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Merkel in Niger
Kein Marshallplan für Afrika

Hunderttausende Afrikaner versuchen vor dem wirtschaftlichen Elend ihres Landes nach Europa zu fliehen. Viele Politiker des Kontinents fordern deshalb immer wieder eine Art Marshallplan für Afrika. Bei Gesprächen in Niger winkte Bundeskanzlerin Angela Merkel ab, dafür fehlten die Voraussetzungen. Aber Europa könne anders helfen.

Von Stephan Detjen |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel wird am 10.10.2016 in Niamey im Niger von Präsident Mahamadou Issoufou begrüßt.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel wird in Niamey im Niger von Präsident Mahamadou Issoufou begrüßt. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    "Hier gibt man mir etwas zu essen, zu trinken. Alles ist da", sagt Basse Ndoubandé. In Niamey, der Hauptstadt des westafrikanischen Niger ist für den 23-jährigen Senegalesen wenigstens die nackte Existenz gesichert. Das Land gehört zu den ärmsten der Welt. Auf dem Entwicklungsindex der Vereinten Nationen steht es auf dem letzten von 188 Plätzen. Aber Ndoubandé hat schlimmere Orte erlebt: "In Tripolis haben sie uns in ein Gefängnis gesteckt. Da gab es nichts zu Trinken und nichts zu essen. Aber sie haben 400.000 Franc verlangt, um uns wieder rauszulassen. Und wer das nicht bezahlt, stirbt einfach."
    Basse Ndoubande gehört zu den Hundertausenden, für die der Versuch, Europa zu erreichen, in Libyen endete. Nach dem von der westlichen Allianz herbeigebombten Zerfall des Ghadaffi-Regimes ist Libyen zu einer höllischen Endstation der Migrationsrouten aus dem südlichen Afrika geworden. Glücklich ist, wer es durch die Sahara immerhin zurück bis in den Niger geschafft hat. Am Rande einer staubigen Straße in der Hauptstadt Niamey landen einige von ihnen im Aufnahmezentrum des IOM, der Internationalen Organisation für Migration.
    "Das ist ein offenes Haus", sagt Marine Veicenam, eine französische IOM Mitarbeiterin. "Die Menschen können kommen und gehen. Aber wenn jemand sagt, er will wieder nach Hause, dann helfen wir mit dem IOM."
    Betrogern von libyschen Schleuserbanden
    An diesem Nachmittag ist die Bundeskanzlerin aus Deutschland auf ihrer Westafrika-Reise in das Aufnahmezentrum des IOM in Niamey gekommen. - "And the financial situation of your organization is?” - "Wie ist ihre finanzielle Ausstattung", fragt Merkel die Mitarbeiter der Migrationsorganisation. Seit wenigen Wochen ist das IOM faktische eine Unterorganisation der Vereinten Nationen.
    Flüchtlinge sitzen auf der Ladefläche eines Pick-Up-Trucks und halten Holzstöcke, die mit dem Wagen verbunden sind, um nicht herunterzufallen.
    Flüchtlinge lassen sich mit einem Pick-Up-Truck von Agadez in Niger nach Libyen fahren. Von dort aus wollen sie nach Europa. (afp / Issouf Sanogo)
    Eine von 50 Menschen, die auf einfachen Matten zu acht oder zehnt in den fünf Räumen des Zentrums in Niamey schlafen, ist Pinta Batayek, 33 Jahre, aus Liberia. In den Armen hält sie einen vier Wochen alten Säugling. Sie erzählt, wie sie alle ihre Ersparnisse einer libyschen Schleuserorganisation bezahlt habe, nachdem ihr Land von der Ebola-Seuche heimgesucht wurde: "Sie haben gesagt, dass sie uns nach Europa bringen. Aber das war eine Lüge. Sie haben uns auf einem Gelände zusammengepfercht und uns wie Sklaven behandelt. Ich war da schon schwanger. Wie mussten zurück in die Wüste - einfach so."
    Für Menschen wie Pinta Batayek ist die Internationale Migrationsorganisation IOM in Niger eine Oase auf ihrem Irrweg durch Afrika. Ihre Probleme aber sind mit der Aufnahme in dem Zentrum noch lange nicht gelöst. "Wenn jemand seine Heimat verlassen hat und wir ihn einfach nur heimbringen, genügt das nicht. Wir müssen den Menschen helfen, sich wieder zu reintegrieren. Dazu haben wir lokale Reintegrationsprojekte", sagt die französische IOM-Mitarbeiterin Veicenam. Für die Menschen ist das eine kleine, aber vage Hoffnung.
    Europa hatte andere Voraussetzungen
    "Wir brauchen einen Marshallplan für Afrika, wir brauchen viel mehr Hilfe von außen", hatte Mahmadou Issouffou, der Präsident des Niger, der Bundeskanzlerin kurz vor dem Besuch in dem Migrationszentrum in ungewöhnlich offener Schärfe vorgehalten. Auf offener Bühne folgte ein Beispiel für die politischen Diskussionen, die Angela Merkel auf ihrer Westafrika ansonsten hinter verschlossenen Türen führte: "Was ich aber nicht glaube, was allein reicht, ist zu sagen, wir machen jetzt mal einen Marshallplan für Afrika und jeder denkt an Europa nach dem Zeiten Weltkrieg. Da waren aber die Bedingungen ein bisschen anders."
    Was danach hinzufügte, war eine kleine Lehrstunde in europäischer Geschichte: gebildete Menschen, Firmen, die nach dem Krieg wieder aufgebaut wurden, ein Wirtschaftsmodell, das marktwirtschaftliche Kräfte frei setzte, funktionierende staatliche Strukturen zählt Merkel als Voraussetzungen für das Wirken des Marshall Plans in Europa auf. Eine Liste, die zugleich die Defizite der afrikanischen Länder benennt, die sie in diesen Tagen besuchte.
    Einen Marshallplan für Afrika gibt es nicht. Migrationspartnerschaften mit Europa sind das Hilfsangebot, das Merkel mitgebracht hat. Dass Europa nicht nur Grenzen sichern, sondern sich die Probleme Afrikas mehr als je zuvor zu eigen macht, ist die Hoffnung, die für die im ärmsten Land der Erde gestrandeten Migranten damit verbunden ist.