Erst Snippen und dann den o-ha!-Button drücken. So läuft das bei Merkurist.de, einem lokalen Medien-Startup aus Rheinland-Pfalz. Mit einem Snip können die Leserinnen und Leser selbst ein Thema vorschlagen; und mit einem Klick auf den o-ha!-Button können sie für ein bestimmtes Thema abstimmen, damit sich die Redaktion damit befasst.
Merkurist-Geschäftsführerin Sarah Heil hält das für den richtigen Weg, "weil wir glauben, dass der Leser eigentlich viel besser weiß, was in seiner Stadt los ist. Der kriegt viel mehr mit als fünf Redakteure bei uns in der Redaktion das könnten. Der weiß auch, welche Themen ihn interessieren, welche Themen er lesen möchte. Und dann produzieren wir nicht am Leser vorbei, sondern wir produzieren ausschließlich das, was wirklich auch auf Interesse bei unseren Lesern, bei unserer Community stößt, sparen uns somit überflüssige Themen, vermeintlich überflüssige Themen, und können da sehr viel zielgenauer Leser eben auf unsere Seite bringen."
Es menschelt ordentlich
So geschieht das inzwischen in Frankfurt am Main, Wiesbaden und Mainz. Und daraus entstehen vor allen Dingen Texte zu Polizeieinsätzen, Unfällen, Baustellen oder Neueröffnungen von Restaurants. Und es menschelt ordentlich auf den Merkurist-Seiten.
"Da hatten wir zum Beispiel einmal einen Busfahrer, der seinen Stadtbus mitten in der Stadt angehalten hat, um einer blinden Frau über die Straße zu helfen. Wir hätten das nie mitbekommen, weil wir nicht in dem Bus saßen. So. Es hat uns aber ein Leser einen Snip geschickt. Der fand das ganz toll und fand das so hilfreich von dem Busfahrer. Dann haben wir versucht, den Busfahrer ausfindig zu machen, haben das mit Erfolg getan und hatten eine total schöne Geschichte, warum dieser Busfahrer jetzt ausgerechnet sich bemüßigt fühlte, der Frau über die Straße zu helfen. Das sind Themen, auf die wir selbst nicht gekommen wären."
Konkurrenz kann das Geschäft beleben
In den meisten Fällen sind das also keine tiefgreifenden Recherchen, keine hochpolitischen Geschichten. Trotzdem kommt Merkurist nach eigenen Angaben alleine in Mainz auf circa 30.000 Seitenaufrufe pro Tag. Inzwischen investiert sogar der örtliche Zeitungsverlag in das Startup; wohl in der Hoffnung, dass das Angebot bald rentabel wird. Dass es überhaupt neue Marktteilnehmer wie Merkurist gibt, ist eine durch und durch positive Entwicklung, meint die Journalistik-Professorin und Lokaljournalismus-Expertin Wiebke Möhring von der TU Dortmund.
"Allein die Tatsache, dass es zum Beispiel plötzlich einen neuen Informationsanbieter oder aber sogar einen journalistischen Anbieter gibt, der ihnen vielleicht noch nicht mit Blick auf Reichweite und inhaltlichem Spektrum Konkurrenz machen kann, aber allein die Tatsache, dass dort jemand ist, der auch hinschaut, führt einfach dazu, dass eben auch in den Redaktionen möglicherweise auch noch mal wieder anders auf bestimmte Themen geschaut werden kann."
Correctiv.Lokal setzt auf Recherchen
Aber nicht nur privatwirtschaftliche Konkurrenz kann beflügeln, auch Kooperationen können den Lokaljournalismus nach vorne bringen. Zum Beispiel, wenn es um große Recherchen geht. Dieser Meinung sind die Macher von Correctiv.Lokal, einem Netzwerk für Lokaljournalisten, initiiert vom gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv.
Justus von Daniels, dem Leiter von Correctiv.Lokal, ist aufgefallen, "dass auch bei den großen Recherchen, die es bundesweit und international gibt, immer mehr Recherchen in einem Netzwerk oder einer Kooperation stattfinden, weil es einfach anders gar nicht geht. Und warum soll man diese Art von Kooperationen, die es bei den Panama Papers meinetwegen gab, warum soll man das nicht auch lokal organisieren?"
Leserinnen und Leser einbinden
Von Daniels will den Verlagen also im Gegensatz zu Merkurist.de keine Konkurrenz machen, sondern sie unterstützen, zum Beispiel mit datenjournalistischer Expertise. Aktuell arbeiten er und sein Team am Projekt "Wem gehört die Stadt" und recherchieren zusammen mit Lokalzeitungen aus verschiedenen Regionen. Dafür bitten sie auch die Leserinnen und Leser um Mithilfe, etwa wenn es um die Frage geht, welche Mietverhältnisse es in einer bestimmten Stadt gibt. Damit will Correctiv dazu beitragen, dass Lokaljournalismus im Gespräch und gleichzeitig auf der Höhe der Zeit bleibt.
"Solche Möglichkeiten, wie, dass sich Bürger beteiligen können, Plattformen zu schaffen, wo Bürger auch selber stattfinden können in der Lokalzeitung, ist für mich auf jeden Fall ein ganz ganz wichtiger Weg, um genau das zu verhindern, nämlich dass es irgendwann gar keinen Lokaljournalismus mehr gibt. Der richtige Weg ist, den Lokaljournalismus in ein neues Zeitalter zu heben. Und das geht eben nur, wenn man die Bürger anders einbindet und ihnen Möglichkeiten schafft, sich da auszudrücken in der Zeitung. Auch wenn die Zeitung irgendwann nicht mehr gedruckt wird."