Kiesewetter stellte klar, dass Merkels Entscheidung vor einem Jahr richtig gewesen sei. Hätte Deutschland die Grenzen seinerzeit nicht geöffnet, hätten alle anderen Länder mit dem Finger auf Deutschland gezeigt und Deutschland wäre "der humanitäre Beelzebub Europas" geworden. Das, was Merkel vor einem Jahr geleistet habe, sei ein Beitrag zum europäischen Zusammenhalt gewesen.
Der CDU-Politiker betonte, die Union wisse, dass die Bevölkerung in Sorge sei. Es komme jetzt darauf an, das Handeln der Politik besser zu erklären. Dabei dürfe die Regierung durchaus selbstkritisch sein. Der SPD warf Kiesewetter eine Blockadehaltung vor - etwa wenn es um die Abschiebung in die Maghreb-Staaten gehe.
Das Interview in voller Länge:
Sarah Zerback: Platz drei, drittstärkste Kraft bei einer Landtagswahl, das gab es für die Volkspartei CDU noch nie. Und dann noch weniger Stimmen als die AfD. An der Wahlschlappe in Mecklenburg-Vorpommern hat die Union noch immer schwer zu knabbern. Da das zum großen Teil an Protestwählern liegt, die mit der aktuellen Flüchtlingspolitik nicht einverstanden sind, sieht nun die CSU ihre Stunde gekommen, um zu betonen, dass man das doch schon immer gesagt hätte. Schärfer soll er sein, der Kurs der Kanzlerin, und vielleicht, so fragt man sich jetzt vielfach an der Spitze der Schwesterpartei aus Bayern, vielleicht soll auch am Steuer eine andere sitzen.
Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Roderich Kiesewetter. Er sitzt für die CDU im Bundestag und im Auswärtigen Ausschuss. Guten Tag, Herr Kiesewetter.
Roderich Kiesewetter: Guten Tag, Frau Zerback. Ich grüße Sie.
Zerback: Nehmen wir mal das Zitat, das Stichwort, was wir gerade gehört haben, von Ralf Stegner auf. Ist Angela Merkels Zenit überschritten?
Kiesewetter: Das sehe ich nicht so. Im Gegenteil! Die SPD verhindert, dass zum Beispiel die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, und das Auftreten von Gabriel in den letzten Tagen war enttäuschend. Er hat ja quasi gegen die eigene Regierung gewettert. Es wäre viel besser, wenn diese Regierung die Erfolge in der Flüchtlingspolitik herausstellen würde, und da hat die SPD leider keinen Beitrag geleistet. Auch Sellering hat eher AfD-Deutsch in den letzten Wochen verwendet in Mecklenburg-Vorpommern. Hier, glaube ich, müssen wir herausstellen, was alles geleistet wurde, und das ist sehr viel.
Erfolge in der Flüchtlingspolitik besser vertreten
Zerback: Zu Beginn des Jahres, da haben Sie sich ja noch so geäußert, dass Sie die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin alternativlos nennen. Sehen Sie das heute noch genauso? Würden Sie das so wiederholen?
Kiesewetter: Sicher. Ich werde das auch so wiederholen, weil die Alternative damals, die Grenzen nicht zu öffnen, zu einem fürchterlichen Chaos in den wirtschaftlich deutlich schwächeren Ländern Österreich und Ungarn geführt hätte. Und zweitens haben wir in der Zwischenzeit eine wirklich sehr gute Asylgesetzgebung in Deutschland, viel besser als vorher. Wir haben ein Bundesamt, das viel besser in der Lage ist, Flüchtlinge zu registrieren, und es betritt kein Flüchtling mehr unregistriert unser Land. Das sind alles Erfolge. Das, was Angela Merkel vor einem Jahr geleistet hat, war ein Beitrag auch zum Zusammenhalt der europäischen Staaten, denn wir hätten sonst als Deutsche fürchterliche Kritik erhalten, wenn wir nicht humanitäre Hilfe und Herz gezeigt hätten. Dann hätten alle auf Deutschland gezeigt, dass Deutschland die Grenzen zumacht. Das bitte ich in dieser Sache intensiv zu bedenken.
Zerback: Aus Bayern, da werden die Töne jetzt schärfer. Das haben wir gehört aus der CSU. Auch die SPD hat ihren Kurs da korrigiert und wendet sich jetzt gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Sie unterstützen den Kurs weiterhin. Aber damit, muss man sagen, gehören Sie auch in Ihrer Partei fast schon zu einer Minderheit.
Kiesewetter: Das sehe ich nicht so. Ich denke sehr deutlich, dass klar ist, dass diese Entscheidungen, die wir getroffen haben, Zeit brauchen. Aber es ist inzwischen auch klar geworden: Beim Bundesparteitag in Karlsruhe hatten wir versprochen, die Flüchtlingszahlen zu reduzieren. Damals hatten wir 3.500 Flüchtlinge am Tag. Heute sind es unter 200. Deutschland hat mitgeholfen, dass die Zahlen reduziert werden. Wir haben erreicht, dass Griechenland und die Türkei sich endlich nach Jahrzehnten einer versteckten Feindschaft zu einem Arrangement durchgerungen haben, wo gerade mal vielleicht 80 bis 100 Flüchtlinge aus der Türkei am Tag nach Europa kommen. Vorher waren es Tausende. Das sind ja alles Erfolge, die müssen wir besser vertreten, wir müssen sie auch besser erklären, und ich bin sehr gespannt auf die konstruktiven Vorschläge der CSU, die die CSU ja am Wochenende machen möchte.
"Es ist in den Kommunen Entspannung eingetreten"
Zerback: Aber genau daran kommt ja auch aus den eigenen Reihen Kritik. Wir haben es gerade im Beitrag noch mal gehört. Wolfgang Bosbach, Ihr Parteikollege sagt, es reicht eben nicht, immer nur besser zu erklären. Was entgegnen Sie ihm?
Kiesewetter: Ich würde mir wünschen, dass auch Wolfgang Bosbach mal erklärt, was wir gemacht haben: Asylpaket eins: Vorrang von Sach- und Geldleistungen in den Erstaufnahme-Einrichtungen, keine Ankündigung mehr von Abschiebungen. Asylpaket zwei: Einschränkung des Familiennachzugs, Aufbau von Registrierzentren, Einschränkung von Abschiebehindernissen, eine ganze Menge. Das BAMF ist erheblich besser und leistungsfähiger. Was jetzt fehlt ist, dass wir die Blockade von SPD und Grünen überwinden, den Maghreb zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Die Maghreb-Staaten sind ja bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, aber SPD und Grüne blockieren die Rückführung. Des Weiteren haben wir erreicht, dass inzwischen Zehntausende Flüchtlinge freiwillig zurückgekehrt sind. Es sind meines Wissens in diesem Jahr über 35.000 Flüchtlinge freiwillig zurückgekehrt. Dazu kommt, dass wir Abschiebungen nicht mehr ankündigen. Es sind eine ganze Reihe Erfolge. Die Kommunen haben leer stehende Aufnahme-Einrichtungen. Bei mir in Ellwangen hatten wir im letzten Jahr 4.500 Flüchtlinge; heute sind es gerade mal 250. Es ist in den Kommunen Entspannung eingetreten. Wir entlasten die Kommunen bei der Aufnahme in der Anschlussunterbringung. All das muss deutlicher erklärt werden, das sehe ich genauso. Diese Kritik kann ich teilen. Aber die Wirkung ist klasse und außerdem haben wir…
"Als CDU und CSU gemeinsam stärker zusammenhalten"
Zerback: Aber der Wähler scheint sie nicht zu goutieren, diese Erfolge.
Kiesewetter: Ja! Und das ist aus meiner Sicht der Punkt, wo wir als CDU und CSU gemeinsam stärker zusammenhalten müssen, wo wir uns nicht gegenseitig befehden dürfen, sondern wirklich konstruktiv gemeinsam nach vorne blicken. Die Bevölkerung ist doch auch deswegen so verunsichert, weil CDU und CSU sich streiten. Ich würde mich so freuen, wenn Seehofer deutlich machen würde, was alles gemeinsam auch durch Druck der CSU in der Asylgesetzgebung, in der Integrationsgesetzgebung erreicht wurde. Stattdessen sind die Töne dort, ich sage es mal so, dass wir da aneinander arbeiten müssen. Aber Sie werden von mir kein Bashing der CSU hören, sondern ich hoffe auf konstruktives Miteinander, denn die CSU hat ja ihre Verdienste daran, dass wir eine vernünftige Gesetzgebung jetzt haben. Und das dürfen wir nie vergessen: Wenn wir die Grenzen nicht geöffnet hätten, wären wir der humanitäre Beelzebub Europas. Und wir sind jetzt jemand, der gezeigt hat, was ein reiches Land leisten kann. Bei weltweit über 60 Millionen Flüchtlingen streben nur vier Millionen nach Europa. Davon sind die meisten an der Peripherie Europas in Aufnahmezentren, die mit deutschen Geldern mitfinanziert werden. Wir halten ja die Flüchtlinge schon an den Grenzen Europas. Und in Deutschland, da scheint ein Riesenzusammenbruch zu sein, wenn wir als reiches Land gerade mal eine Million Menschen aufnehmen. Die Türkei hat dreieinhalb Millionen Menschen aufgenommen. Jordanien und Libanon ein Viertel ihrer Bevölkerung als Flüchtlinge. Ich glaube, wir müssen mal wieder das Maß finden und unserer Bevölkerung auch sagen, uns geht es sehr gut, lasst uns das Leid teilen, aber lasst uns auch aufmerksam sein denen gegenüber, die unsere Gesellschaft nicht wollen. Die müssen abgeschoben werden, die müssen Recht und Gesetz spüren. Und wir müssen auch sehr klar deutlich machen, dass unsere Gesetze gelten.
"Ich warne davor, die AfD-Wähler zu verteufeln"
Zerback: Herr Kiesewetter, wenn ich Sie da mal unterbrechen darf. Das klingt natürlich alles sehr positiv. Aber gleichzeitig muss man doch vielleicht auch fragen, ob jetzt nicht mal die Zeit dafür ist, kritische Zwischenbilanz oder Bilanz vielleicht sogar auch zu ziehen. Angela Merkel hat das so in der Art gestern getan. Sie hat sich erstaunlich selbstkritisch geäußert, hat sich selbst eine Mitverantwortung auch an der Wahlschlappe in Mecklenburg-Vorpommern angelastet. Das sind ja ziemlich ungewohnte Töne. Wie bewerten Sie die persönlich?
Kiesewetter: Das zeigt, dass die Kanzlerin mitten in der Wirklichkeit steht, dass sie auch bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, nicht nur für unser Land, sondern auch für ihre Entscheidungen und die Entscheidungen ihres Kabinetts, das ja von CSU und SPD mitgetragen wird. Und wenn die Kanzlerin Verantwortung übernimmt, dann übernimmt auch die gesamte Regierung Verantwortung. Das ist ja in Ordnung. Ich warne auch davor, die AfD-Wähler zu verteufeln. Wir müssen entlarven, welche Typen in der AfD Verantwortung übernehmen wollen. Aber dass die Bevölkerung in Sorge ist, das zeigen ja nicht nur die Wahlergebnisse, das wissen wir alle auch aus unseren Wahlkreisen. Und deshalb hat ja die Regierung gehandelt, und hier kommt es auch darauf an, dass wir das besser erklären und dass die Kanzlerin hier auch Zugeständnisse macht, dass man das vielleicht noch deutlicher machen muss. Das ist ja ein gutes Zeichen, dass die Regierung auch selbstkritisch ist.
Zerback: Sagt der Bundestagsabgeordnete der CDU, Roderich Kiesewetter. Besten Dank für das Gespräch heute im Deutschlandfunk.
Kiesewetter: Gerne! Auf Wiederhören, Frau Zerback.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.