Kaum ein Staatsbesuch wurde in Polen bisher als so wichtig eingeschätzt: Regierungsnahe Kommentatoren in Polen bemühten sogar historische Vergleiche, so Tomasz Krawczyk vom konservativen Thinktank "Klub Jagiellonski":
"Das ist der wichtigste Besuch eines deutschen Politikers, seit Helmut Kohl 1989 nach Polen gekommen ist. Wir stehen am Scheideweg. Seit acht Jahren sprechen wir mit Deutschland nicht mehr über wirklich wichtige Fragen."
Deshalb wird Angela Merkel diesmal nicht nur mit den offiziellen Vertreter Polens sprechen, sondern auch mit dem mächtigen Mann, der hinter ihnen steht: Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der Regierungspartei PiS.
Kaczynski schlug laute Töne an
Kaczynski hat sich schon vor zwei Wochen zum Treffen mit der Bundeskanzlerin geäußert und dabei laute Töne angeschlagen:
"Wir werden über die deutsch-polnischen Beziehungen sprechen und über die Zukunft der EU. Diese Themen sind eng miteinander verbunden. Vor allem aber will ich der Bundeskanzlerin sagen, dass sich die Deutschen entscheiden müssen. Man kann uns nicht angreifen, unseren guten Namen durch den Schmutz ziehen und dann gute Beziehungen erwarten."
Der PiS-Vorsitzende unterstellte der Bundesregierung, dass diese dafür die deutschen Medien instrumentalisiere. Deren Berichterstattung erinnere ihn manchmal an die Polen-Hetze in der Weimarer Republik, so Kaczynski.
Diese Worte sehen Beobachter an die Wähler der PiS gerichtet - Kaczynski wolle sich als harter Verhandlungspartner geben. In einem Interview für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" von heute sprach Kaczynski deutlich wohlwollender über Merkel, vor allem, weil sie an den Wirtschaftssanktionen gegen Russland festhalte.
Ministerpräsidentin rechnet mit positivem Ausgang der Gespräche
Auch die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo machte gegenüber deutschen Journalisten deutlich, dass sie mit einem positiven Ausgang der Gespräche rechnet. Die polnische Regierung strebe eine Reform der Europäischen Union an, sagte die Regierungschefin, sie will Macht von Brüssel an die Mitgliedsstaaten zurückgeben. Die nationalen Parlamente sollten "mehr Kontrolle über den legislativen Prozess in der EU bekommen", so Szydlo. Dafür will die polnische Regierung sogar den EU-Vertrag ändern. Ein Ziel, das kaum zu erreichen sei, so der polnische Deutschland-Experte Piotr Buras. Trotzdem werde Angela Merkel auf Polen zugehen:
"Man weiß, dass in vielen Bereichen, in der europäischen Außenpolitik, vor allem Russland-Politik, in der europäischen Energiepolitik und vielen anderen, es sehr schwierig sein wird, Europa nach vorne zu bringen, ohne Polen mit an Bord zu haben. Und ich glaube, deshalb ist Deutschland bemüht, Polen bei der Stange zu halten."
Europa der mehreren Geschwindigkeiten als Lösung?
Auf den ersten Blick scheinen sich die Zielsetzungen zu widersprechen: Polen will weniger Integration, Deutschland mehr. Schon beim Sondergipfel der EU auf Malta hatte Angela Merkel darauf eine Antwort: ein Europa der mehreren Geschwindigkeiten. Die polnische Regierung verwirft dieses Konzept nicht grundsätzlich. Für Polen sei zentral, dass der gemeinsame Binnenmarkt nicht angetastet werde, so Merkels Amtskollegin Szydlo gegenüber deutschen Journalisten. Sie könne sich aber vorstellen, dass manche Länder in anderen Fragen ihre eigenen Regeln einer engeren Zusammenarbeit aufstellen, so die Regierungschefin.
Kaczynski und Szydlo stimmen zuletzt nicht ohne Grund milde Töne gegenüber Deutschland an, sagt Piotr Buras. Denn bald verliere Polen in der EU einen wichtigen Bündnispartner - Großbritannien:
Polen kann sich in Verteidigungspolitik engeres Bündnis vorstellen
"Das muss in Polen ein gewisses Umdenken herbeiführen, weil der Brexit zu einer Marginalisierung von Ländern wie Polen, der Tschechischen Republik oder Ungarns führt. Und hier stellt sich die Frage: Was ist der Ehrgeiz der polnischen Europa-Politik - wollen wir in Europa mitspielen oder wollen wir irgendwo am Rande des Geschehens bleiben?"
Zumindest in einem Punkt kann sich Polen eine engere Zusammenarbeit vorstellen: in der Verteidigungspolitik. Im Interview mit der FAZ schloss Jaroslaw Kaczynski selbst eine Atom-Supermacht Europa nicht aus. Der Grund liegt in Washington. Dass der neue US-Präsident Donald Trump mehrfach den Sinn der Nato in Frage stellte, ließ in Warschau die Alarmglocken läuten. Die polnische Regierung hatte es gerade als großen Erfolg gefeiert, dass die Nato von diesem Jahr an ständig Bataillone in Polen und den baltischen Staaten vorhalten wird - als Abschreckung gegen Russland.