Die Reformpläne von Kanzlerin Merkel bekommen immer mehr Feinschliff. Bei der Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung in Berlin konkretisierte die CDU-Politikerin noch einmal die Vorhaben, die sie vor einem Tag in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" vorstellte. Merkel schwebt eine stärkere Europäische Union vor, die auf mehreren Säulen fußt:
"Das ist erst mal eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Das ist zum Zweiten eine gemeinsame Entwicklungs-, Migrations- und Asylpolitik, das ist drittens eine Wissenschafts-, Wirtschafts- und Währungsunion, viertens eine Union der Bildung und der kulturellen Vielfalt und der Bewahrung der Schöpfung, und das ist viertens eine Union, die handlungsfähiger ist, als sie es heute ist."
Wie handlungsfähig die EU international ist, hängt für Merkel vor allem auch davon ab, wie einheitlich die Europäische Union nach außen agiert:
"Dass wir unsere nicht-ständigen Sitze - Deutschland wird hoffentlich wieder einen bekommen - im UN-Sicherheitsrat in Zukunft als europäische Sitze wahrnehmen, dass wir in der Europäischen Union einen Sicherheitsrat schaffen, der aus weniger Mitgliedern besteht, und die schneller agieren können."
Europäisches BAMF und europäischer Währungsfonds
Der Zusammenhalt Europas sei schließlich auch davon abhängig, wie gut sich die europäischen Partner in der Migrationspolitik abstimmen. Merkel will ein einheitliches europäisches Asylsystem, das in einer Art europäischem BAMF seinen Ausdruck finden könnte. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex soll zu einer Grenzschutzpolizei ausgebaut werden:
"Wir brauchen ein System der flexiblen Solidarität der Mitgliedsstaaten und wir brauchen eine konsequente Bekämpfung der Flucht-Ursachen - wir sagen einen Marshall-Plan mit Afrika."
Auch wirtschaftlich müsse Europa mehr an einem Strang ziehen: Europäische Forschungsnetzwerke sollen intensiviert werden. Euro-Ländern, die beim technologischen Fortschritt wie zum Beispiel der Künstlichen Intelligenz hintendran seien, sollte mit einem Investitionshaushalt geholfen werden, der mit einem Milliardenbetrag im unteren zweistelligen Bereich ausgestattet würde. Unklar ist allerdings noch, ob dieser Geldtopf Teil des EU-Budgets werden soll oder nicht. In künftigen Krisenfällen sollte sich die Europäische Union auch alleine helfen können, ein Plädoyer für mehr Unabhängigkeit vom Internationalen Währungsfonds:
"Wir sollten unseren eigenen europäischen Währungsfonds haben und wir sollten dort für alle Krisenfälle Vorsorge tragen. "
Der EWF soll - das hatte Merkel im Interview ausgeführt - langfristige Kredite vergeben können, um Ländern in schwierigen Lagen zu helfen. Diese Hilfen können auf 30 Jahre angelegt und sollen an Strukturreformen geknüpft werden. Aber auch kurzlebigere Kredite will Merkel ermöglichen. Die CDU-Politikerin betont, dass die Kredite nicht unbegrenzt sein dürften und auch vollständig zurückgezahlt werden müssten. Nationale Parlamente sollten beim Europäischen Währungsfonds ein Wort mitzureden haben.
Oppositionsparteien skeptisch
EWF? Ja, aber, sagt Grünen-Chefin Annalena Baerbock:
"Wir brauchen einen europäischen Währungsfonds, der unter der Kontrolle des europäischen Parlaments steht und nicht zwischenstaatlich organisiert ist, so wie das bei den ganzen Fragen der Finanzpolitik in den letzten Jahren ja gelaufen ist."
Für Christian Lindner, FDP-Chef, hören sich die Pläne Merkels zu sehr nach einer Transferunion an, bei der reiche Länder arme Länder mit Krediten versorgen, und zu wenig nach einer Stabilitätsunion, bei der auf sparsames Haushalten Wert gelegt wird:
"Entweder mehr Transfers oder Rückkehr zu den Regeln der Stabilität, Frau Merkel versucht sich in einem Mittelweg; in dem aus dem geplanten europäischen Währungsfonds eine Art Dispokredit wird für die Staaten, die sich gegenwärtig an den Kapitalmärkten nicht oder zu teuer finanzieren können, das sind Lösungen auf der Suche nach einem Problem".
Die SPD hat nach der Klausur ihrer Bundestagsfraktion ihre Vorstellungen zur Europapolitik vorgelegt. Auch die Sozialdemokraten unterstützen die Idee eines Investitionshaushaltes und die Überführung des ESM in einen EWF. Sie fordern darüber hinaus einen Sozialpakt, der soziale Rechte EU-weit garantiert, und sie verlangen eine Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping.
In einigen Punkten gehen sie stärker auf Vorschläge des französischen Präsidenten Macron ein - auch sie können sich perspektivisch einen europäischen Finanzminister vorstellen.