Die Caféteria der Berner Unibibliothek hat sich gefüllt: Studenten kommen einzeln oder in Grüppchen, stellen ihr Smartphone an, holen sich einen Kaffee. Noch sind Semesterferien, aber für viele nahen die Prüfungen. Von dem Besuch der deutschen Bundeskanzlerin haben sie vermutlich nichts mitbekommen. Oder doch?
"Ihr habt eine Mail bekommen?"
"Ja, vom Zentralsekretariat."
"Was stand in der Mail?"
"Dass Angie kommt und sich den Ehrendoktortitel abholt, den sie bekommen hat 2009. Und auch im Plenum sollte sie Fragen beantworten." – "Er wird ihr der Ehrendoktortitel vergeben und dann spricht sie über die EU."
Eigentlich wollten die beiden Studenten sich anmelden, um Angela Merkel zu sehen und ihre Rede zu hören. Wofür genau sie den Ehrendoktor der Universität Bern bekommt, können die Studenten aber nicht sagen. Stand das in der Mail? Niemand kann sich so recht erinnern.
"Finanzkrise, Rettungsschirm-Aktion? Keine Ahnung. Ich weiß nur, sie hat ihn lange nicht abgeholt."
"Stand das in der Mail?"
"Ich kann es nachschauen in meinen Mails: 'Heute darf ich Sie zu einem besonderen Anlass einladen: Angela Merkel wird Anfang September an die Universität Bern kommen und ihren 2009 verliehenen Ehrendoktortitel abholen.' Nein, es steht dort nicht."
Auch in den Schweizer Zeitungen kursierten unterschiedliche Begründungen: Merkel werde für ihre Rolle im europäischen Integrationsprozess geehrt, schrieben die einen, für ihren Einsatz für die Gleichberechtigung, meldeten andere. Auch das Wort Dialog fiel mehrmals. Nicola von Greyerz, Kommunikationschefin der Uni Bern, klärt auf.
Das schwierige Verhältnis der Schweiz zu Europa
"Sie bekommt ihn für verschiedene Leistungen, unter anderem für ihren Einsatz im Umwelt- und Klimaschutz. Sie kriegt ihn aber auch für ihren Einsatz im Bereich Chancengleichheit, Frauen- und Menschenrechte, oder auch für ihre Bemühungen gegen antisemitische Tendenzen, aber natürlich auch für ihre Bemühungen innerhalb von Europa, für den Integrationsprozess innerhalb von Europa."
In der Schweiz steht Europa derzeit allerdings nicht besonders hoch im Kurs: Viele sehen sich durch die Finanzkrise bestätigt, rechtskonservative Politiker warnen vor der Fremdbestimmung durch Richter in Straßburg und sogar linke, europafreundliche Politiker greifen das Thema im Wahlkampf lieber nicht auf.
Richtig festgefahren ist die Frage, wie sich die Masseneinwanderungsinitiative umsetzen ließe: Eigentlich müssten sich die Schweizer entscheiden, ob sie die Zuwanderungsbegrenzung jetzt auch für EU-Bürger einführen oder an den bilateralen Verträgen festhalten wollen. Beides zusammen geht nicht. Diese unbequeme Wahrheit aber will im Wahlkampf niemand aussprechen. Also signalisiert man in Bern, man stehe im Dialog. Und wer würde sich dafür besser eignen als Angela Merkel, die Trägerin von zwölf Ehrendoktorwürden? Eine Dissertation muss man für einen Ehrendoktor übrigens nicht schreiben, erklärt Nicola von Greyerz.
"Nein, das ist das Schöne. Man bekommt den wirklich 'honoris causa' - also für das, was man ist und sonst getan hat außerhalb einer akademischen Laufbahn."
Die Mathematikstudentin Valérie Koller findet das ein wenig ungerecht.
"Wenn man sich so überlegt, dass jemand für einen Doktortitel drei, vier Jahre hundert Prozent arbeitet und forscht – und jemand anders ein gutes Gespräch führt. Oder in welcher Form auch immer der Dialog daherkommt, dann ist da so ein kleines Ungleichgeweicht."
Auch ihre Mitstudentin findet die Begründung fragwürdig. Vielleicht, sagt sie, hätte Angela Merkel in diesen Tagen doch eher einen Ehrendoktor im Schweigen verdient.
"Das wirft man ihr doch immer vor: Dass sie als erstes einfach mal schweigt – und sich erst nach zwei, drei Tagen zu Wort meldet."