"Sehr intensiv, sehr offen und auch sehr zielführend" seien die Gespräche mit dem türkischen Präsidenten gewesen, betonte Merkel nach dem etwa einstündigen Treffen am Rande des UNO-Nothilfegipfels. Gleich mehrere Themen brannten der Kanzlerin unter den Nägeln: Zum einen die Bedingungen, die die Türkei und die EU im Rahmen des Flüchtlingspakts vereinbart haben. Demnach soll die türkische Regierung unter anderem ihre Anti-Terror-Gesetze abändern, damit die Behörden die Regelungen nicht missbrauchen, um gegen unliebsame Kritiker vorzugehen.
Doch Präsident Erdogan machte laut Merkel in dem Gespräch heute klar, dass eine solche Änderung derzeit für ihn nicht zur Debatte stehe. Die deutsche Regierungschefin betonte, die Türkei müsse aber alle von der EU gestellten Bedingungen erfüllen, damit die Visafreiheit für Türken in Kraft treten könne. Die Fronten sind also verhärtet. Merkel betonte aber, man müsse in diesem Punkt weiter im Gespräch bleiben.
Darüber hinaus ist es in dem Gespräch auch um die umstrittene Abstimmung des türkischen Parlaments am vergangenen Freitag gegangen. Die Abgeordneten hatten mit großer Mehrheit dafür gestimmt, die Immunität von rund einem Viertel der Parlamentarier aufzuheben. Der Schritt richtete sich besonders gegen die pro-kurdische HDP. Erdogan wirft der Partei vor, der "verlängerte Arm" der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein. Die HDP befürchtet die Festnahme von Abgeordneten, gegen die unter anderem Terrorvorwürfe erhoben werden.
"Türkei braucht ein starkes Parlament"
Merkel sagte, sie habe Erdogan "sehr deutlich gemacht", dass die Immunitätsaufhebung ein "Grund tiefer Besorgnis" sei. "Wir brauchen eine unabhängige Justiz, wir brauchen unabhängige Medien, wir brauchen ein starkes Parlament", so die Bundeskanzlerin. Die weitere Entwicklung werde man sehr genau beobachten müssen. Kritiker Erdogans werfen dem Präsidenten vor, eine Diktatur in der Türkei errichten zu wollen. Merkel bilanzierte das Gespräch mit Erdogan schließlich nüchtern: "Die Fragen sind nicht vollständig geklärt, die ich in diesem Zusammenhang hatte."
Kritik aus Deutschland
Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht schrieb auf Twitter, die Zusammenkunft zwischen Merkel und Erdogan sei nur ein "Pseudotreffen ohne kritische Journalisten, Oppositionelle und Kurden" gewesen. Bereits gestern hatte sie über den Kurznachrichtendienst kritisiert, dass Merkel Erdogan weiter hofiere:
In Deutschland hatten viele der Kanzlerin vorgeworfen, vor dem türkischen Präsidenten eingeknickt zu sein, weil die EU das Land in der Flüchtlingskrise brauche - zuletzt zum Beispiel CSU-Chef Horst Seehofer.
FDP-Chef Christian Lindner betonte, Merkel dürfe der Türkei deswegen keinen Rabatt bieten. Der türkische Präsident führe das Land weg von europäischen Werten.
(pr/tj)