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Merkel und die Corona-"Osterruhe"
Politologin: Schnelle Kurskorrektur stellt Vertrauen nicht wieder her

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat angekündigt, die "Osterruhe" in der Coronakrise wieder zurückzunehmen. Es sei gut, wenn man Fehler frühzeitig wieder korrigiere, sagte die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele im Dlf. Aber das Vertrauen der Bürger in die Regierung sei "nachhaltig beschädigt".

Andrea Römmele im Gespräch mit Bastian Brandau |
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nimmt ihren Platz ein, bevor die im Bundestag bei der Regierungsbefragung die Fragen der Bundestagsabgeordneten beantwortet. Ein Hauptthema sind die Oster- und Lockdown-Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz zu der Corona-Pandemie.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Regierungsbefragung im Bundestag (picture alliance/dpa | Kay Nietfeld)
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den Beschluss zu einer "Osterruhe" wieder gekippt. Es habe zu viele Fragen gegeben, die in der Kürze der Zeit nicht hätten gelöst werden können, sagte die Regierungschefin. Merkel bat die Bürgerinnen und Bürgern sowie die Abgeordneten im Bundestag um Verzeihung. Es fehle in der Pandemie an einem "klaren Krisen-Kommunikationsgesicht", sagte Andrea Römmele, Professorin für Politikwissenschaften und Kommunikationswissenschaften an der Hertie School of Governance in Berlin. Merkel sei zu wenig präsent.
  • Einschätzungen der Politikwissenschaftlerin Römmele zur Corona-Krisenstrategie der Regierung und der Bundeskanzlerin:
  • Kanzlerin Merkel hätte in den letzten Wochen mehr Präsenz zeigen müssen
  • Auch wenn die Länder bei der Pandemie-Bekämpfung eine wichtige Rolle spielten, sei die Kanzlerin "sehr viel stärker denn je gefragt"
  • Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger sei "nachhaltig beschädigt"

Bastian Brandau: Frau Römmele, welches Signal geht für Sie aus von einer kurzfristig neu angesetzten Schalte, einen Tag nach diesen Corona-Beschlüssen gestern Früh?
Andrea Römmele: Ja, ich sehe das ähnlich, wie es gerade auch schon angedeutet wurde, dass man auch Fehler eingestehen darf, und es auch gut ist, wenn man Fehler erkennt und sie dann frühzeitig wieder korrigiert. Das ist die eine Seite. Aber die andere Seite ist, dass das Vertrauen in die Regierung, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Regierung eigentlich nachhaltig beschädigt ist und auch jetzt so eine schnelle Kurskorrektur, die man durchaus auch positiv bewerten kann, das Vertrauen nicht wiederherstellt.
Die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele
Die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele (dpa/Horst Galuschka)
Brandau: Das heißt, wie würden Sie das auch als Kommunikationsexpertin bewerten? Wir haben ja diese Bund-Länder-Runde regelmäßig und die entscheidet dann über Corona-Schutzmaßnahmen. Heute wird kurzfristig was zurückgenommen. Wie effektiv ist da das Regierungshandeln im Moment?
Römmele: Sie hatten mich jetzt erst mal nach der Kommunikation gefragt. Da würde ich sagen, da fehlt es an klarer Richtung, und es fehlt auch an einem klaren Krisen-Kommunikationsgesicht. Frau Merkel war für mich in den letzten Wochen viel zu wenig präsent. Sie hätte sehr viel stärker in den Vordergrund treten müssen, weil in Krisenzeiten suchen Menschen Information und auch Orientierung. Dazu muss eine Führungspersönlichkeit dastehen, eine Führungspersönlichkeit das kommunizieren.
Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg
Woidke (SPD) zu Oster-Lockdown - "Wir müssen Zeit gewinnen, bis wir mit dem Impfen so weit sind"
Mittlerweile ist der Beschluss schon wieder gekippt: Mit Blick auf die steigenden Infektionszahlen sei die Entscheidung für einen verschärften Lockdown über die Ostertage richtig, sagte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) am 23. März im Dlf.
Ja, natürlich wissen wir, dass hier auch die Länder eine ganz große, eine ganz zentrale Rolle spielen, aber was ich massiv vermisse ist, dass hier die Parteipolitik außen vor bleibt und dass man gemeinsam versucht, eine Lösung zu finden. Da ist die Kanzlerin sehr viel stärker denn je gefragt.

Auswirkungen des Superwahljahrs

Brandau: Das würden Sie sehen. Das ist ja eine Konstellation im Moment: Wir haben erlebt, die Kritik kommt von allen Seiten, auch aus den Reihen der Großen Koalition. Bis auf die AfD sind ja auch alle im Bundestag vertretenen Parteien in den Ländern an den Regierungen beteiligt und damit irgendwie auch an diesen Bund-Länder-Beschlüssen. Können Sie im Moment noch klar sehen, wer da überhaupt Regierung ist und wer Opposition?
Römmele: Ich denke, eine Sache sieht man ganz klar, am allerklarsten, dass wir nämlich im Superwahljahr sind, dass hier parteipolitische Fragen, dass hier der Wahlkampf schon voll durchgreift, und das ist etwas, was, glaube ich, ganz klar zu sehen ist in der ganzen Gemengelage.
Brandau: Noch mal ein Blick auf die Union und diese Bitte an die Kirchen. Die Kirchen sollten doch ihre Gottesdienste virtuell durchführen. Wenn ich das bisher richtig verstanden habe, bleibt diese Bitte auch aufrecht erhalten. Das ist auf viel Kritik und Unverständnis gestoßen, ganz spezifisch auf die Union, die ja die Partei mit dem C im Namen ist. Was bedeutet das, in einer solchen Pandemie eine solche Maßnahme zu verabschieden und dann ja irgendwie auch vertreten zu müssen?
Römmele: Ganz ehrlich: Ich finde, da braucht es auch eine stärkere Kommunikation, vielleicht auch eine stärkere Aufklärung, dass man sagt, ja, wir haben das C im Namen, wir sind die Christliche Union, und natürlich sind uns gerade jetzt am Osterfest Gottesdienste ganz wichtig. Aber man kann auch sagen, und ich finde, man müsste das auch sagen, dass es ein Akt der Nächstenliebe ist zu sagen, bitte bleibt den Gottesdiensten fern, bitte keine Gottesdienste, weil wir dieses Virus begrenzen müssen, eingrenzen müssen, und dazu müssen wir die Kontakte absolut minimieren, größere Zusammenkünfte meiden, und dazu gehört auch noch mal der Gottesdienst dazu.
Ich denke, dass mit dieser Aufklärungsarbeit die Bürgerinnen und Bürger und auch diejenigen, die der Union sehr nahestehen, da durchaus auch Verständnis hätten. Mein Plädoyer an die Politik wäre, sehr viel stärker und nachhaltiger auch in den Dialog zu gehen und nicht nur nach einer Ministerpräsidenten-Konferenz in Pressekonferenzen den Austausch zu suchen, sondern immer wieder jeden Tag aufs Neue, weil wir in diesen Krisenzeiten klare Führung und klare Kommunikation brauchen.

"Mehr Dialog, mehr Erklärung, mehr Zuhören"

Brandau: Das ist ja auch eine Botschaft, die viele Fachleute aus den medizinisch-naturwissenschaftlichen Bereichen gegeben haben. Es liegt letztendlich an der Bevölkerung, an jeder und jedem einzelnen, ob wir diese Pandemie besiegen. Inwiefern müssen wir uns da selber an die Nase fassen, oder können wir da tatsächlich mehr Kommunikation erwarten von den Regierungen?
Römmele: Wenn wir uns die Umfragen genauer anschauen, dann ist ja die Bereitschaft der Bevölkerung oder die Unterstützung der Bevölkerung für diese härteren Lockdown-Maßnahmen absolut da. Es ist ja nicht so, dass die Bevölkerung sagt, wir verstehen das alle gar nicht. Aber es ist eine Vertrauensfrage jetzt von Seiten der Politik, eine Vertrauensfrage, die über mehr Kommunikation, mehr Dialog, mehr Erklärung, mehr Zuhören auch wieder aufgebaut werden muss.
Brandau: Man hört aus einzelnen Bundesländern, dass Menschen teilweise nicht bereit sind, die Maßnahmen mitzutragen. In der Nachbarregion zu Tschechien wurde das so kommuniziert. Was wären dort die Auswirkungen auf den politischen Prozess, wenn wir feststellen müssen, dass immer größere Teile – jetzt sind die Umfragen ausgeglichen – sagen, ich verstehe das alles nicht, das wird mir alles zu viel, ich habe keine Lust mehr, ich trage das alles nicht mehr mit und schädige damit letztendlich auch die Allgemeinheit?
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Römmele: Es ist ja auch wirklich ganz schwer nachzuvollziehen, warum man zum Beispiel nach Mallorca fliegen darf, aber nicht im eigenen Bundesland eine Ferienwohnung mieten darf. Das ist schwer nachzuvollziehen. Insofern wäre mein Plädoyer an die Bundesregierung, an die Kommunikationsstrategie, einheitliche, klar verständliche Regeln, die sich auch nicht widersprechen – und Mallorca und der Urlaub in der Ferienwohnung im Schwarzwald, der widerspricht sich. Das versteht die Bevölkerung auch. Das wäre mein Plädoyer.

In Krisenzeiten sei die Exekutive gefragt

Brandau: Sie plädieren für Einheitlichkeit, fordern bessere Kommunikation und auch mehr Sichtbarkeit von Angela Merkel. Die Frage steht ja auch im Raum: Diese Bund-Länder-Konferenz, das ist nach Meinung einiger nicht festgeschrieben, dass es nur die sein müsste, die das alles trägt. Der Verfassungsrechtler Christoph Möllers von der Humboldt-Universität in Berlin hat immer wieder darauf hingewiesen, es gäbe die Möglichkeit, nach dem Artikel 74 Absatz eins könne der Bund die Gesetzgebungskompetenz für Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren an sich ziehen. Wäre das jetzt nach einem Jahr der Pandemie und der teilweise schwer nachzuvollziehenden Beschlüsse eine gute Idee aus Ihrer Sicht für eine einheitliche und effektive Umsetzung der Maßnahmen?
Römmele: Ich glaube, es ist ja so, dass in Krisenzeiten immer erst mal die Exekutive gefragt ist. Insofern war das durchaus auch eine natürliche Entwicklung. Aber ganz klar ist auch, dass jetzt, je länger die Pandemie anhält, auch die Legislative, die Parlamente wieder mehr einbezogen werden müssen, und ich glaube, das in einem Mix mit einer klaren, verständlichen Kommunikationsstrategie mit klaren, verständlichen Ansagen, die sich nicht widersprechen, wäre ein Weg, um den Vertrauensverlust wieder langsam aufzubauen.
Brandau: Aber das könnte der Bundestag ja nach dem, was Herr Möllers sagt, tun, und dann hätte man nicht mehr diese widersprüchlichen Umsetzungen in den Ländern, sondern es wäre zumindest für einige Sachen klar, das gilt ganz grundsätzlich und alle müssen sich auch nach Bundesrecht daran halten.
Römmele: Genauso ist es.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.