Bestehende Zölle abbauen, die Handelsbeziehungen intensivieren – das versprechen sich die Europäischen Union und der südamerikanische Wirtschaftsbund Mercosur von ihrem geplanten Handelsabkommen. Doch noch ist es nicht unterzeichnet. Ob es beim Gipfeltreffen der südamerikanischen Staatengemeinschaft zum Abschluss kommt, gilt als ungewiss.
Während Bundeskanzler Olaf Scholz und der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bei ihrem Regierungstreffen in Berlin in dieser Woche bekräftigten, für einen Vertragsabschluss kämpfen zu wollen, ist das Abkommen in Teilen Südamerikas und Europas umstritten. Einzelne Länder wollen ihre Märkte schützen, und Nichtregierungsorganisationen fürchten die Aufweichung von Arbeits- oder Umweltstandards.
Was ist das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen?
Mit dem EU-Mercosur-Abkommen würden die EU und Südamerika eine der weltweit größten Freihandelszonen der Welt schaffen. Mehr als 720 Millionen Menschen leben in den beiden Regionen. Die Handelszone würde nahezu 20 Prozent der Weltwirtschaft und mehr als 31 Prozent der globalen Warenexporte abdecken.
Hinter Mercosur verbirgt sich der Zusammenschluss der südamerikanischen Länder Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay zu einer Wirtschaftsgemeinschaft. Weitere südamerikanische Länder sind assoziierte Mitglieder. Gegründet wurde Mercosur 1991 nach dem Vorbild der Europäischen Union. Ziel des Zusammenschlusses ist es, die Entwicklung des südamerikanischen Kontinents zu fördern.
Schon vor mehr als 20 Jahren begannen Verhandlungen der Mercosur-Staaten mit Vertretern der EU-Kommission mit der Absicht, eine gemeinsame Handelszone zu etablieren. Im Jahr 2019 kam es zu einer Grundsatzeinigung. Wegen anhaltender Bedenken - etwa in Bezug auf den Regenwaldschutz – wurde sie bislang nicht umgesetzt.
Das beinhaltet das EU-Mercosur-Abkommen
Seit einigen Monaten sprechen beide Seiten nun intensiv über ein Zusatzprotokoll. Mit ihm soll den Bedenken entgegengetreten werden und Umwelt- und Sozialfragen, dem Schutz des Regenwalds und Arbeitnehmerrechten mehr Gewicht verliehen werden. Beispielsweise geht es um Regularien für den Einsatz von Pestiziden. Die europäischen Auflagen werden auf südamerikanischer Seite jedoch als protektionistisch aufgefasst.
Das Mercosur-Abkommen umfasst insbesondere die Einfuhr von Futtersoja und Rindfleisch aus den beteiligten südamerikanischen Ländern in die EU. Umgekehrt geht es um Exporte von industriell gefertigten Gütern aus der EU, wie Autos und Autoteile sowie um Pestizide.
Doch auch für Agrarprodukte und Lebensmittel aus der EU soll es Exporterleichterungen geben. Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zufolge würde ein Vertragsabschluss „einzelnen Sektoren der deutschen Agrar- und Lebensmittelindustrie, vor allem Milchprodukten, verarbeiteten Lebensmitteln, sowie Wein und Spirituosen einen privilegierten Zugang auf den bisher stark abgeschotteten Mercosur-Markt ermöglichen.“
Wieso steht das EU-Mercosur-Abkommen auf der Kippe?
Der brasilianische Präsident Lula da Silva hatte ursprünglich angekündigt, das Abkommen auf dem Mercosur-Gipfel am Donnerstag (07.12.2023) unterzeichnen zu wollen. Dass es tatsächlich dazu kommt, scheint derzeit fraglich.
Dafür gibt es zwei Ursachen. Frankreich möchte das Abkommen in der aktuellen Form nicht. Bei der Weltklimakonferenz COP28 in Dubai kritisierte der französische Präsident Emmanuel Macron, dass es die Biodiversität und das Klima nicht ausreichend berücksichtige. Doch Experten unterstellen ihm andere Motive: Macron wolle die französischen Rinderzüchter vor Konkurrenz aus Südamerika schützen.
Da nicht einzelne Länder über Mercosur verhandeln, sondern die EU-Kommission, könnte Frankreich allerdings überstimmt werden. Die Furcht vor der Konkurrenz durch die südamerikanischen Rinderzüchter wird jedoch auch von der EU-Bauernlobby geteilt.
Auf südamerikanischer Seite hat die scheidende argentinische Regierung angekündigt, das Abkommen vor dem Wechsel am Sonntag (10. Dezember) nicht mehr unterzeichnen zu wollen. Ihrer Auffassung nach könne es negative Folgen für die Industrie und für landwirtschaftliche Exporte mit sich bringen.
Der neue argentinische Präsident Javier Milei wiederum bringt neue Unsicherheit für das Abkommen. Der Rechtspopulist hat vor seiner Wahl gedroht, aus dem Mercosur-Block austreten zu wollen. Andererseits gilt er als Befürworter des Freihandels.
Auch EU-Parlamentarier Daniel Caspary (CDU) glaubt noch an eine Wende. "Ich habe den Eindruck, dass die Signale, die wir hören von Vertretern der wahrscheinlich künftigen Regierung in Argentinien nicht so negativ sind. Und deswegen wünsche ich mir, dass wir das Momentum - wir waren ja kurz vor einem Abschluss - nutzen", sagte Caspary. Vielleicht würde es doch noch gelingen, dieses Abkommen unter Dach und Fach zu bringen.
Was spricht für das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen?
Im besten Falle nützt ein Abkommen wie Mercosur allen Beteiligten. In geostrategischer Hinsicht helfe Mercosur der EU, ihren Handel zu diversifizieren, wie der politische Ökonom Guntram Wolff, Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, im Deutschlandfunk sagte (05.12.). „Wir sind natürlich weltweit im Handel. Aber jedes Abkommen hilft, zusätzlichen Handel zu generieren und damit weniger Abhängigkeiten von anderen Ländern zu haben. Das heißt mit einem zusätzlichen Abkommen wie Mercosur könnten wir auf jeden Fall unsere Abhängigkeit von China reduzieren“, so Wolff.
Für die südamerikanische Seite sieht Wolff durch die Öffnung im internationalen Handel einen Weg, der Armut zu entkommen. Länder wie Brasilien wollten derzeit mit möglichst vielen Ländern möglichst schnell handeln, erklärte er.
„Und unsere Chance ist, da jetzt einen Teil dieser Dynamik abzubekommen und so zu gestalten, dass sie möglichst klimaneutral ist. Und das geht eben nur über höhere Standards und höhere Normen und höhere Abkommen, wie wir sie mit Mercosur abschließen würden“, sagte der Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Was spricht gegen das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen?
Jüngst haben Frankreich und Argentinien ihre Kritikpunkte am geplanten Mercosur-Abkommen öffentlich ausgesprochen. Paris argumentiert mit dem nicht ausreichenden Schutz für die Biodiversität und das Klima. Letztlich geht es der französischen wie der argentinischen Regierung, um den Schutz der eigenen Wirtschaft vor befürchteter Konkurrenz vom jeweilig anderen Kontinent.
Doch selbst in Deutschland stößt das Abkommen nicht überall auf Begeisterung: Während deutsche Wirtschaftsverbände auf eine Einigung noch in diesem Jahr pochen, möchten Nichtregierungsorganisationen wie das katholische Hilfswerk Misereor hingegen lieber kein Abkommen, als ein schlecht gemachtes. Kritikpunkte sind etwaige Risiken für das Klima und den Artenschutz sowie Menschenrechte.
Armin Paasch, Referent für verantwortliches Wirtschaften und Menschenrechte bei Misereor erläuterte im DLF (02.12.2023), dass die Problematik an den erleichterten Export von Rindfleisch, Zuckerrohr und Soja aus dem Mercosur geknüpft sei, den das Abkommen vorsieht. „Es ist genau die Expansion dieser Produkte, die am Amazonas, im Cerrado, im El Chaco zu Brandrodungen führt, zu Vertreibungen von indigenen Völkern, zu Menschenrechtsverletzungen“, so Paasch.
Auch die vorgesehenen Erleichterungen bei der Ausfuhr bestimmter Produkte aus der EU kritisiert Paasch. Es geht um Pestizide europäischer Chemiekonzerne. Diese seien „giftig“ und „in der EU noch nicht einmal zugelassen“. Darum befürchtet der Misereor-Referent „schwere Gesundheitsfolgen für die Bevölkerung dort“.
Greenpeace nennt das geplante Abkommen auf seiner Webseite den „Giftvertrag EU-Mercosur“. Die Umweltorganisation ist der Meinung, er sei klimaschädlich, naturfeindlich und veraltet.
Was sind mögliche Folgen, wenn das EU-Mercosur-Abkommen nicht zustande kommt?
Der politische Ökonom Guntram Wolff betonte im DLF die Wichtigkeit dieses Abkommens – vor allem aus europäischer Perspektive. Geostrategisch müsse sich die EU Zugriff auf Vorkommen bestimmter Rohstoffe sichern, die etwa für Solarzellen und Windkraftanlagen benötigt würden. Es geht dabei auch darum, den Einfluss Chinas bei der Bewerkstelligung der grünen Transformation zu verringern. Von dort kommen bisher die meisten der benötigten Rohstoffe.
Selbst aus „Umweltschutzsicht“ sei das Abkommen notwendig. Auch dabei geht es wieder um China. Wolff erklärte: „Wenn wir dieses Abkommen nicht mit dem Mercosur Raum abschließen, nicht mit Brasilien abschließen, dann wird sich diese Gegend der Welt noch stärker in Richtung China orientieren.“ Weil dort Umweltstandards oder der Regenwaldschutz eine geringere Rolle spielten, wäre es seiner Auffassung nach „wirklich fatal, nicht nur aus politischer Sicht, sondern tatsächlich auch aus Sicht des Umweltschutzes, dieses Abkommen jetzt nicht abzuschließen.“
Deutsche Wirtschaftsvertreter sehen das ähnlich. Das Scheitern des Mercosur-Abkommens wäre ein schwerer Schlag für die Außenhandelsnation Deutschland, sagte etwa der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura. "Ohne Abkommen wird Europa zwangsläufig in Lateinamerika geoökonomisch gegenüber unseren globalen Wettbewerbern den Anschluss verlieren."