Regierungsbildung
Merz kündigt Gespräche zwischen Union und SPD an - Politologe: "Gräben sind tiefer geworden"

Unionskanzlerkandidat Merz strebt eine Koalition mit der SPD an. Der CDU-Vorsitzende sagte nach einer Sitzung der Gremien in Berlin, er habe dafür die volle Unterstützung des Präsidiums und des Bundesvorstands. Die Gespräche mit der SPD würden bereits in den nächsten Tagen geführt. Bereits heute wolle er mit SPD-Chef Klingbeil zusammenkommen.

    Merz steht hinter einem Rednerpult und gestikuliert mit beiden Händen.
    Die CDU will mit der SPD über die Bildung einer Koalition reden. (AP / Martin Meissner)
    Als Themen nannte Merz die Außen- und Sicherheitspolitk, die Migration und die Sicherung der Industriearbeitsplätze. Der CSU-Vorsitzende Söder sagte in München, er glaube, dass mit der SPD ein Richtungswechsel organisierbar sei. Merz hatte die Hoffnung geäußert, Koalitionsverhandlungen noch vor Ostern abzuschließen. Doch es gibt zahlreiche Themen, bei denen sich Union und SPD nicht einig sind.
    Der Politologe Uwe Jun sagte im Deutschlandfunk: "CDU/CSU und SPD liegen programmatisch recht weit auseinander." (Audio-Link) Die frühere Kanzlerin Merkel habe versucht, die CDU in der politischen Mitte zu verorten. Das habe Koalitionen mit der SPD leichter gemacht. Der jetzige CDU-Vorsitzende Merz habe hingegen versucht, die CDU wieder traditionell konservativ und wirtschafts-marktliberaler aufzustellen. "Die Gräben sind tiefer geworden", sagte Jun. Als Beispiele nannte er die Migrations-, Wirtschafts- und Sozialpolitik.
    Dazu komme, dass sich die SPD wieder traditionell sozialdemokratischer aufgestellt habe. Die Sozialdemokraten hätten versucht, sich stärker von den Zeiten der Koalition mit der Union zu emanzipieren, sagte Jun. Das Ganze erschwere eine gemeinsame Regierungszeit.
    SPD-Generalsekretär Miersch erwartet schwierige Verhandlungen mit der Union über die Bildung einer neuen Bundesregierung. Er sagte im ARD-Fernsehen, es gebe keinen Automatismus. Aber die demokratische Mitte müsse versuchen, in diesen Zeiten zusammenzuarbeiten. Die SPD werde sehen, wie sich Merz in den Gesprächen verhalte. Merz hatte gestern Abend eine rasche Regierungsbildung angekündigt.
    Strittig sind etwa folgende Themen:

    Migrationspolitik

    Große Unterschiede gibt es in der Migrationspolitik. CDU und CSU wollen auch Asylbewerber an den deutschen Grenzen zurückweisen. Die SPD hält das für nicht vereinbar mit europäischem Recht. Außerdem beabsichtigt die Union, den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte wieder auszusetzen. Aktuell gilt für die Angehörigen von Menschen mit diesem eingeschränkten Schutzstatus ein Kontingent von 1.000 Visa pro Monat. Die SPD will das so beibehalten. 
    Dass die stationären Kontrollen an den Landgrenzen erst einmal fortgesetzt werden, ist wahrscheinlich. Die Forderung der Union, die Bundesregierung solle sich auf europäischer Ebene für eine Abschaffung des subsidiären Schutzes einsetzen, dürfte die SPD zwar von sich weisen. Allerdings stellt sich hier ohnehin die Frage, wie wahrscheinlich eine Einigung auf einen entsprechenden Beschluss auf EU-Ebene wäre. Der subsidiäre Schutz greift, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Das betraf zuletzt viele Asylbewerber aus Syrien.
    Neben den inhaltlichen Differenzen ist die Frage, in welcher Atmosphäre die Gespräche stattfinden. Merz stand schwer in der Kritik, weil er bei Anträgen und einem Gesetzentwurf die Stimmen der AfD in Kauf genommen hat. Die SPD warf ihm einen Wort- und Tabubruch vor und zweifelte seine Glaubwürdigkeit an.
    Der Politikwissenschaftler Jun sagte, die SPD habe deutlich gemacht, dass sie bestimmte Grenzen nicht akzeptieren möchte, die Merz gerne verschieben wolle. Man könne sich Kompromisse erdenken, aber ob Merz damit zufrieden sein wird und ein grundlegender Politikwechsel in diesem Bereich möglich sein wird, sei dahingestellt.

    Wirtschafts- und Steuerpolitik

    Beide Parteien wollen die Wirtschaft wieder ankurbeln. Ein großer Hebel wären niedrigere Energiepreise etwa über die Senkung der Strompreise, hier scheint ein Konsens möglich zu sein. In der Steuerpolitik aber gibt es große Differenzen. Die Union setzt sich für milliardenschwere, breite Steuerentlastungen auch für Unternehmen ein. Die SPD will einen "Made in Germany"-Bonus, mit dem der Staat Unternehmen bei Investitionen in Maschinen oder Fahrzeuge zehn Prozent der Kosten abnehmen soll. 

    Haushalt und Verteidigung

    Die SPD will eine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse, um mehr Spielraum für Investitionen vor allem in die Infrastruktur zu bekommen. Unions-Kanzlerkandidat Merz hat eine Reform zumindest nicht ausgeschlossen. Eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Koalition wird die Verabschiedung eines Bundeshaushalts für das Jahr 2025 sein, es müssen Milliardenlöcher geschlossen werden. Zentral dürfte sein, wie stark in den kommenden Jahren die Verteidigungsausgaben steigen sollen und wie das finanziert werden soll.

    Außen- und Sicherheitspolitik

    Union und SPD sind sich einig, die Ukraine in ihrem Kampf gegen den russischen Aggressor weiter zu unterstützen. Umstritten ist aber, wie zusätzliche Milliardenhilfen finanziert werden sollen. Bundeskanzler Scholz bestand bisher darauf, eine Ausnahmeregel von der Schuldenbremse zu nutzen. Merz ist außerdem offen für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Scholz ist strikt dagegen, weil er befürchtet, dass Deutschland dadurch zu tief in den Krieg hineingezogen wird. Die SPD teilt diesen Standpunkt.

    Sozialpolitik

    Schwierige Verhandlungen drohen auch in der Sozialpolitik. Die Union will das maßgeblich von der SPD eingeführte Bürgergeld abschaffen und durch eine neue "Grundsicherung" ersetzen. Das Bürgergeld senke die Anreize, eine Arbeit aufzunehmen, argumentieren CDU und CSU. 
    Umstritten ist auch der gesetzliche Mindestlohn, der derzeit bei 12,82 Euro pro Stunde liegt. Die SPD fordert eine Anhebung auf 15 Euro. Aus Sicht der Union muss die Lohnfindung weiterhin Sache der Sozialpartner sein. Einen "politischen Mindestlohn" lehnen CDU und CSU ab.

    Verkehrspolitik

    Die Union hat die Zukunft des bundesweit gültigen Deutschlandtickets im Nah- und Regionalverkehr offen gelassen. Es geht vor allem um Finanzierungsfragen. Denn die Bundesmittel von 1,5 Milliarden Euro sind nur noch bis Ende des Jahres gesichert. 
    Eine zentrale Frage ist auch, wie es bei der Bahn weitergeht. Die Union strebt an, den bundeseigenen Konzern umzukrempeln und den Betrieb und die Infrastruktur voneinander zu trennen. Das dürfte vor allem mit der SPD nicht zu machen sein.
    (mit Material von dpa)
    Diese Nachricht wurde am 24.02.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.