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Merkel-Besuch in London
Britische EU-Skeptiker enttäuscht und umgarnt

Umfassende Reform der EU-Verträge oder Austritt aus der EU: Diese wiederholte Drohung aus London hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Rede vor beiden Kammern des britischen Parlaments zurückgewiesen. Die europäischen Länder könnten nur gemeinsam stark sein.

    Vor dem Hintergrund eines Referendums über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU appellierte Merkel an die britischen Abgeordneten, in der EU zu bleiben. "Wir brauchen ein starkes Großbritannien - mit starker Stimme innerhalb der EU." Die Bundeskanzlerin betonte in diesem Zusammenhang die Verpflichtung aller EU-Staaten, drei wichtige Ziele zu erfüllen: die Bewahrung von Frieden, Freiheit und Wohlstand. Dies gelinge nur gemeinsam. "Was wir hier tun oder unterlassen, das wird über Europas Zukunft entscheiden."
    Die Bundeskanzlerin unterstützte den Wunsch des konservativen britischen Premierministers David Cameron nach mehr Bürokratieabbau und sprach sich punktuell auch für "Anpassungen" der EU-Verträge aus. Cameron will unter anderem die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU begrenzen und die Arbeitszeit-Richtlinie beschneiden. Einige EU-Länder wehren sich gegen die Sonderwünsche Londons.
    Merkels Gratwanderung
    Die Bundeskanzlerin sagte, jene Europakritiker würden enttäuscht, die in ihrer Rede den Grundstein für eine Reform der Europäischen Verträge erwartet hätten. Gleiches gelte für jene Europabefürworter, die hofften, sie erkläre in London, "dass der Rest Europas noch nicht bereit ist, jeden erdenklichen Preis zu zahlen, um Großbritannien in der Europäischen Union zu behalten".
    Merkel verteidigte ihre Position, Großbritannien entgegenzukommen, um das Land in der EU zu halten. Deshalb warb sie erneut dafür, Kompetenzen der EU auf den Prüfstand zu stellen. "Erweisen sie sich als überflüssig, müssen sie abgeschafft werden." Bürokratie müsse dort abgebaut werden, wo sie Unternehmen behindere.
    Der britische Premier sagte nach einem Gespräch mit Merkel, es gelte, neue Jobs zu schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit auszubauen. Dazu müsse die künftige EU-Kommission entsprechende Reformen einleiten, sagte Cameron und fügte hinzu, hier seien sich London und Berlin einig. In Großbritannien genießen europakritische Parteien großen Zulauf.
    Merkel bezeichnete es als Ehre, dass sie nach Bundeskanzler Willy Brandt 1970 und Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1986 nun als dritte deutsche Politikerin vor den Abgeordneten hätte sprechen können. Mehrfach zitierte sie aus Weizsäckers Rede. "Großbritannien braucht seine europäische Berufung nicht zu beweisen."