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Merkel trifft Tsipras
Die Griechenlandkrise ist nicht vergessen

Kanzlerin Angela Merkel könne bei ihrem Griechenland-Besuch mit einem freundlicheren Empfang rechnen als zur Zeit der Euro-Krise, sagte Wirtschaftsjournalist Klemens Kindermann im Dlf. Massenproteste seien Vergangenheit, nach schmerzhaften Jahren und dem Ende des Hilfsprogramms erwarte Athen 2019 ein Wirtschaftswachstum.

Klemens Kindermann im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Merkel und Tsipras am 16.12.2016 im Bundeskanzleramt
    Bundeskanzlerin Merkel fliegt erstmals seit 2014 nach Griechenland und trifft sich mit Ministerpräsident Alexis Tsipras (dpa/AP/Markus Schreiber)
    Stefan Heinlein: Heute reist Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem zweitägigen Besuch nach Griechenland. Anlass für uns, im Wirtschaftsgespräch auf die Lage der griechischen Wirtschaft und der Banken zu schauen. Frage an Klemens Kindermann aus unserer Wirtschaftsredaktion – ist die griechische Wirtschaft immer noch das Sorgenkind der Eurozone?
    Klemens Kindermann: Sagen wir mal so, es ist ruhiger geworden. Diese dramatischen Zeiten des Jahres 2015, als Athen zwischen Baum und Borke war, fast raus war aus der Eurozone, sind vorbei. Die Kanzlerin kann mit einem freundlicheren Empfang rechnen, die Massenproteste gegen das in der Euro-Krise so vermeintlich harte Deutschland sind Vergangenheit.
    Denn – und das trägt zu der besseren Stimmung ganz erheblich bei – Griechenland hat Ende August den Euro-Rettungsschirm verlassen können. Das ist der erste Schritt zur Wiederherstellung der finanziellen Selbstständigkeit des Landes. Für 2019 wird immerhin mit einem Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent für Griechenland gerechnet.
    "Verlassen des Euro-Rettungsschirms Segen und Fluch zugleich"
    Heinlein: Griechenland ist ja vor allem wegen seiner hohen Verschuldung in die Krise geraten. Hat sich denn da etwas getan?
    Kindermann: Da kommen wir zu den Schattenseiten, Herr Heinlein. Griechenlands Schuldenlast ist trotz der Hilfen des Euro-Rettungsschirms auf schwindelerregende mittlerweile 335 Milliarden Euro angestiegen. Das entspricht über 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – absoluter Rekord in der Eurozone. Zum Vergleich: Das krisengeplagte Italien liegt bei 130 Prozent.
    Und hier zeigt sich, dass das Verlassen des Euro-Rettungsschirms Segen und Fluch zugleich sein kann. Denn das bedeutet, dass sich Athen jetzt wieder selbst Geld am Kapitalmarkt beschaffen muss. Und da sind die Anleger nach wie vor misstrauisch: 4,4 Prozent beträgt derzeit die Rendite zehnjähriger griechischer Staatsanleihen. Von keinem anderen Land in der Eurozone, auch nicht von Italien, verlangen die Investoren so hohe Zinsen.
    "Banken stehen besser da"
    Heinlein: Besonders im Fokus standen in der Eurokrise die griechischen Banken. Wie ist es denn um die mittlerweile bestellt?
    Kindermann: Also zunächst mal muss man festhalten, dass die Banken im Euroraum insgesamt durch die vielen neuen Regulierungen besser dastehen. Ich hatte Gelegenheit, jetzt zwischen Weihnachten und Neujahr dazu mit der EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger zu sprechen, die auch Vizechefin der EZB-Bankenaufsicht ist und ich habe sie gefragt, ob die Banken im Euroraum sicherer geworden sind:
    "Ja, das sind sie. Sie haben sehr viel mehr Kapital, Kapital von besserer Qualität. Sie halten sehr viel mehr Liquidität vor. Das Risikomanagement hat sich verbessert. Also ja, es ist viel getan worden im Euroraum."
    Die Banken also insgesamt sicherer – allerdings speziell die griechischen Banken haben unwahrscheinlich viele Kredite in den Büchern, die entweder nicht mehr bedient werden oder die akut ausfallgefährdet sind: Das sind fast die Hälfte aller Kredite überhaupt. Wie schwer das auf den Instituten lastet, sieht man an der Marktkapitalisierung der vier wichtigsten Banken, der Piräus Bank, der National Bank of Greece, der Eurobank und der Alpha Bank, die haben im letzten Jahr zwischen 40 und 70 Prozent an Wert eingebüßt. Also die Banken sind – trotz der besseren Regulierungen - immer noch für Griechenland, um im Bild des griechischen Helden zu bleiben, eine Achillesferse.
    Heinlein: Dann hoffen wir, dass es nicht noch zu einer Tragödie wird … vielen Dank, Klemens Kindermann.