Ein älterer Herr ergreift das Wort. Dieser Mann weiß alles über Pflanzen. Oder vielmehr über Blumen. Ob Hollandstiefmütterchen, Lupinen, Kronwicken, Kamelien, Traubenhyazinthen, blaue Hortensien, getigerte Gauklerblumen, Cattleya oder Deutsche Schwertlilien, er hegt und pflegt seinen weitläufigen Garten über dem Meer, wo auch Magnolienbäume und Pinien wachsen und große Linden Schatten spenden. In seiner Redeweise ist er weder pompös noch auftrumpfend, eher verhalten und leise. Nebenbei entpuppt er sich auch noch als guter Beobachter.
"Ich habe schon immer gerne erfahren, was den Leuten so alles passiert, und das nicht etwa, weil ich neugierig wäre... Eher, weil ich Menschen mag, und die Besitzer dieses Hauses mochte ich sehr. Aber das ist alles schon so lange her, dass ich mich an vieles nicht mehr erinnere, ich bin zu alt und bringe manchmal die Dinge durcheinander, ohne es zu wollen... Wenn sie mit ihren Freunden zur Sommerfrische kamen, konnte ich mir die Filme im Excelsior sparen. Einer malte das Meer. Feliu Roca hieß er. Er hatte schon in Paris ausgestellt, und ich glaube, in Barcelona war er bekannt und hatte mit diesen weiten blauen Flächen viel Geld verdient. Er hatte das Meer auf alle möglichen Arten gemalt: ruhig und aufgewühlt, mit großen Wellen, mit kleinen Wellen. Grün, in der Farbe der Angst. Und grau, in der Farbe der Wolken. Seestücke."
"Der Garten über dem Meer" heißt Mercè Rodoredas wehmuts-durchdrungener Roman von 1967. Die katalanische Schriftstellerin war eine ausgewiesene Botanikerin, studierte Pflanzenbücher und kümmerte sich Zeit ihres Lebens mit großer Leidenschaft um ihre Gärten. Der Garten hat hier natürlich auch eine metaphorische Qualität. Ihr bescheidener Ich-Erzähler, der sich wegen seiner Vergesslichkeit gleich als unzuverlässig ausweist und den Leser indirekt zur Wachsamkeit aufruft, ist bei wohlhabenden Leuten in Katalonien angestellt. Obwohl die Besitzer ihr prächtiges Anwesen samt Dienstpersonal nur während der Sommermonate nutzen, darf der Gärtner das gesamte Jahr über den Park betreuen. Diskret streift er umher, bindet Wicken hoch, wässert Geranien, bekämpft Blattläuse. Dabei achtet er nicht nur auf das Gedeihen der Pflanzen, sondern registriert auch das Wuchern der menschlichen Beziehungen. Die Herrschaften schätzen seine unaufdringliche Allgegenwart, vielleicht machen sie ihn auch deshalb immer wieder zum Mitwisser ihrer Angelegenheiten.
Dienstboten sind Meister der Kommunikation
In jungen Jahren verwitwet und ohne Familienangehörige, scheint er sich in einem Zwischenreich zu befinden, bindungslos und selbstgenügsam, einer seiner robusteren Pflanzen ähnlich. Im Unterschied zu dem launischen Anschwellen und plötzlichem Abflauen der Gefühlsströme seiner Arbeitgeber ist der Gemütszustand des Gärtners beständiger. Er wird zum Gefäß der Dinge, die die sehnsuchtsgetriebenen Protagonisten nicht zu beherrschen wissen. Der Leser betrachtet den Erzähler aus einer doppelten Optik: Einerseits nimmt er ihn als einen eher neutralen Vermittler der Geschehnisse wahr, gleichzeitig bemüht er sich während der Lektüre fortwährend, seiner Natur auf die Schliche zu kommen. Allein dadurch entsteht ein spannungsreiches Spiel aus Vermutungen, Gerüchten, Fantasien und Tatsachen. Vordergründig betrachtet, handelt es sich bei "Der Garten über dem Meer" um eine Geschichte über die dekadenten Liebeshändel der Bourgeoisie, gesellschaftliche Aufstiegsträume und sozialen Ehrgeiz. Auf einer zweiten Ebene haben wir es aber auch mit einem Buch über die Natur des Sprechens, Hörens, Weitersagens, kurzum, über das Wesen der Kommunikation zu tun. Vor allem die Dienstboten sind darin Meister.
"Quima brachte es schließlich fertig, Mariona alles aus der Nase zu ziehen. Den Winter über hatte ich sie kaum zu Gesicht bekommen, aber an einem Sonntag kurz vor der Ankunft der Herrschaften hatte ich sie am Ausgang des Excelsiors getroffen und auf einen Kaffee bei Bergadans eingeladen. Sie hatte sich sehr gefreut. Sobald sie wieder in der Küche war, lud sie mich zum Vespern ein. Zwei Tage später ging ich hin. Sie war über alles Gute und Schlechte informiert, das sich in Barcelona ereignet hatte, und erzählte es mir in aller Ausführlichkeit. Sie hatte alles von Mariona erfahren, die vieles gesehen hatte und anderes von Miranda wusste. Ich vermute, die beiden hatten ständig die Ohren an den Türen."
So unbeteiligt der Gärtner tut - er ist äußerst neugierig und am besten informiert. Die katalanische Schriftstellerin Mercè Rodoreda, 1908 in Barcelona geboren, pflegte eine Vorliebe für Gesellschaftstableaus, die vom Rande her in den Blick genommen werden. Obwohl sie selbst aus dem Bürgertum stammte und in gesicherten Verhältnissen inmitten von Literatur und Musik aufwuchs, gehörte ihre Sympathie denjenigen, die keine Privilegien besaßen. Als sie 1959 mit der Arbeit an dem Manuskript ihres Romans "Der Garten über dem Meer" begann, lebte sie im Exil, hatte 20 Jahre lang geschwiegen, gerade erst ihr Hauptwerk "Auf der Plaça del Diamant" abgeschlossen und auch sonst einiges hinter sich. Nach dem Tod ihres hochgebildeten Großvaters, der prägenden Figur ihrer Jugend, war sie schon als Zwanzigjährige in eine Ehe mit ihrem 14 Jahre älteren Onkel geschlittert, einem reichen Herrn, der großen Wert auf Konventionen legte. Dass sie die Vitalität ihrer Herkunft mit einem gravitätischen Ehefrauendasein vertauscht hatte, bereitete ihr schon bald Verdruss. Nach der Geburt ihres Sohnes wollte sie unabhängiger werden, schrieb Erzählungen, veröffentlichte 1932 ihren ersten Roman und begann im Jahr darauf, als Kolumnistin für eine Zeitschrift zu arbeiten. Ihre Ehe ging in die Brüche, und sie verwickelte sich, so wurde zumindest unter den Intellektuellen kolportiert, in eine Liebesgeschichte mit dem Revolutionsführer Andrés Nin, der sich mit den moskautreuen Kommunisten überworfen hatte, auf der republikanischen Seite kämpfte und im Juni 1937 von Stalinisten verschleppt und ermordet wurde.
Erst nach hundert Seiten gewinnt der Roman an Fahrt
Dass sie auf Katalanisch schrieb und in bestimmten Kreisen verkehrte, machte sie für die Franquisten verdächtig, weshalb sie 1939 ins Exil nach Frankreich ging. Ihren Sohn ließ sie bei ihrer Mutter zurück. Es folgten Stationen in Paris, Limoges, Bordeaux und eine weitere komplizierte Liebesgeschichte mit dem Schriftsteller Armand Obiols, der über Jahre zwischen ihr und seiner Ehefrau schwankte, was den gesamten Emigrantenzirkel spaltete. Während des Krieges schlug sich Rodoreda als Näherin durch. 1946 kehrte sie nach Paris zurück, zog mit Obiols nach Saint-Germain-des-Prés, nahm trotz prekärer Gesundheit ihre Mitarbeit bei Zeitschriften wieder auf und traf Kollegen wie Julio Cortázar und Jorge Semprun. Sieben Jahre später ließ sie sich gemeinsam mit Obiols, der als Dolmetscher bei der UNESCO beschäftigt war, in Genf nieder, wo sie bis zu dessen Tod blieb und erst 1971 nach Katalonien zurückkehrte.
"Der Garten am Meer" hat im Unterschied zu ihrem 1962 erschienenen Hauptwerk "Auf der Plaça del Diamant" nicht den Bürgerkrieg zum Gegenstand, sondern trägt sich eher im Windschatten der Geschichte zu, zumindest auf den ersten Blick. Der Handlungszeitraum könnte sich auf die späten Zwanzigerjahre erstrecken; von politischen Ereignissen ist nie die Rede. Dennoch wetterleuchtet etwas Unspezifisches am Horizont, Veränderungen deuten sich an, auch scheint alles von einem Gefühl der Zeitenwende durchdrungen, obwohl der Gärtner unbeirrbar am Zyklus der Jahreszeiten festhält und die menschlichen Zerwürfnisse sechs Sommer lang in den biologischen Kreislauf von Werden und Vergehen aufnimmt. Das Romanpersonal lässt sich in zwei deutlich voneinander geschiedene Gruppen unterteilen: Auf der einen Seite stehen die bourgeoisen Besitzer der Villa und ihre Freunde. Neben dem Maler Feliu mit seinen immer gleichen Meeresbildern gibt es den Inhaber des Hauses Senyoret Francesc und dessen Frau Rosamaria, die ihre Freundinnen Eulàlia und Maragda mitbringt. Die andere Gruppe ist die der Dienstboten: neben dem Gärtner noch die Köchin Quima, das Zimmermädchen Mariona sowie der Stallmeister Toni.
Die Dramaturgie des Romans funktioniert so, dass eine dritte Gruppe zwischen diesen beiden Gesellschaftsklassen hin- und herwechselt, was jedes Mal einen Wendepunkt oder eine Zäsur bedeutet. Von sozialem Ehrgeiz getrieben, bändelt ein weiteres Hausmädchen namens Miranda, eine dunkelhäutige Schönheit aus Brasilien, mit verschiedenen Männern an und heiratet am Ende sogar in die andere Schicht ein. Die Nähe zu den Bediensteten suchen der Nachbar Senyor Bellom, in den Kolonien schwer reich geworden, sein Schwiegersohn Eugeni, der ursprünglich aus bescheidenen Verhältnissen in Barcelona stammt, und der in Afrika lebende Ehemann von Eulália Senyoret Sebastiá. Auf der Handlungsebene ähnelt der Roman zunächst dem Meer mit seinen Gezeiten: Die jungen Herrschaften, die keinerlei Zwängen zu unterliegen scheinen, vertreiben sich die Zeit mit Wasserski und Reiten, sie veranstalten Abendessen und dann und wann ein Fest. Die Erzählweise ist flächig und wenig zielgerichtet, wie Gemälde reihen sich die Szenen aneinander, von der Hitze des Sommers und den Aromen der Pflanzen durchströmt, die man auch als Leser unmittelbar wahrzunehmen scheint.
Erst nach knapp hundert Seiten gewinnt der Roman plötzlich an Fahrt, schürzen sich die Knoten. Die Herrschaften unternehmen gerade einen Ausflug, als zwei alte Leute auftauchen, die extra aus Barcelona angereist sind, um mit Senyoreta Rosamaria zu sprechen. Die junge Frau war nämlich früher ihre Nachbarin. Der Gärtner führt sie durch den prächtigen Besitz und zeigt ihnen seine Schätze.
"Sehen Sie hier die Ophelia... Wenn Sie im Mai gekommen wären, hätten Sie noch den Flieder sehen können, der steht dicht wie ein Wald: weiß, lila, violett und kardinalrot... Und der zweifarbige, wissen Sie? Und jeder Strauch füllt eine ganze Vase. Sehen Sie, ich kümmere mich um nichts anderes." Nachdem wir die Rosen angeschaut hatten, gingen wir zum Stall. "Wollen Sie mal die Pferde sehen?" Toni war nicht da. An seinen freien Tagen war er immer unterwegs. "Und was machen Sie mit diesen Riesenviechern.? "Wenn Sie sehen könnten, wie die laufen!... Der hier gehört Senyoreta Rosamaria. Er heißt Fletxa." "Was für ein Leben!" "Und so viel frische Luft! Wir haben Angst, dass sie uns alles zubauen." "In unserem Viertel werden viele Häuser gebaut." "Kennen Sie den Carrer de Ríos Rosas? Im Stadtteil Sant Gervais. Das ist eine sehr bekannte Straße." Senyora Paulina begann zu weinen, ganz leise. "Nicht weinen, Liebes, nicht weinen. Was soll denn der Herr hier dazu sagen? Komm, wir gehen raus, komm... Hier fühlt man sich beengt. Gehen wir an die Luft. Wissen Sie, warum sie weint? Weil sie denkt, dass unser Eugeni ihr das alles nicht hätte geben können... Gehen wir an die Luft." "Kommen Sie, kommen Sie." "Rosamaria hat so gern nähen gelernt und war gern bei Senyoreta Maragda, die ihr versprochen hatte, aus ihr eine Schneiderin zu machen", sagte sie. "Lass uns nicht darüber reden. Was geschehen ist, ist geschehen." "Wir haben Angst. Das ist es: Wir wollen es uns nicht eingestehen, aber wir haben Angst." "Die Angst", sagte er, "vergällt uns das Leben."
Die Liebe in all ihren Spielarten und Erscheindungsformen
Es geht um die Ehefrau des Besitzers, die, so schält sich aus den Redeschüben der alten Leute heraus, die große Liebe ihres Sohnes Eugeni gewesen war. Als Rosamaria, ausgestattet mit einem untrügerischen Sinn für die bessere Partie, entgegen ihrer Gefühle Senyoret Francesc geheiratet hatte, war Eugeni innerlich zerstört nach Lateinamerika gegangen, nicht ohne zu schwören, sie fünf Jahre später wieder aufzusuchen. Diese Zeit sei nun um, sagen die verzweifelten Eltern, die nichts von ihm gehört haben, und wollen wissen, ob es von Eugeni irgendeine Spur gibt. Allein über die Dialoge gelingt Rodoreda ein glänzendes Psychogramm des kleinbürgerlichen Paares, und auch der Charakter des Sohnes wird spürbar. Er scheint ein Liebesextremist zu sein, jemand, der sich hinein steigert in das eigene Unglück und wie Goethes Werther die Zurückweisung nicht erträgt. Genau wie der Gärtner gleitet auch der Leser in die Rolle des Deuters und denkt über den Subtext nach. Kurze Zeit später taucht der legendenumwitterte Eugeni tatsächlich auf, nur in ganz anderer Funktion als man hätte vermuten können: als Schwiegersohn des mit einem Neubau samt Schwimmbad auftrumpfenden Nachbarn Senyor Bellom. Eugeni schließt Freundschaft mit dem Ich-Erzähler, sucht ihn in seinem Häuschen auf und isst bei ihm zu Mittag. Wieder einmal wird der Gärtner zu einem überdimensionierten Ohr.
"Ich sah die Flasche an. Während ich den Kaffee gemacht hatte, hatte er vier Fingerbreit getrunken. "Wissen Sie, was die jetzt gerade tun?" Wer?" "Die da oben. Ich meine, die von hier und mein Schwiegervater. Sie wissen doch, dass ich einen Schwiegervater habe, oder? Also: Mein Schwiegervater sitzt in einem seiner Kuhfellsessel. Die sind mit dem Fell einer Kuh bezogen, die er persönlich ausgesucht hat, als sie noch lebte... Er hat mit dem Finger auf sie gezeigt, als sie an ihm vorüberzog, und gesagt: Die da. Und nachdem er die vorbeiziehende Kuh ausgesucht hatte, hat er gesagt: Jetzt bringt mir einen Schwiegersohn, damit ich meine Tochter verheiraten kann und sie keine alte Jungfer wird. Wir werden einen Schwiegersohn extra für meine Tochter anfertigen lassen: nicht zu dick und nicht zu dünn. Wenn er zu groß ist, stutzen wir ihn zurecht. Ist er zu dick, sägen wir ihn auf allen Seiten ab, bis er genau die richtigen Maße hat. Ist er zu dünn, mästen wir ihn mit Bohnen wie die Truthähne und sperren ihn in einen Käfig, bis er schön fett ist... Und die hier im Haus... Francesc liegt unter den Magnolienbäumen, raucht eine spannenlange Zigarre und sagt: Meine Frau ist meine Frau, und ich habe sie mir ausgesucht, weil sie die richtige Haut hat; den Typ Haut den es braucht, um die Brillanten, die ich ihr kaufe, erstrahlen zu lassen... Und dann stößt er eine Rauchwolke aus, dass es den armen Magnolienbäumen übel wird, die doch gar nichts dafür können... Und wissen Sie, was seine Freunde sagen? Wir sehen zu, dass wir uns bei den Bohigas einen möglichst netten Sommer machen. Und wissen Sie, was sie sagt?...."Dann schwieg er und trank einen kräftigen Schluck Kognak. "Solange die Toten auf dem Friedhof nur dafür sorgen, dass die Schnecken schön fett werden. Ihnen wünsche ich Glück. Nehmen Sie!"
Man ahnt es schon hier - es wird keine gute Wendung nehmen mit Eugeni. Trunken von Selbstentwertung, vergleicht er sich mit einem Stück Vieh, aber dass er sich auf den Handel mit seinem Schwiegervater eingelassen hat, um es der angebeteten Rosamaria heimzuzahlen und sich dabei seiner Frau gegenüber schuldig macht, bedenkt er in seinem gekränkten Narzissmus nicht. Das große übergeordnete Thema von "Der Garten über dem Meer" ist die Liebe in all ihren Spielarten und Erscheinungsformen. Rodoredas eigene Erfahrungen mit ihrer viel zu jung geschlossenen Ehe und der turbulenten Liaison mit Obiols, bei der sie immer wieder mit anderen Frauen konkurrieren musste, werden hineingespielt haben. Wer sich für Mercè Rodoredas mitreißenden Roman "Auf der Plaça del Diamant" begeistert hat, der vermisst hier vielleicht die historische Tiefenschärfe. Der Schriftstellerin war es dort gelungen, die Verheerungen des Bürgerkriegs über das Schicksal der Heldin auf bedrängende Weise zu vermitteln. Auch war die Sprache poetischer und aufgerauter gewesen und die erzählerische Struktur kühner.
Wie ein langer, Licht durchfluteter Sommertag
"Der Garten über dem Meer" wirkt abgeklärter und atmet die Ruhe eines Spätwerkes. Das Eindrucksvolle ist aber auch hier Rodoredas Fähigkeit, Stimmungen zu erzeugen. Wie leichter Nebel liegt die Trauer über allen Beteiligten, denn niemand kann sich zum Wagnis einer großen Liebe jenseits von Sozialprestige und Kalkül durchringen. Mehr als einmal kommt einem Henry James und sein ineinander verknotetes Personal in den Sinn, das häufig praktische Erwägungen zu Maßstäben in Gefühlsdingen macht, die Liebe wie ein geheimes Zentrum wortreich umkreist und im selben Moment erlebt, wie jede Lebendigkeit entweicht und am Ende alles zerstört ist. Ebenso wie James ist auch Rodoreda, die über Virginia Woolf die angelsächsischen Erzähltechniken aufgesogen hatte, eine große Künstlerin des inneren Monologs, der ihre Figuren immer wieder forttreibt und wegspült. Bei Rodoreda ist alles vergänglich. Nur der Gärtner bleibt zurück.
"Wenn diese Zypressen ausgewachsen sind, liegen Sie und ich schon seit Jahren darunter.
"Senyor Bellom, ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll..." Er hob eine Hand, um mich zu unterbrechen. "Sehen Sie nur, wie glatt der Rücken des Meeres heute ist..." "Ich muss mich bei Ihnen bedanken, und Sie lassen mich nicht. Aber wissen Sie, was? Hier trägt man mich nur mit den Füßen zuerst raus. Vielleicht behält der Käufer des Hauses mich ja... wie Senyoret Francesc. Ich werde ihm sagen, dass ich zupacken kann wie ein Junger... nur mit mehr Erfahrung. Sie wissen alles, was passiert ist, und Sie wissen, dass meine Cecília gestorben ist. So ist das Leben. Aber solange ich hier bin, ist sie noch nicht ganz tot. Ich bin seit dem Militärdienst in diesem Haus, das habe ich Ihnen ja schon erzählt. Tag um Tag... Sehen Sie sich den Garten an. Dies ist die beste Tageszeit, um seine Kraft zu spüren und seinen Duft zu riechen. Sehen Sie sich die Linde an. Sehen Sie, wie die Blätter zittern und uns lauschen? Sie lachen... Wenn Sie eines Nachts unter den Bäumen spazieren gehen, werden Sie schon hören, was Ihnen dieser Garten alles zu erzählen hat..." Wir gingen dort auseinander, am Fuß der Aussichtsterrasse, und das war, wenn man so will, das Ende der Geschichte.
"Senyor Bellom, ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll..." Er hob eine Hand, um mich zu unterbrechen. "Sehen Sie nur, wie glatt der Rücken des Meeres heute ist..." "Ich muss mich bei Ihnen bedanken, und Sie lassen mich nicht. Aber wissen Sie, was? Hier trägt man mich nur mit den Füßen zuerst raus. Vielleicht behält der Käufer des Hauses mich ja... wie Senyoret Francesc. Ich werde ihm sagen, dass ich zupacken kann wie ein Junger... nur mit mehr Erfahrung. Sie wissen alles, was passiert ist, und Sie wissen, dass meine Cecília gestorben ist. So ist das Leben. Aber solange ich hier bin, ist sie noch nicht ganz tot. Ich bin seit dem Militärdienst in diesem Haus, das habe ich Ihnen ja schon erzählt. Tag um Tag... Sehen Sie sich den Garten an. Dies ist die beste Tageszeit, um seine Kraft zu spüren und seinen Duft zu riechen. Sehen Sie sich die Linde an. Sehen Sie, wie die Blätter zittern und uns lauschen? Sie lachen... Wenn Sie eines Nachts unter den Bäumen spazieren gehen, werden Sie schon hören, was Ihnen dieser Garten alles zu erzählen hat..." Wir gingen dort auseinander, am Fuß der Aussichtsterrasse, und das war, wenn man so will, das Ende der Geschichte.
"Der Garten über dem Meer" ähnelt einem langen, Licht durchfluteten Sommertag, und erzählt nebenbei vom Vergehen des Lebens. Und von seiner Verschwendung, die in der Natur des Menschen zu liegen scheint.
Mercè Rodoreda, Der Garten über dem Meer. Roman. Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Roger Willemsen. Mare Verlag, Hamburg 2014, 239 Seiten, 26 Euro.