Archiv

Mentoring im klassischen Musikbetrieb
Gut gesungen – gut gelehrt?

Schon als Jugendliche hat die Mezzosopranistin Ute Florey ihre pädagogische Ader entdeckt. Heute unterrichtet sie als Professorin für Gesang an der Universität der Künste in Berlin. Augenhöhe, Echtheit und Natürlichkeit sind für sie wichtige Werte im Unterricht.

Ute Florey im Gespräch mit Christoph Vratz |
Ein Schwarzweißbild einer Frau mit dunklen Haaren, die freundlich in die Kamera lächelt. Der Hintergrund ist verschwommen.
Ute Florey studierte Gesang bei Peter Maus und Liedinterpretation bei Dietrich Fischer-Dieskau. (Ute Florey)
Christoph Vratz: Kann man im Fach Gesang auch von guten Lehrern und schlechten Lehrern sprechen?
Ute Florey: Ich würde sagen ja, aber nicht generell. Ich glaube, es gibt gute Lehrer für bestimmte Menschen. Es gibt schlechte Lehrer für bestimmte Menschen. Wichtig ist, wie und wann, in welchem Lebensstadium man aufeinander trifft.
Christoph Vratz: Zunächst zu Ihnen: Sie sind eine Sängerin, die unter vielen prominenten Dirigenten gesungen hat, große prominente Auftritte hatte. Und Sie unterrichten heute. Warum?
Ute Florey: Ich muss dazu sagen, dass ich nicht erst seit heute unterrichte, sondern dass ich eigentlich mein ganzes Leben lang schon unterrichtet habe. Ich würde sagen, ab dem Alter von 14 Jahren. Zwar nicht nur Gesang, sondern auch Gitarre und Klavier. Aber dass ich wirklich glaube, eine pädagogische Ader zu haben. Und innerhalb des Werdegangs einer jeden Sängerin gibt es natürlich diesen Moment, wo man altert und wo man weiß, dass man in Zukunft nicht mehr diese Leistung wird bringen können, die man noch vor zwanzig Jahren gebracht hat. Deswegen habe ich mich schon sehr frühzeitig entschieden, einen Lehrauftrag anzunehmen, während meines Engagements am Stadttheater Wiesbaden. Und das hat mir sehr viel Freude bereitet und hat mich, glaube ich, auch bestärkt darin, dass ich eventuell noch weitergehen kann und mich auf eine Professur irgendwann bewerben werde.

Lehrer als Orientierungshilfe

Christoph Vratz: Wenn ich behaupten würde, ein guter Lehrer ist gleichzeitig auch – gerade im Bereich der Musik – ein guter Mentor. Würden Sie mir zustimmen?
Ute Florey: Ja, ich stimme Ihnen zu, Herr Vratz. Ich muss dazu sagen, ich habe das in meiner eigenen Ausbildung auch vermisst. Das war damals, glaube ich, noch nicht so gang und gäbe, zumindest am Anfang meiner Ausbildung. Aber man muss sich als Studentin ja ziemlich bald zurechtfinden können in einem neuen Umfeld. Man muss jemanden haben, der einem zeigt, wohin man sich wendet, wo man sich verorten kann, vernetzen kann. Und dazu ist ein Lehrer auch der richtige Ansprechpartner, weil er die Struktur der Hochschule kennt, weil er einen mit anderen Menschen in der Klasse oder aus anderen Fachbereichen zusammenbringen kann und dadurch ermöglicht, dass man seine Fühler ausstreckt und sich langsam in die Zukunft hineinbewegen kann.

Begegnung auf Augenhöhe

Christoph Vratz: Wenn ich jetzt Student wäre und eine solche Richtung wählen wollen würde und ich stünde in der Hochschule und müsste mich erst einmal orientieren. Woran kann ich merken, dass ich an einen guten Lehrer geraten bin? Dass ich an jemanden geraten bin, der mich auch richtig einschätzt, richtig berät und meine Stimme entsprechend formt?
Ute Florey: Das kann ich, glaube ich, erst in dem Moment, wo ich jemandem zugeteilt werde. Das heißt, ich kann mich natürlich vorher informieren. Ich kann anfragen: Darf ich mal bei Ihnen hospitieren? Darf ich Ihnen mal vorsingen? Was denken Sie denn? Würden Sie mit mir arbeiten wollen? Das kann ich alles im Vorfeld tun. Allerdings, wenn ich bedenke, wie viele Menschen sich bewerben... Und wir unterrichten ja nicht nur Menschen, die im Hauptfach Gesang auf Lehramt studieren, sondern alle müssen im Nebenfach Gesang studieren, das sind dann 160 Bewerbungen im Jahr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich die alle vor der Eignungsprüfung überhaupt anhören kann. Das schaffe ich zeitlich nicht. Aber ich denke, dass die Studierenden sehr schnell merken werden, ob sie mit einem Lehrer oder einer Lehrerin zurechtkommen. Und zwar aus folgenden Gründen: Wenn ich in den Unterricht gehe, freue ich mich darauf? Empfängt mich jemand quasi auf der gleichen Augenhöhe, fragt mich, wie es mir geht? Sagt mir, warum eine Übung sinnvoll für mich ist, warum ich mich jetzt einsingen sollte, was mit dieser Übung bezweckt wird? Kann sie mir erklären, diese Person, ob mich das voranbringt und warum es mich voranbringt? Und letztendlich: Bin ich dann begeistert, wenn ich anfange, mich selbst zu hören? Mich klingen zu hören, mich wahrzunehmen mit etwas, das ich vorher vielleicht noch nicht so konnte?
Mentoring im klassischen Musikbetrieb Ein Wettbewerb kann die Karriere voranbringen, aber auch bitter enttäuschen. Pianist Markus Groh ermutigt junge Musiker darin, Wettbewerbe auch einmal zu ignorieren.
Christoph Vratz: Woran merke ich als praktizierender Musiker, eventuell auch als hoch erfolgreicher und dekorierter Musiker, dass in mir tatsächlich auch ein pädagogisches Talent schlummert?
Ute Florey: Das hat damit zu tun – und ich rede jetzt wirklich einfach mal von mir –, dass die Menschen auf mich zugekommen sind, weil sie gespürt haben, dass da irgendetwas Natürliches und Echtes auf sie zukommt und dass sie eben keine Angst haben müssen. Und ich habe gemerkt, ich möchte gerne dem Menschen die Möglichkeit geben, sich so weit zu öffnen, wie er das möchte. Ich möchte das nicht ausnutzen, sondern ich möchte mit ihm zusammen hineinschauen, in den großen Schatz, der in seinem Inneren verborgen liegt. Das klingt jetzt ein bisschen blumig, ich meine das aber wirklich so. Und in der Auseinandersetzung über das, was man sozusagen als Drittes bearbeitet, zum Beispiel ein Lied mit Inhalt und mit Text, kann der andere seine Ideen sozusagen mir weitergeben. Ich kann sie reflektieren, wir können uns gegenseitig reflektieren. Ich kann versuchen, ihm zu sagen: Das könntest du in die Richtung entwickeln. Ich könnte nachfragen: Meint zum Beispiel das lyrische Ich in einem Lied das wirklich so, oder meint es das vielleicht so? Und auf einmal kommt man eben in eine sehr offene und freie Welt und arbeitet und ist einfach aktiv und da und verliert fast die Zeit über das, was man alles Schönes entdecken kann in einem Text oder in den Harmonien der Musik. Das Pädagogische ist etwas, dass ein Fluss entsteht und dass man gar nicht aufhören möchte miteinander dieses Dritte zu bearbeiten.