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Merkel-Besuch in Warschau
"Polen ist keine Autokratie"

Polen sei ein sehr polarisiertes Land, sagte der polnische Journalist Pawel Soltys im Deutschlandfunk anlässlich Kanzlerin Merkels Besuch in Warschau. Die Demokratie sei zwar noch nicht demontiert, die Regierung habe die Pressefreiheit in öffentlich-rechtlichen Medien aber eingeschränkt. Man müsse aber mit ihr zusammenarbeiten.

Pawel Soltys im Gespräch mit Christine Heuer |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geht neben Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo in Berlin nach einer Pressekonferenz im Kanzleramt.
    Die deutsch-polnische Freundschaft ist merklich getrübt. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Polen sei keine Autokratie, das Land sehe ähnlich aus wie Deutschland, die Leute gingen normal arbeiten, es gebe keine Verhaftungen von Oppositionellen wie in der Türkei oder gar Folter, sagte der Journalist Soltys. Polen sei ein normales Land, das aber sehr polarisiert sei. Sehr viele Menschen hätten eine unterschiedliche Vorstellung davon, wie das Land aussehen solle. Es gebe einen "wesentlichen konservativen Teil der Bevölkerung und einen pro-europäischen Teil". Die Nationalkonservativen hätten es nicht gerne, wenn das Land von außen kritisiert werde.
    "Irgendwie krank"
    Soltys, der selbst aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk entlassen wurde, sagte, die Pressefreiheit in den öffentlich-rechtlichen Medien gebe es nicht mehr, das sei anders als in entwickelten Demokratien. Es gebe jedoch unabhängige Zeitungen, Fernsehsender und Internetportale, Journalisten könnten frei berichten, aber eben nicht im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Während der "pro Regierung" berichte, seien die privaten Sender gegen die PiS. Die Wahrheit liege irgendwo dazwischen, das sei "irgendwie krank".
    Die Kanzlerin müsse bei ihrem Besuch einen kühlen Kopf bewahren. Das Wichtigste sei, dass Deutschland ein starker Nachbar Polens sei. Die Zusammenarbeit auf einem grundsätzlichen Niveau sei das Allerwichtigste. Man muss mit der jetzigen Regierung zusammenarbeiten.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: In Warschau begrüße ich Pawel Soltys. Er ist Journalist der Wirtschaftszeitung "Puls Biznesu". Früher war er Angestellter bei "Trojka". Das ist das dritte Programm des öffentlich-rechtlichen Hörfunks in Polen. Guten Morgen, Herr Soltys.
    "Polen ist ein normales Land, das sehr polarisiert ist"
    Pawel Soltys: Guten Morgen.
    Heuer: Letzte Woche war Angela Merkel ja in Ankara, heute kommt sie nach Warschau. Mancher sagt, beide Länder ähnelten sich ziemlich. Stimmt das? Erleben Sie Polen wie eine, sagen wir mal, Autokratie?
    Soltys: Nein, überhaupt nicht. Die beiden Länder kann man überhaupt nicht vergleichen. Polen sieht ähnlich wie Deutschland aus. Die Leute gehen hier normal arbeiten, es gibt keine Verhaftungen wie in der Türkei. Die Oppositionsmitglieder werden nicht gefoltert und so weiter. Deswegen: Polen ist ein normales Land, das sehr polarisiert ist, und ich glaube, das ist das Stichwort hier in Polen. Sehr viele Leute haben sehr andere Meinungen, wohin unser Land gehen soll, und die Anhänger von Recht und Gerechtigkeit sind eher auf eine Strenge aus. Es gibt einen wesentlichen großen konservativen Teil der Bevölkerung und es gibt auch diesen pro-europäischen Teil. Es ist irgendwie in der Hälfte, habe ich den Eindruck zumindest, aber die Zustimmung für Recht und Gerechtigkeit ist momentan groß. Sie liegt um die 30 Prozent.
    Keine Demontage der Demokratie
    Heuer: Herr Soltys, dann haben die Kritiker, die Ihr Land von außen betrachten, alle Unrecht, die über die Justizreform viel reden, über das Abtreibungsverbot, das es dann doch nicht gegeben hat nach viel Protest, also die Kritiker, die sagen, in Polen wird die Demokratie demontiert? Das ist falsch?
    Soltys: Es hängt davon ab, wie man Recht behält. Da haben die Kritiker Recht, das weiß man nicht. Das ist ein politischer Kampf und auch in Polen sagen manche, es ist nicht richtig so, es so zu machen. Die anderen sagen, es ist völlig okay. Bei uns gibt es verschiedene Meinungen, wie man verschiedene Sachen machen soll. Und wenn das von außen kommentiert wird, dann ist das natürlich ein heißer Punkt für die Nationalkonservativen. Sie mögen es nicht, wenn man das vom Ausland kommentiert. Von daher: Man muss das, was gerade in Polen geschieht, immer so betrachten, dass das ein politischer Kampf ist. Es gibt verschiedene Visionen und wie man sie umsetzt ist auch wichtig, aber ob die Demokratie demontiert wird, das ist, würde ich sagen, noch zu früh. Die Vorschläge, die Gesetzesvorschläge, die Recht und Gerechtigkeit vorschlägt, die engen dieses Freiheitsspektrum ein, aber das ist keine Demontage. Das würde ich nicht so benennen.
    "Die Politik ist wirklich so ein bisschen wie ein Zirkus"
    Heuer: Herr Soltys, nun sagen die Kritiker im Ausland, aber auch im Inland, unter anderem sei die Pressefreiheit in Polen nicht mehr so gewährleistet, wie sich das in einer Demokratie gehört. Sie selbst sind von der Führung des öffentlich-rechtlichen Radios entlassen worden. Warum? Was war denn aus Ihrer Sicht der wichtigste Grund?
    Soltys: Bei mir war es so, um die Geschichte kurz zu fassen, dass ich ein Mitglied oder Chef einer Gewerkschaft innerhalb des polnischen Rundfunks war. Das funktioniert ein bisschen anders wie in Deutschland. Das ist so eine Art Betriebsrat, aber mit kleineren Gruppen. Wir können nicht so viel sagen wie die Betriebsräte in Deutschland. Und ich wurde entlassen dafür, dass ich mich für zwei von unseren Kollegen quasi gewehrt habe vor dem Vorstand, vor dem Radiovorstand. Freiheit in den öffentlichen Medien, würde ich sagen, gibt es nicht mehr und das sieht anders aus als in entwickelten Demokratien. Aber die Pressefreiheit allgemein: Es gibt unabhängige Tageszeitungen wie "Puls Biznesu". Es gibt auch unabhängige Fernsehsender und Internetportale. Die Journalisten können frei ihren Job ausüben, nur nicht in den öffentlich-rechtlichen Sendern.
    Heuer: Und das ist auch ein Problem für die Pressefreiheit. Das ist so, als könnten wir hier im Deutschlandfunk nicht mehr frei berichten.
    Soltys: Ja, so etwas in der Art. Aber kommerzielle Sender würde es geben. Für jeden, der sich eine Auskunft über die Welt holen wollte, der müsste quasi zwei Seiten hören, und das eben ist die Polarisierung. Die privaten Sender, die berichten auch nicht von der wirklichen Realität sozusagen, sondern sind ein bisschen gegen die Recht und Gerechtigkeit gedreht. Und bei den öffentlich-rechtlichen ist diese Weiche dann auf die andere Seite gerichtet. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Ich finde, es ist irgendwie krank, aber so ist das momentan in Polen. Wir sind sehr polarisiert und jedes Thema kann man auch politisch betrachten und das macht dann auch wirklich keinen Sinn. Die Politik ist wirklich so ein bisschen wie ein Zirkus hier in Polen.
    Zusammenarbeit mit Deutschland
    Heuer: Herr Soltys, in diesen Zirkus reist heute die deutsche Bundeskanzlerin. Was wünschten Sie sich von ihr?
    Soltys: Einen kühlen Kopf bewahren, würde ich sagen, weil wirklich das Wichtigste heute ist es, dass Deutschland ein sehr starker Nachbar Polens ist und auch sehr viele wirtschaftliche Beziehungen hat. Das muss man pflegen, weil die Zusammenarbeit auf dem Grundniveau sozusagen ist das Allerwichtigste. Ich würde von Frau Merkel erwarten, dass sie vielleicht mit Jaroslaw Kaczynski spricht - das wird, auch wie in dem Vorbericht genannt, das wichtigste Gespräch sein -, dass sie vielleicht darüber nachdenkt, dass die Rhetorik nicht gegen Deutschland gedreht wird, was gerade in Polen passiert. Es gibt viele Berichte, die Deutschland in einem negativen Aspekt zeigen. Das würde ich mir wünschen, dass das vielleicht anders läuft.
    Heuer: Sie soll die Lage entspannen. - Können Sie in 15 Sekunden - Sie sind Radiojournalist, Sie wissen, was das heißt - sagen, wie kann es Europa und Angela Merkel gelingen, Polen wieder ein bisschen mehr in die Mitte der EU zu rücken? Darüber wird jetzt viel diskutiert werden.
    Soltys: Das weiß ich nicht. Wir haben freie Wahlen und vielleicht bei den nächsten Wahlen wird es anders sein. Jetzt muss man mit der jetzigen Regierung zusammenarbeiten und das kann man auch machen.
    Heuer: Pawel Soltys war das, Journalist der Wirtschaftszeitung "Puls Biznesu". Er war früher Angestellter im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Polens. Herr Soltys, haben Sie vielen Dank für das Gespräch heute Früh.
    Soltys: Vielen Dank auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.