"Brandmauer" zur AfD
Warum der Richtungsstreit in der CDU eskaliert

Die Ampel-Regierung steht in Umfragen schlecht da. Aber die größte Oppositionspartei CDU hat ihre eigenen Probleme: Der Kurs von Parteichef Merz ist nicht unumstritten. Vor allem der Umgang mit der AfD sorgt parteiintern für Zündstoff.

    Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU Fraktion.
    Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sucht nach Wegen, wie seine Partei stärker von den Schwächen der Bundesregierung profitieren könnte. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Modern oder konservativ? Mehr Wirtschaftskompetenz oder mehr soziales Profil? Schwarz-Grün oder lieber nicht? Die CDU sucht den richtigen Kurs. Dabei wird immer wieder das Verhältnis zur AfD thematisiert.

    Inhaltsverzeichnis

    Wo steht die CDU?

    Im Sommer 2023 debattierte die CDU über ihre inhaltliche Ausrichtung – und auch die Frage, wer Kanzlerkandidat werden soll, rückt langsam in den Fokus des Interesses. Hinzu kommt die Debatte um den Umgang mit der AfD - gerade mit Blick auf drei Landtagswahlen in Ostdeutschland 2024 - und das Parteiverfahren gegen den Chef der Werte-Union Hans-Georg Maaßen.
    Nach der verlorenen Bundestagswahl 2021, dem Rücktritt des gescheiterten Kanzlerkandidaten Armin Laschet vom Parteivorsitz und dem Ende der Ära Merkel begann die CDU damit, sich neu aufzustellen. Friedrich Merz kündigte als neuer Parteichef an, die Partei werde bis 2024 ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten. Neben mehreren Landtagswahlen steht 2024 auch die Europawahl an. Bei der letzten Europawahl 2019 hatten die Unionsparteien knapp 29 Prozent geholt. In Umfragen lagen CDU und CSU bundesweit im Juli 2023 zwischen 26 und 28 Prozent.
    Damit ist die Union in den Umfragen derzeit zwar deutlich stärkste Kraft, profitiert aber nicht so richtig vom Umfragetief der regierenden Ampelparteien. Die AfD hingegen befindet sich in einem Umfragehoch. Im Spätsommer 2024 will die CDU laut Merz gemeinsam mit der CSU die Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl 2025 klären.

    Für welchen Kurs steht Parteichef Merz?

    Friedrich Merz galt bei seiner Wahl als Favorit der Konservativen in der CDU. Im April 2023 sagte Merz: „Die Partei ist neu ausgerichtet. Sie ist neu aufgestellt.“
    Tatsächlich aber nahm der Parteichef wenige Monate später selbst eine Neuaufstellung auf einem wichtigen Posten vor: Carsten Linnemann, der zuvor vor allem für das neue Programm zuständig war, wurde neuer Generalsekretär. Er soll das konservative und wirtschaftsliberale Profil der CDU schärfen. Vorgänger Mario Czaja, ein Sozialpolitiker eher aus der Mitte der CDU, galt vielen in der Partei als zu zahm.
    "Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Aber die Menschen müssen erst einmal wissen, wofür wir als CDU stehen", sagte Linnemann am 16. Juli der "Bild am Sonntag". Es gebe in Deutschland „eine leise, aber klare bürgerliche Mehrheit, die sich an Regeln hält, die morgens arbeiten geht und sich abends im Sport- oder Musikverein engagiert“. Für diese Menschen da zu sein, „sollte für die CDU allerhöchste Priorität haben“.
    Zur Frage nach dem Hauptgegner der CDU sagte Linnemann: "In der Bundesregierung gibt es im Augenblick zu den Grünen die größten Differenzen. Ich würde ansonsten empfehlen, dass wir nicht auf eine bestimmte Partei schauen oder auf den Zeitgeist oder den linken Mainstream." Ihm gehe es um das Wertefundament der CDU, "nicht um parteipolitische Taktik". Merz hatte Ende Juni die Grünen als "Hauptgegner" der Union in der Bundesregierung bezeichnet.

    Wie ist der Wechsel des CDU-Generalsekretärs zu bewerten?

    Die CDU scheine „nervöser zu sein, als man das vielleicht denkt“, sagte der Politikwissenschaftler Thorsten Faas. Linnemann sei ein „typischer Vertreter der West-CDU“. Er solle als Generalsekretär „pointierter, prägnanter, polarisierender“ auftreten als sein Vorgänger. Linnemann stehe ähnlich wie Merz für einen „konservativeren Kurs“ der CDU.
    Mit Blick auf die mögliche Kanzlerkandidatur des CDU-Chefs, sagte Faas: Die persönlichen Umfragewerte von Merz "sind nicht gut". Es wäre für die CDU ein "großes Risiko", mit jemandem, der negativ von der Bevölkerung gesehen werde, in einen Wahlkampf zu ziehen. Die K-Frage werde die Union in den nächsten Monaten begleiten.

    Welche Rolle spielt der Umgang mit der AfD?

    In den CDU-Debatten um den richtigen Kurs geht es regelmäßig auch um die Frage, wie die Partei mit der AfD umgehen soll. Parteichef Friedrich Merz nannte die AfD einen "Feind unserer Demokratie". Regelmäßig betonte er eine „Brandmauer“ zu der Rechtsaußenpartei. Im Juli 2023 löste die Merz-Aussage, Ziel der Union sei es, „eine Alternative für Deutschland mit Substanz“ zu sein, Kritik aus.
    Im ZDF-Sommerinterview bekräftige Merz Ende Juli erneut, dass die Union nicht mit der AfD kooperieren werde. Dies beziehe sich auf Landesregierungen, den Bundestag und die EU. Wenn die AfD Landräte oder Bürgermeister stelle, müsse man das als Ergebnis demokratischer Wahlen akzeptieren und nach Wegen der Zusammenarbeit suchen.
    Dafür erntete Merz erneut parteiübergreifend Kritik, auch aus der Union. CSU-Chef Markus Söder erteilte einer Kooperation mit der AfD auch auf kommunaler Ebene eine deutliche Absage. Auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) und CDU-Außenexperte Norbert Röttgen distanzierten sich.
    Nach der Kritik äußerte sich Merz am Tag nach dem ZDF-Interview bei Twitter und fühlt sich falsch verstanden: Die Beschlusslage der CDU gelte. Es werde auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit mit der AfD geben.
    CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann stellte sich hinter den Parteivorsitzenden – und attackierte die SPD: „Dass ausgerechnet die SPD, die schon lange auf kommunaler Ebene mit der AfD stimmt, jetzt Empörung heuchelt, weil Friedrich Merz eine Selbstverständlichkeit betont hat, ist scheinheilig“, sagte er der „Bild“-Zeitung.
    Die von Merz betonte „Brandmauer“ zur AfD will auch Linnemann nach eigener Aussage halten: "Es wird keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD geben – weder im Bund noch in den Ländern."
    Ob sich die ostdeutschen Landesverbände der CDU an diese Maßgabe der Bundespartei halten, wird sich nach den Landtagswahlen im kommenden Jahr in Brandenburg, Sachsen und Thüringen zeigen. Schon jetzt gibt es CDU-Politiker im Osten, die Gespräche mit AfD-Vertretern nicht ausschließen.
    Hinzu kommt die Debatte über den Umgang mit dem Ex-Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen. Gegen den Vorsitzenden der sogenannten Werte-Union war ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet worden.

    Welche Kritik gibt es noch am Kurs von Merz?

    CDU-Vize Andreas Jung distanzierte sich von der Merz-Ansage, die Grünen zum Hauptgegner zur erklären. Parteivize Karin Prien äußerte sich ähnlich. Scharfe Kritik aus der Partei hatte es 2022 auch an der Merz-Aussage über angeblichen "Sozialtourismus" in der Debatte über die Flüchtlingspolitik gegeben.
    Aussagen, die als Kritik an Merz verstanden werden konnten, kamen auch von CDU-Länderchefs, die gemeinsam mit den Grünen regieren. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther sagte der „Süddeutschen Zeitung“: „Kurs der Mitte, sprachlich sauber bleiben, keine Debatten über das Gendern und andere Nebensächlichkeiten führen - den Leuten halt keinen Scheiß erzählen.“ Merz hatte das Gendern mehrfach öffentlich zum Thema gemacht.
    Und NRW-Ministerpräsident Wüst sagte im Juni der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Wer nur die billigen Punkte macht und den Populisten hinterherrennt, der legt die Axt an die eigenen Wurzeln und stürzt sich selbst ins Chaos.“ Die CDU solle auch künftig die politische Mitte adressieren.
    Wüst, der früher selbst zum konservativen Flügel der CDU gezählt wurde, positioniert sich als Anhänger des Kurses von Ex-Kanzlerin Angela Merkel. Eine Kanzlerkandidatur schließt Wüst nicht aus.

    Wie positionieren sich andere Strömungen in der CDU?

    Nachdem Carsten Linnemann, der ein Vertreter des Wirtschaftsflügels der CDU ist, Generalsekretär wurde, forderte der Sozialflügel mehr Einfluss in der Parteispitze. Der Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Karl-Josef Laumann, müsse in die engste Parteispitze aufrücken, forderte CDA-Vizechef Christian Bäumler. Konkret: Laumann solle Linnemann-Nachfolger als CDU-Parteivize werden.
    Der CDU-Sozialpolitiker Dennis Radtke sagte Mitte Juli 2023 in der „WAZ“: „Wenn wir über 30 Prozent hinauswollen, müssen wir bestimmte Themen glaubhafter und empathischer aufgreifen. Einer der Gründe, warum wir die Bundestagswahl verloren haben, war, dass wir auf zentrale sozialpolitische Fragen wie Mindestlohn und bezahlbaren Wohnraum nur technokratische Verrenkungen im Angebot hatten, die nicht mal die Mitglieder verstanden haben“, sagte der Europaabgeordnete und CDA-Chef in NRW.
    Jana Schimke, Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Bundesvorstand der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) in der CDU, betont gegenüber Deutschlandfunk die Wirtschaftskompetenz ihrer Partei. Außerdem kritisierte sie scharf die Bundesregierung, insbesondere Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
    Die Wirtschaft liege „am Boden“, so Schimke. Klimaschutz werde „über alles gestellt, über das Wohl der Menschen“. Die CDU habe die richtigen Antworten, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu verbessern. Sie unterstützte den Vorschlag von Linnemann, wieder „Lust auf Arbeit“ zu machen. „Wir müssen mehr arbeiten“, so Schimke.

    tei, tmk, Reuters, AFP, dpa