Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat die Idee einer europäischen Verteidigungsarmee in die aktuelle Debatte gebracht. Im Parlament in Straßburg erhielt er die Antwort dazu von Kanzlerin Merkel. Sie verwies auf eine immer stärkere, militärische Zusammenarbeit unter den EU-Staaten und stellte in Aussicht:
"Das sage ich sehr bewusst aus der Entwicklung der letzten Jahre. Wir sollten an der Vision arbeiten, eines Tages auch eine echte europäische Armee zu schaffen."
Die Rede wurde über weite Teile von Buhrufen begleitet; die Kanzlerin verteidigte sich gegen Vorwürfe, mit einer europäischen Armee Doppelstrukturen zur NATO zu fördern:
"Ich bitte Sie! Das kann eine gute Ergänzung zur NATO sein, niemand möchte klassische Verbindungen infrage stellen."
Plädoyer für Solidarität und Toleranz
Kanzlerin Merkel hob über weite Strecken ihrer Rede hervor, dass Solidarität und Toleranz zu den wichtigsten Werten der EU gehörten. Wo europäische Staaten gemeinsam mehr erreichen könnten, sollten sie bereit sein, Kompetenzen abzugeben. Dabei ging Merkel etwa in der Migrationspolitik auf die Weigerung mancher Staaten ein, nationale Kompetenzen zugunsten der gestärkten Grenzschutzagentur Frontex abzugeben, allerdings gab sich Merkel hierbei auch selbstkritisch:
"Zum Beispiel haben wir in den Jahren vor 2015 viel zu lange gebraucht, um auch für uns als Deutschland die Flüchtlingsfrage als eine Frage für alle Staaten der Europäischen Union anzunehmen."
In der Migrationspolitik müsse die EU also stärker zusammenarbeiten. Auch die Kooperation mit afrikanischen Staaten müsse vertieft werden. Außen- und sicherheitspolitisch sollte Europa wo möglich mit einer Stimme sprechen. Kanzlerin Merkel regte etwa eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik an. Bei manchen außenpolitischen Entscheidungen sei es auch notwendig, vom Einstimmigkeitsprinzip abzurücken. Wirtschaftspolitisch sollte Europa Schritt halten können mit Entwicklungen auf dem Weltmarkt, bei modernen Technologien wie der Produktion von Batteriezellen sollte auch die EU eine Rolle spielen. Eine Digitalsteuer für große Internetfirmen sei sinnvoll, allerdings auf internationaler Ebene.
Kritik an Staatsverschuldung
Ohne die Staaten beim Namen zu nennen, kritisierte Merkel auch Italien, Polen und Ungarn für ihre gegenwärtige Politik. Wer sich zu sehr verschulde, der gefährde die Stabilität aller Euro-Staaten. Wer Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit beschneide, gefährde diese Werte für die gesamte Europäische Union. Der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, nahm die außen-und verteidigungspolitischen Vorstöße der Kanzlerin positiv auf:
"Wenn wir Richtung europäische Armee gehen, wenn wir weg von der Einstimmigkeit zum Mehrheitsprinzip gehen, dann kann aus dieser Europäischen Union auch ein politischer Gigant werden."
Doch aus dem Parlament war auch Kritik an der Kanzlerin zu hören. Udo Bullmann, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion, appellierte an Merkel, innerhalb der EVP-Fraktion für klarere Verhältnisse zu sorgen.
"Ist das die EVP von Kommissionspräsident Juncker, und das wird auch ein Problem für Manfred Weber werden, ist das die EVP ihrer europapolitischen Rede oder ist es die EVP von Herrn Kurz, dem Ratspräsidenten, der gerade dabei ist, den Rücken zu kehren zum Migrationspakt der Vereinten Nationen oder ist es sogar die EVP von Herrn Orban?"
Kritik an der Kanzlerin
Ska Keller, Grünen-Ko-Fraktionsvorsitzende kritisierte eine Blockadehaltung der Bundesregierung. Viele ambitionierte Klimaziele des Parlaments würden von Deutschland abgeschwächt, ein EU-weiter Beschluss zur Einführung einer Digitalsteuer gebremst.
"Schreiten Sie voran für echten Klimaschutz, für eine stabile Eurozone und für ein Ende der Steuerbetrügereien, wenn das größte Mitgliedsland auf der Bremse steht kommen wir nicht voran wir brauchen Aufbruch für Europa."
Kanzlerin Merkel ist im Debattenformat zur "Zukunft Europas" aufgetreten. Bei dem stellen EU-Staats- und Regierungschefs nacheinander seit Beginn des Jahres ihre europapolitischen Ideen vor. Der Gedanke dahinter ist, die EU-Regierungen stärker an das Parlament zu binden.