Stephanie Rohde: In Brasilien brennt der Amazonas, und in Biarritz beraten die G7 darüber. Spontan hat nämlich Gastgeber Macron den Regenwald auf die Agenda gesetzt für das große Treffen an diesem Wochenende. Das aber sei kolonialistisch, tönte Brasiliens rechtsextremer Staatschef Bolsonaro. Jetzt aber will er doch gegen Brandstifter vorgehen. Seit Bolsonaro im Amt ist, ist die Zerstörung des Regenwaldes massiv vorangeschritten. Er will den Amazonas nämlich erklärtermaßen wirtschaftlich auch für Bergbau und mehr Rinderzucht nutzen.
Die EU-Kommission sowie Irland und Frankreich drohen jetzt, sie wollen das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten nicht unterzeichnen, wenn Bolsonaro weitermacht, den Regenwald zu zerstören. Das Abkommen wurde im Juni vereinbart, es ist aber noch nicht von den EU-Staaten ratifiziert. Die EU will durch die größte Freihandelszone der Welt jährlich vier Milliarden Euro an Zöllen sparen, und Brasilien erhofft sich, mehr Rindfleisch und mehr Soja in die EU exportieren zu können. Anders als Frankreich und Irland will die Bundesregierung an dem Freihandelsabkommen festhalten, es nicht auf Eis legen. Die Bundesumweltministerin Svenja Schulze von der SPD hat allerdings das Abkommen infrage gestellt. Darüber will ich jetzt sprechen mit Bernd Lange von der SPD. Er ist Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament und auch stellvertretender Vorsitzender der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament. Guten Morgen!
Bernd Lange: Guten Morgen!
Rohde: Deutschland droht Brasilien mit dem Ende des Freihandelsabkommens und dann doch wieder nicht – soll das Bolsonaro beeindrucken?
Lange: Ich glaube, man muss eine klare Haltung vorlegen. Auf der einen Seite ist es richtig zu verhandeln, weil sonst wird man Bolsonaro überhaupt nicht in den Griff bekommen, aber man kann auch nicht einfach so durchwinken und sagen, wir gucken da nicht nach links und rechts. Wir müssen wirklich genau gucken, was vereinbart ist und ob diese Vereinbarungen letztendlich auch eingehalten werden und welche Sanktionsmöglichkeiten wir auch haben. Insofern wird das Europaparlament, das ja auch so einem Abkommen zustimmen muss, noch deutlich Nachverhandlungsbedarf anmelden.
Rohde: Sie sagen klare Haltung, aber das, was die Bundesregierung gerade tut, ist genau das Gegenteil davon.
Lange: Das ist total das Gegenteil, das ist wirklich, glaube ich, den Kopf in den Sand stecken. Da spielen wahrscheinlich die Exportinteressen eine größere Rolle als der Schutz der Umwelt und des Klimas. So geht es nicht, wir müssen das Instrument nutzen, um Bolsonaro in die Schranken zu weisen.
Lange: EU-Parlament wird dem Abkommen so nicht zustimmen
Rohde: Aber was hilft das, was bringt das dem Regenwald, wenn man jetzt damit droht, das Freihandelsabkommen auf Eis zu legen?
Lange: Na ja, das ist die einzige Möglichkeit, wirklich auch Strukturen einzuziehen. In dem Abkommen wird es ja um die Frage von Standards gehen. Es gibt ein kleines Kapitel zum Klimaschutz, dass das Pariser Klimaschutzabkommen umgesetzt werden muss. Es gibt ein kleines Kapitel zur nachhaltigen Forstwirtschaft, dass es eben keine illegalen Abholzungen geben darf und auch dass Produkte aus illegal abgeholzten Gebieten eben nicht exportiert werden sollen. Da ist was angelegt, aber das Problem ist, es ist überhaupt nicht ausgeführt, was das konkret heißt.
Rohde: Aber man muss ja sagen, das Europaparlament hat dem auch zugestimmt, also das ist vereinbart worden. Warum ist das jetzt auf einmal zu wenig?
Lange: Nein, das ist noch nicht vereinbart worden. Der Text ist auch noch nicht ganz fertig, das wird sicherlich noch ein Jahr dauern, bevor wir darüber beraten. Und da kann ich Ihnen schon sehr deutlich sagen, das haben wir bei anderen Handelsabkommen auch gemacht: Wenn nicht klar ist, was das im Konkreten heißt, welche einzelnen Maßnahmen durchgeführt werden müssen, und zum Zweiten, dass auch klar ist, welche Sanktionen damit verbunden sind, also nur fromme Worte hineinzuschreiben, das hilft nicht. Und wenn das nicht geklärt ist, wird das Parlament, bin ich mir sicher, dem Abkommen nicht zustimmen.
Rohde: Die Grünen fordern schon seit Längerem effektivere Regeln für den Klimaschutz in diesem Abkommen, was stellt die SPD sich da konkret vor?
Lange: Ja, man muss natürlich die Verpflichtungen, die Brasilien ja auch in Paris eingegangen sind – die 37 Prozent CO2-Reduktion –, durchdeklinieren: Was heißt das in einzelnen Sektoren? Und auch wenn Bolsonaro Paris nicht verlassen hat, wie Herr Trump, muss man doch deutlich sagen, dass die Maßnahmen – also er hat ja Teile des Umweltministeriums ins Landwirtschaftsministerium integriert, hat explizit Amazonas als wirtschaftliches Gebiet gekennzeichnet und so weiter –, sprechen diese Maßnahmen doch eine deutlich andere Sprache. Und deswegen gilt es wirklich eins zu eins festzuhalten, wie man diese 37 Prozent Reduktion umsetzt. Und wenn das nicht wirklich hieb- und stichfest in so einem Abkommen drinsteht, dann kann man so einem Abkommen nicht zustimmen.
Ohne Sanktionen "macht das überhaupt keinen Sinn"
Rohde: Was ich noch nicht verstehe, Bolsonaro setzt sich ja eigentlich seit seinem Amtsantritt und auch davor im Wahlkampf – er ist angetreten im Januar – schon ganz offen dafür ein, dass der Regenwald wirtschaftlich genutzt wird. Warum beschweren Sie sich erst jetzt darüber?
Lange: Nein, wir haben in den ganzen Verhandlungen immer schon das ja sehr deutlich gesagt, und mit dem Regierungswechsel war ich sowieso der Meinung, dass die Perspektiven für so ein Abkommen sehr schlecht aussehen. Und wie gesagt, mich hat es gewundert, dass er jetzt der Verpflichtung zum Klimaschutz und der Verpflichtung zur nachhaltigen Forstwirtschaft überhaupt zugestimmt hat. Aber ich glaube, das konnte er nur machen, weil es eben nicht konkret mit Maßnahmen unterlegt ist und auch keine Sanktion in dem Abkommen drin ist, und das macht überhaupt keinen Sinn. Deswegen Klarheit in den Maßnahmen und auch klare Sanktionen bei Nichteinhaltung, das muss in so ein Abkommen hinein.
Rohde: Sie haben im Januar gesagt, wenn Bolsonaro die Rodung im Regenwald forciert, dann ist das Abkommen tot. Das Abkommen ist aber noch nicht tot, was ist los?
Lange: Wie gesagt, das Abkommen ist erst mal ausverhandelt. Der Text muss erst mal fertig sein, dann kommt es zum Parlament, und dann wird darüber abgestimmt. Und da sind wir, glaube ich, sehr, sehr selbstbewusst. Ein Abkommen, das nicht gut ist, wird vom Parlament nicht angenommen – das hat es in der Vergangenheit ein paar Mal schon gegeben.
Rohde: Finnland hat ja vorgeschlagen, dass man die Einfuhr von brasilianischem Rindfleisch verbietet – wären Sie dabei?
Lange: Wir importieren zurzeit 200.000 Tonnen Rindfleisch, und wenn klar ist, dass das produziert wird mit nicht nachhaltigen Mitteln und durch das Roden vom Regenwald, dann bin ich dabei.
Rohde: Also kein brasilianisches Rindfleisch mehr, würden Sie sagen. Die EU-Bauern würden sich vermutlich freuen, oder?
Lange: Ja, man muss natürlich sehr deutlich sehen: Dass Irland jetzt an der vordersten Front der Kritiker ist, hat natürlich einen Beigeschmack, weil natürlich die irischen Rindfleischproduzenten da auch gewisse eigene Interessen haben. Aber nein, wenn Produkte entstehen unter Missachtung von internationalen Umwelt- und Klimanormen, dann kann man die nicht importieren.
Über Handelsbeziehungen Druck ausüben
Rohde: Die EU ist aber der drittwichtigste Abnehmer von brasilianischem Rindfleisch – Sie haben auch eben schon die Zahl genannt –, das sind Tausende Tonnen, die wir da abnehmen. Wo soll das denn dann herkommen?
Lange: Na ja, wir haben ja nun kein Notleiden an Rindfleisch, wir haben ja auch andere Importeure, das ist, glaube ich, nicht das Problem. Ich glaube, wir müssen wirklich die Handelspolitik nutzen, um mit Bolsonaro wirklich wieder in eine vernünftige Art und Weise zu drängen, anders kann man, glaube ich, mit ihm nicht umgehen. Das Einzige an harten Möglichkeiten, Druck auszuüben, sind Handelsbeziehungen, und deswegen finde ich es richtig, dass man verhandelt, aber auch klar sagt, wenn Bedingungen nicht eingehalten werden, dann gibt es die rote Karte.
Rohde: Eine andere Möglichkeit, Druck auszuüben, sind ja auch Hilfsprojekte, also zum Beispiel die Hilfen für den Amazonas – in der Bundesregierung gibt es da Streit drüber: Entwicklungsminister Müller will weiter Waldschutzprojekte in Brasilien fördern, die Umweltministerin, Ihre Parteikollegin Svenja Schulze, sagt, wir sollen das stoppen. Hilft das dem Regenwald tatsächlich, wenn wir solche Projekte jetzt auch noch stoppen?
Lange: Ich glaube, wir müssen die Projekte so definieren, dass die Menschen vor Ort davon profitieren. Und übrigens, das steht in dem Abkommen auch drin, dass wir die indigene Bevölkerung in die Umsetzung des Abkommens integrieren, und das sehe ich zurzeit überhaupt auch nicht, dass das Bolsonaro ernst nimmt. Und deswegen: Projekte ja, aber nur unter Einbeziehung der indigenen Bevölkerung und der Menschen vor Ort, sodass klar ist, dass der Nutzen bei den Menschen liegt.
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