Harmonie und ein freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden Regierungschefs waren zu spüren am Abend in Athen. "Wir haben unsere gegenseitigen Vorurteile überwunden", sagte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras gestern Abend nach seinem ausführlichen Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Die Stereotypen vom "arroganten Deutschen" und "faulen Griechen" seien durch ein inzwischen sehr gutes Verhältnis beider Länder aus der Welt geschafft worden. Die Bundeskanzlerin sieht Griechenland auf einem erfolgreichen Weg aus der Krise:
"Deshalb freut es mich, wenn wir heute sehen, dass die Situation eine andere geworden ist. Dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist. Dass Griechenland die Hilfsprogramme verlassen konnte. Das ist natürlich nicht das Ende eines Reformweges, aber es ist ein neuer Zustand".
Harmonie mit Tsipras, verhaltene Proteste draußen
Anders sehen das nicht wenige Griechen, die unter den Sparzwängen persönlich bis heute zu leiden haben. Stark gekürzte Renten, teilweise extrem gesunkene Löhne, hohe Steuern, wenig Geld zum Leben - das macht Millionen von Griechen auch im neunten Jahr der Krise trotz etwas Licht am Horizont noch genug zu schaffen. Die Proteste zum Auftakt des Merkel-Besuchs in Athen fanden heute nur verhalten statt - kleinere linke Gruppen verteilten Protestzettel und demonstrierten Ablehnung. Am Abend dann auch etwas Tränengas gegen einige hundert, die in der verbotenen Zone demonstrierten. Wütend mitten unter ihnen die Rentnerin Mania Barsevski:
"Angela Merkel ist nicht willkommen in unserem Land. So wie alle anderen Europäischen Politiker, die die griechische Gesellschaft erniedrigt haben – und unter denen Angela Merkel eine führende Rolle gespielt hat. Sie alle sind nicht willkommen bei uns."
Nicht weit entfernt von den Protesten, am Amtssitz von Regierungschef Tispras, fand die deutsche Bundeskanzlerin in ihrer Analyse der griechischen Lage weitere wohlwollende Worte. Sie sei der festen Überzeugung, dass es Griechenland in diesem Jahr schaffe, zu halbwegs erschwinglichen Konditionen Geld von den freien Finanzmärkten zu besorgen und damit kein neues Rettungspaket brauche:
Keine neue deutsche Besserwisserei
"Die Tatsache, dass es eine ganze Reihe von richtig großen Investitionen der deutschen Wirtschaft in Griechenland gibt, zeigt ja auch, dass das Vertrauen gewachsen ist. Auch in die griechische Wirtschaft. Und da, wo wir finden, dass die Administration vielleicht noch besser werden kann. Wir müssen uns ja alle permanent auch ändern."
Keine neue deutsche Besserwisserei, wir alle müssen uns ändern, auffallend, wie Angela Merkel auch in heiklen Situationen in Athen grade rechtzeitig rethorisch auf den neuen Kurs einschwenkt - und der heißt seit diesem Treffen der konservativen Kanzlerin aus Deutschland und dem realpolitisch gar nicht mehr so linken griechischen Ministerpräsidenten: Es kann keine Alternative zu einer neuen deutsch-griechischen Freundschaft geben. Bemerkenswert und für viele Griechen mindestens so wichtig wie das wiedererstarkte Verhältnis zu Deutschland waren die Sätze, die Merkel in der hochbrisanten Mazedonienfrage wählte:
"Ich halte diesen Schritt, den Alexis Tsipras gemacht hat, für einen entscheidenden Schritt, von dem nicht nur Griechenland und Nord-Mazedonien profitieren werden, sondern von dem auch ganz Europa profitieren wird. Und unsere gemeinsamen Werte."
Heikle Mazedonien-Frage
Gemeint ist das Abkommen der griechischen Regierung mit Mazedonien, das mit der Formulierung "Republik Nord-Mazedonien" den Nachbarn im Norden mit neuer Perspektive anerkennen soll. Ein Kompromiss in einem jahrzehntelangen Namensstreit, den die griechischen Konservativen aber weiterhin strikt ablehnen. Und der das Regierungsbündnis von Alexis Tsipras Syriza-Partei mit den Unabhängigen Griechen platzen lassen und am Ende sogar - wenn es schlecht läuft - den griechischen Regierungschef sein Amt kosten könnte.
Heikel wird deshalb für Angela Merkel heute ihr Termin mit Oppositionsführer Mitsotakis von der konservativen Nea Demokratia. Mit Merkel parteipolitisch eigentlich auf einer Linie, wird Mitsotakis der deutschen Kanzlerin aller Voraussicht nach ein weiteres Mal erklären, warum er mit seinem strikten "Nein" zum Mazedonien-Kompromiss versuchen will, den griechischen Ministerpräsidenten Tsipras zu stürzen. Ein politisches Spiel, dessen Ausgang auch aus Sicht ängstlicher Investoren, Griechenland in neue unsichere Zeiten führen könnte.