Es war eine durchaus denkwürdige Entwicklung, die die deutsche Politiklandschaft sicher nachhaltig verändern wird: Der Verzicht der Kanzlerin auf den Parteivorsitz der CDU. Claudia Roth, die am Sonntagvormittag unter der Reichstagskuppel, eingerahmt von klassischer Musik des Deutschen Symphonieorchesters, über Kultur, Politik und ihre Arbeit als Bundestagsvizepräsidentin plauderte, nahm zu der am Montag bekannt gewordenen Entscheidung Angela Merkels Stellung:
"Dass Frau Merkel, bevor sozusagen die Maskulinisten aufmaschieren, selber das in die Hand genommen hat und sehr selbstbestimmt gesagt hat: Ich sage, wann ich bestimmte Funktionen aufgebe, dafür hat sie meinen Respekt. Es ist irgendwie schon so Totentanz angesagt, Frau Merkel hat gesagt, sie will nicht mehr kandidieren als Parteivorsitzende. Sie hat nicht gesagt, dass sie sofort die Kanzlerschaft aufgibt und insofern muss man jetzt mal sehen, wie sich das in ihrer Partei entwickelt und dieser demokratische Wettbewerb, wie das entschieden wird."
Gerade in Großbritannien, das selbst wegen des im nächsten März anstehenden Brexits tief verunsichert sei, spüre man die Sorge und vor allem die Frage, was jetzt im so stabilen Deutschland passiere.
"Wir erleben in Großbritannien eine riesige Spaltung, denn wenn Sie nach Schottland gehen, die sind ja glühende Europäer und Europäerinnen. Sie haben eine Spaltung zwischen der Metropole London und ehemaligen Regionen wie Liverpool, Leicester, Manchester. Sie haben eine Spaltung zwischen den Generationen. In Großbritannien haben bei den Brexit-Abstimmungen nur dreißig Prozent der jungen Generation teilgenommen, die dann hinter her sich beklagen und sagen: Jetzt haben uns die Alten unsere Zukunft verzockt. Es gibt immer noch den Versuch, diesen Wahnsinn, wenn ich das so sagen darf, weil es eine wirklich falsche Entscheidung ist, zurückzuholen. Es waren in den letzten Tagen und Wochen 700.000 Menschen auf den Straßen, die für ein zweites Referendum eintreten."
Stabilität in Europa
Claudia Roth empfindet es als ein lebensgeschichtliches Glück, 1989 ins Europaparlament gewählt worden zu sein. Sie glaubt an ein gemeinsames, starkes, demokratisches Europa, das gerade heute wieder mehr Bedeutung habe:
"Weil wir mehr und mehr umgeben sind von Demokratiefeinden, von Rechtsstaatsverächtern, von den Trumps, und den Putins, von den Erdogans."
Meinungsfreiheit dürfe nicht zur Verhetzung von Minderheiten führen. Es solle im Parlament gestritten werden, aber Anstand sei wichtig. Man brauche eine Politik, die sich nicht darauf einlasse zu behaupten, der Rückzug in den Nationalstaat, das Bauen von neuen Mauern sei es, sondern die sagt:
"Wir brauchen mehr Europa gerade angesichts der großen globalen Herausforderungen. Das ist unsere Chance, dafür müssen wir werben, mit einer klaren Haltung gegen jede Form von Rassismus, Sexismus, Fremdenhass und Rechtsextremismus in unserem Land."
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