Mentale Gesundheit
Die Suche nach innerer Balance in Politik und Aktivismus

Für politisch engagierte Menschen sind Anfeindungen, Terminhatz und Konkurrenzkampf Alltag. Wer nicht auf sich aufpasst, landet schnell im Burn-out. Welche Wege haben Aktivistinnen und Betroffene aus der Spitzenpolitik gefunden, um damit umzugehen?

20.06.2024
Archivbild: Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern umarmt innig eine nicht erkennbare Frau. Momente zuvor hatte sie wegen Erschöpfung ihren Rücktritt erklärt. Ort: War Memorial Hall, in Napier, Thursday, January 19, 2023.
Sichtbare Erleichterung: Neuseelands Premierministerin Ardern nach ihrer Rücktrittserklärung 2023 (IMAGO / AAP / IMAGO / BEN MCKAY)
"Was sind eigentlich Dinge, die ich schon immer mal machen wollte?" – sich darüber Gedanken zu machen, gibt der Politikerin Antje Kapek neue Kraft und Zuversicht. „Erst vor einem halben Jahr habe ich damit angefangen, mir das zu überlegen“, erzählt die 47-Jährige, die für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt.
Noch sitzt. Denn 2022 war sie kurz davor, politisch alles hinzuschmeißen. „Es war eine Aneinanderkettung von Dingen, wo ich gemerkt habe, egal, wie viel ich gebe, es reicht niemals aus.“ Innerhalb weniger Stunden fasste Kapek den Entschluss, kürzerzutreten. „Das war hart“, betont sie.

Bis an die Grenze gegangen

Auch die Umwelt-Aktivistinnen Helena Marschall und Mona Bricke kennen das Gefühl über längere Zeit zu viel gegeben zu haben. Bricke berichtet, wie sie eines Tages ihren Laptop aufklappte, aber keine Inhalte mehr aufnehmen konnte. „Es war so eine Art Bildschirm-Blindheit. Mein Körper, meine Psyche hat mir da die notwendige Grenze gesetzt.“
Marschall, die 2018 noch als Schülerin die ersten Fridays-for-Future-Demos organisierte, erklärte Anfang 2022 via Instagram, dass sie eine Pause braucht. „Ich bin ganz oft diesem Bild begegnet von einem Becher: Man ist ein Becher und kann ganz viel von sich geben. Und wenn der Becher leer ist, kann man halt nicht mehr.“

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Politisch Engagierte haben ein erhöhtes Burn-out-Risiko

Warum ausgerechnet in der Politik die Gefahr eines Burn-outs erhöht ist, erklärt Psychotherapeutin Katharina Simons aus Berlin. Grund seien einerseits die verschiedenen Interessensgruppen, die sehr widersprüchliche Anforderungen stellten. Andererseits der meist hohe eigene Antrieb von Politikern oder Aktivistinnen, etwas bewirken zu wollen. Das könne in die totale Erschöpfung führen. „Da war manche Handlungsmotivation stärker als die selbstfürsorgliche. Und da wurde dann systematisch oder chronisch immer wieder über Grenzen hinweggegangen.“
Diese Überlastung durchzieht alle Geschlechter, Altersgruppen, alle politischen Ebenen und Institutionen. CDU-Generalsekretär Peter Tauber verabschiedete sich mit Verweis auf seine Gesundheit von seinem Spitzenamt, Michael Roth von der SPD und Sahra Wagenknecht, damals noch bei der Linkspartei, nahmen sich eine Auszeit von der Bundespolitik.
Für manche geht es gar nicht weiter: Prominentestes Beispiel ist Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern, die 2023 erklärte „nicht mehr genug im Tank“ zu haben und ihr Amt niederlegte. Auch die ehemalige FDP-Politikerin Katja Suding erreichte den Punkt, an dem es für sie nicht mehr weiterging. Sie gab die Ämter als Landeschefin der Liberalen in Hamburg ab, den stellvertretenden Bundesvorsitz und kandidierte nicht mehr für ein erneutes Bundestagsmandat. Sie stieg komplett aus der Politik aus und veröffentlichte das Buch „Reißleine“.

Handwerkszeug für mentale Gesundheit kann helfen

Aktivistin Helena Marschall hat sich anders entschieden. Sie kehrte zu ihrem Engagement bei Fridays for Future zurück. Auch Politikerin Antje Kapek stieg nicht ganz aus, musste sich in ihrer Auszeit aber erst mal neu aufstellen: „Ich habe mir ein Dampfbügeleisen gekauft, mit dem ich irgendwie aussortiert und alles gebügelt habe. Ich habe Möbel lackiert und dann angefangen mich ganz viel mit Menschen zu treffen.“ Kapek entschloss sich schließlich ihr Amt als Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses zu behalten - ohne Fraktionsverantwortung.

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Beide haben in ihren Pausen viel gelernt, ziehen jetzt klare Grenzen bei Arbeitszeiten, suchen Ausgleich in der Freizeit und versuchen, ihre Erkenntnisse in ihre Gruppen zu tragen.
In der Balance zu bleiben sei machbar, betont auch Psychotherapeutin Katharina Simons. Mit dem Verein „Psychologists for Future“ berät sie Engagierte zum Thema mentale Gesundheit. „Da gibt es unglaublich viele kleine Dinge, die man machen kann“, erklärt Simons, angefangen bei so simplen Tipps wie auf genügend Schlaf zu achten.
Es gebe „Handwerkszeug“ für mentale Gesundheit, davon ist auch Aktivistin Mona Bricke überzeugt. Die Lehren aus ihrer persönlichen Krise gibt sie inzwischen in Gruppen-Workshops weiter. Sie sagt: „Ich will das mein Leben lang machen können. Und ich möchte, dass andere Leute das auch können.“
jk