimmt und dass das nicht gut ist. Und ich werde auch immer noch böse darüber. Neun von zehn Frauenärzte oder wo man denkt, Spezialistinnen, die das wissen sollten, dass da einfach das gleiche Antwort kommt: Nö, ist nicht so schlimm, wenn du weniger Sport machst oder hörst auf, dann kommt das von selber zurück. Und verdammt noch mal, das stimmt nicht, und das hab ich gesehen mit so vielen Mädchen."
"Oder das ist auch bei vielen: Ja, gut, ich kriege meine Tage halt nicht, dass das einfach so in Kauf genommen wurde. Und dass man sich keine Sorgen macht, sondern denkt, ah okay, dann habe ich mich richtig angestrengt", erzählt die ehemalige 400-Meter-Läuferin Ruth Sophia Spelmeyer-Preuß. Kurzfristig erscheint ein Ausbleiben der Monatsblutung sehr praktisch, langfristig kann es aber zu Folgebeschwerden kommen - beispielsweise Osteoporose, Schlafprobleme, unerfüllter Kinderwunsch.

Subjektives Empfinden der Athletinnen in Trainingsplanung einbeziehen

Deshalb appelliert die zweimalige Olympia-Teilnehmerin an die Trainer, den Zyklus der Athletinnen abzufragen. Van Vlerken schlägt sogar vor, den Zyklus zu tracken. Sie erstellt für ihre 16 Athletinnen auf Basis des Zyklus individuelle Trainingspläne. Viel Aufwand, der nicht in jeder Trainingsgruppe umsetzbar ist.
Leichtathletin Spelmeyer-Preuß hat nie zyklusbasiert trainiert. Wichtig ist ihr, dass das subjektive Empfinden der Athletinnen einbezogen wird: "Wenn ich gesagt habe, heute geht es nicht, dann war das auch okay so und dann wurde nicht rumdiskutiert. Also, dass man halt auf jeden Fall diese Überlegungen mit einbezieht und offen dafür ist, auch mal ein Training umzuschmeißen. Das, finde ich, ist ja Grundlage. Irgendwie ist es ein Muss."
Yvonne van Vlerken beim Marathon in Würzburg.
Yvonne van Vlerken beim Marathon in Würzburg. (privat)
In einer Studie am IAT, dem Institut für Angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig, kam heraus, dass nur 22 Prozent der befragten Athletinnen mit ihrem Trainerteam über ihren Zyklus sprechen. Um die Thematik aus der Tabuzone zu holen, könne es schon helfen, wenn offen damit umgegangen wird und Vereine auf vermeintliche Kleinigkeiten achten: gute sanitäre Anlagen, Hygieneprodukte, auf die man unkompliziert zugreifen kann, auch Trikots mit dunklen oder weniger ausgeschnittenen Hosen.

Fachkundige Ansprechpersonen fehlen

Was die Studie auch zeigt: Es fehlt insgesamt an Wissen über den weiblichen Zyklus, sowohl bei Athletinnen als auch bei Trainern und Trainerinnen.
Spelmeyer-Preuß ergänzt noch ein weiteres Problem: Es gebe zu wenig Ansprechpersonen, die über die Schnittstelle Sport und Menstruationszyklus Bescheid wissen. Während ihrer aktiven Zeit war der Leistungssport beim Frauenarzt kein Thema. Andersherum war bei Sportuntersuchungen der Zyklus kein Thema. "Dass das nicht jeder Sportmediziner abdecken kann, ist auch irgendwo klar, aber du musst halt Kontakte haben", sagt sie.
Zum Beispiel in Form einer Kontaktliste mit Spezialisten auf dem Gebiet, die die Verbände den Athletinnen bei Bedarf anbieten können. "Irgendwie gibt es da ein Loch in dem Markt wie ein Sportgynäkologen oder so, wo man die ganzen Mädels hinschickt. Weil unterschätzt das nicht: eine von drei Athletinnen, egal ob Amateur oder Profi, hat Probleme mit dem Zyklus, hat Zyklusstörungen oder gar kein Zyklus. Eins auf drei Mädels!"
Van Vlerken gibt ihr Wissen auch auf Vorträgen weiter. Vieles habe sich in den letzten Jahren schon getan, es brauche aber noch mehr Infoveranstaltungen und Workshops, eine Aufbereitung wissenschaftlicher Daten für die Praxis, betont Spelmeyer-Preuß, und offenen Austausch: "Je mehr drüber gesprochen wird, desto normaler ist es. Und dann schämt man sich vielleicht auch weniger."