Interview
Merkel kritisiert Scholz-Auftritt bei Rauswurf von Lindner

Die ehemalige Bundeskanzlerin Merkel hat die Reaktion ihres Nachfolgers Scholz im Zusammenhang mit dem Bruch der Ampel-Regierung und dem Rauswurf von Finanzminister Lindner kritisiert. Den Kurs ihrer Partei, der CDU, zur Migration hält sie ebenfalls für problematisch.

    Seitliche Aufnahme der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einem blauen Blazer vor schwarzem Hintergrund.
    Altkanzlerin Merkel (picture alliance / dpa / Fabian Sommer)
    Merkel erklärte gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Spiegel" anlässlich der Veröffentlichung ihrer Memoiren: "Als Olaf Scholz sich so ungeschminkt äußerte, gab es schon auch ein bisschen Unwohlsein im Publikum. Manche dachten: Wenn unser Bundeskanzler so außer Rand und Band ist, wie schlecht steht es dann um unser Land. Dies sei kein Paradebeispiel für Würde gewesen. Man verspüre im Amt des Bundeskanzlers viele Emotionen, aber es sei besser, man schreie die Wand in seinem Büro an als die deutsche Öffentlichkeit. Ihr spontaner Gedanke beim Anblick der Auseinandersetzungen zwischen Scholz und Lindner sei gewesen: "Männer!" Dinge persönlich zu nehmen, wie es Männer manchmal tun würden, sollte man in der Politik tunlichst vermeiden, so Merkel.
    Scholz hatte Lindner am 6. November nach einem Richtungsstreit vor allem über den Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik aus dem Kabinett geworfen, worauf die FDP ihre Minister aus dem Bündnis mit SPD und Grünen abzog. Scholz warf dem FDP-Vorsitzenden verantwortungsloses Verhalten vor und sagte über den Minister: "Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen." So sei ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich. 

    Merkel gegen Unionsforderung nach Zurückweisungen an Grenze

    Die Forderung der Unions-Parteien, Asylsuchende an der deutschen Grenze gegebenenfalls zurückzuweisen, hält Merkel unterdessen für falsch. Es sei eine Illusion anzunehmen, alles werde durch eine solche Maßnahme gut. Die EU müsse die Probleme im Zusammenhang mit Migration und Asyl gemeinsam an den Außengrenzen lösen. Sonst stehe es schlecht um die Freizügigkeit und den Binnenmarkt, sagte Merkel und warnte: "Das wäre ein Stück Rückabwicklung der europäischen Integration, mit Folgen, die man nicht abschätzen kann."
    Die ehemalige Regierungschefin verteidigte einmal mehr ihre Entscheidung von 2015, Flüchtlinge, die in Ungarn festsaßen, nach Deutschland einreisen zu lassen. Sie habe damals das Gefühl gehabt, sie hätte sonst "die gesamte Glaubwürdigkeit der Sonntagsreden über unsere tollen Werte in Europa und die Menschenwürde preisgegeben". Die Vorstellung, zum Beispiel Wasserwerfer an der deutschen Grenze aufzustellen, sei für sie furchtbar und keine Lösung gewesen, ergänzte die ehemalige Regierungschefin.

    Merkel gegen Söder-Absage an Schwarz-Grün

    Zur Forderung von CSU-Chef Söder, die Union solle ein Bündnis mit den Grünen ausschließen, erklärte Merkel: "Ich finde es nicht in Ordnung, dass Markus Söder und andere in CSU und CDU derart abfällig über die Grünen sprechen.". Vor dem Hintergrund der AfD und den Entwicklungen um das Bündnis Sahra Wagenknecht nannte Merkel es umso wichtiger, "dass diejenigen, die koalieren können, sich ihre Bündnisfähigkeit nicht noch selbst zerschlagen".
    Diese Nachricht wurde am 22.11.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.