Als Reaktion auf den tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg schlägt CDU-Chef Friedrich Merz weitgehende Konsequenzen in der Asyl- und Migrationspolitik vor. Er werde im Falle einer Regierungsübernahme von seiner Richtlinienkompetenz als Kanzler Gebrauch machen und Zurückweisungen an den Grenzen anordnen.
Außerdem ist die von Merz geführte Unionsfraktion nun offenbar bereit, auch mit Stimmen der AfD entsprechende Anträge im Bundestag durchzusetzen. Die Union hätte laut Nachrichtenagentur Reuters eine mögliche Mehrheit im Bundestag zusammen mit AfD, BSW und FDP. Ob es wirklich noch vor der Wahl zu Beschlüssen kommt, ist unklar. Über eingebrachte Anträge wird zwar im Bundestag beraten, sie landen aber meist in Ausschüssen, so dass vor der Bundestagswahl keine Schlussabstimmung möglich wäre.
Was schlägt Merz nach Aschaffenburg vor?
Unions-Kanzlerkandidat Merz kündigte für den Fall seiner Wahl zum Regierungschef an, am ersten Tag im Amt das Innenministerium anzuweisen, alle Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und alle illegalen Einreisen zurückzuweisen. Das gelte auch für Menschen mit Schutzanspruch. „Es wird ein faktisches Einreiseverbot in die Bundesrepublik Deutschland für alle geben, die nicht über gültige Einreisedokumente verfügen oder die von der europäischen Freizügigkeit Gebrauch machen.“
„Es wird unter meiner Führung fundamentale Änderungen des Einreiserechts, des Asylrechts, des Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik Deutschland geben“, sagte Merz. „Wir werden diesen Zustand beenden.“ Der Kanzlerkandidat kündigte eine Verschärfung von Ausreisegewahrsam und Abschiebehaft an und er will mehr Kompetenzen für die Bundespolizei. Die EU-Asylregeln seien dysfunktional. „Deutschland muss daher von seinem Recht auf Vorrang des nationalen Rechts Gebrauch machen.“
Merz betonte, dass die von ihm geforderten Konsequenzen Bedingungen für eine Koalitionsregierung unter seiner Führung sein sollen. „Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht“, sagte Merz. „Ich sage nur: Ich gehe keinen anderen.“ Wer den Weg mit ihm gehen wolle, müsse sich nach diesen Punkten richten. „Kompromisse sind zu diesen Themen nicht mehr möglich.“
Merz will zudem bereits vor der Wahl Anträge in den Bundestag einbringen. Ziel ist eine Verschärfung der Migrationspolitik. Dabei nimmt die Union ganz offensichtlich in Kauf, dass es Mehrheiten mit der AfD geben könnte: Man werde die Anträge einbringen, „unabhängig davon, wer ihnen zustimmt“, so Merz.
Der Kanzlerkandidat betonte: „Wir stimmen keinem einzigen AfD-Antrag zu, weil wir sämtliche Themen, die wir für richtig halten, von uns aus in den Bundestag einbringen.“ Merz weiter: „Wer diesen Anträgen zustimmen will, der soll zustimmen. Und wer sie ablehnt, der soll sie ablehnen. Ich gucke nicht rechts und nicht links. Ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus.“ Im November hatte Merz nach dem Scheitern der Ampel noch erklärt, er wolle im Bundestag keine "Zufallsmehrheiten mit der AfD“.
Welche politischen Reaktionen gibt es?
AfD-Chefin Alice Weidel erneuerte ihre Aufforderung an die Union, mit ihrer Partei zusammenzuarbeiten. Sie hatte bereits vor der Ankündigung der Anträge durch Merz eine Bundestags-Abstimmung über eine „Schließung der Grenzen und die Zurückweisung Illegaler“ gefordert. "CDU und CSU haben mein Angebot angenommen", deutete Weidel die Ankündigung von Merz auf der Plattform X.
Dirk Wiese, Vizechef der SPD-Fraktion im Bundestag, warf Merz vor, das Ende der sogenannten Brandmauer, also der strikten Abgrenzung von der AfD, einzuleiten. „Merz scheint den Weg von Österreich zu gehen. Verantwortungslos“, so Wiese. In Österreich hatte sich die konservative ÖVP für eine Kanzlerschaft des extrem rechten FPÖ-Chefs Kickl geöffnet – nachdem man dies zuvor kategorisch ausgeschlossen hatte.
Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck warnte Merz vor einer Kooperation mit der AfD - und erinnerte an frühere Aussagen des CDU-Chefs: „Eine Zusammenarbeit unter seiner Führung wird es mit der CDU in Deutschland nicht geben, er knüpfe sein Schicksal als Parteivorsitzender der CDU an diese Antwort. Ich nehme Friedrich Merz beim Wort, dieses Wort darf nicht gebrochen werden - ich fürchte nur, Friedrich Merz steht kurz davor, das zu tun.“
Das furchtbare Verbrechen von Aschaffenburg werde im Wahlkampf mit „massivem Populismus instrumentalisiert“, sagt die Innenexpertin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic. „Friedrich Merz weiß sehr genau, dass das, was er fordert, Europarecht widerspricht.“ Mihalic plädierte dafür, „mehr öffentliche Sicherheit“ herzustellen und sich mit dem ganz konkreten Fall auseinanderzusetzen – etwa mit dem Umgang mit psychischen Erkrankungen.
Was könnte der neue Merz-Kurs für die Koalitionsfrage nach der Wahl bedeuten?
Beobachter gehen davon aus, dass die Merz-Festlegungen Konsequenzen für die mögliche Koalitionsbildung nach der Bundestagswahl haben könnten. Schwarz-Grün wird dadurch eher noch unwahrscheinlicher. Ohnehin betont CSU-Chef Markus Söder seit Wochen öffentlich seine Ablehnung einer Zusammenarbeit mit den Grünen – unter anderem auch unter Verweis auf die Asyl- und Migrationspolitik.
Die Tonlage von Merz erinnere stark an Donald Trump, so die Einschätzung von Dlf-Hauptstadtkorrespondentin Katharina Hamberger. In Deutschland gebe es aber nicht die Möglichkeit für einen Kanzler, per Dekret zu regieren. Die von Merz angeführte Richtlinienkompetenz sehe im Ausnahmefall vor, dass der Kanzler solche Anweisungen machen könne. „Nur: Bevor jemand Kanzler wird, wird er ja noch Koalitionsverhandlungen führen müssen. Also ist schon die Frage, ob dann ein Koalitionspartner das mitgehen wird oder sagt, wenn du das machst, dann gehen wir einfach nicht in diese Koalition rein.“ Eine Koalition mit der AfD schließt die Union weiter aus.
Innerhalb der Union dürfte die aktuelle Entwicklung zudem die Debatte über die „Brandmauer“ neu befeuern. Viel dürfte davon abhängen, ob CDU und CSU wirklich im Bundestag mit Stimmen der AfD Anträge zu migrations- und asylpolitischen Vorhaben durchsetzen. Das wäre ein Novum. Laut einer aktuellen Umfrage des ZDF-„Politbarometers“ wird die bisherige strikte Abgrenzung von der AfD von einer klaren Mehrheit der CDU/CSU-Anhänger (73 Prozent) unterstützt. Kritiker werfen der CDU schon länger vor, dass sie in Ostdeutschland bereits in Landtagen und Kommunen gemeinsam mit der AfD abgestimmt hat.
Wie ist die Merz-Initiative europarechtlich und aus Sicht der Polizei zu bewerten?
EU-rechtlich sind die Pläne der Union höchst umstritten. Eigentlich darf Deutschland Asylsuchende nach den Dublin-Regeln nicht einfach abweisen, sondern muss den Asylantrag prüfen.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält die Merz-Pläne für nicht durchsetzbar. "Wir haben eine Länge von 3.800 Kilometern Binnengrenzen. Wir sind mit der Art und Weise der Grenzkontrollen, die wir jetzt schon betreiben, am Rande des Machbaren", sagte der GdP-Vorsitzende für den Bereich Bundespolizei, Andreas Roßkopf, am Freitag im MDR-Radio. Für die Pläne von Merz seien "nicht nur hunderte, sondern tausende Kollegen mehr" nötig.
Dass Merz alle Flüchtlinge ohne gültige Dokumente zurückzuweisen wolle, sei deshalb "nicht umsetzbar", sagte Roßkopf. Neue Beamtinnen und Beamte müssten auch erst ausgebildet werden, was zwischen zweieinhalb und drei Jahren dauere. Nötig seien aus seiner Sicht auch Investitionen in moderne Hilfsmittel wie Drohnen- und Kennzeichenerfassungs-Technik.
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