Blitzlichtgewitter, klickende Kameras, minutenlang: Da sitzt sie also nun in einem Konferenzraum des Stuttgarter Flughafens, blickt in den ersten Augenblicken ein wenig unsicher in die Batterie von Kameras und Mikrofonen: Mesale Tolu ist wieder zurück in Deutschland.
"Um halb fünf morgens wurde meine Wohnung gestürmt von Sondereinsatzkräften. Maskiert, schwer bewaffnet. Sie haben mich auf den Boden gedrückt, mit dem Knie draufgesetzt."
Mit fester Stimme zwar, aber dennoch bewegt schildert Mesale Tolu nochmals jene Momente am frühen Morgen des 30. April 2017, als sie von einem Sondereinsatzkommando verhaftet wurde.
"Mein Sohn war im Zimmer, hat geschlafen. Eine maskierte bewaffnete Polizeikraft hat die Waffe direkt auf ihn gerichtet."
Sie möchte weitermachen - nach einer Auszeit
Seit heute ist der vierjährige Sohn mit seiner Mutter Mesale Tolu in Deutschland - ein Anlass zur Freude, zum Glücklichsein, eigentlich. Aber:
"Ich bin zwar heute hier. Aber hunderte Kolleginnen und Kollegen, Oppositionelle, Anwälte, Studenten, 70.000 Studenten sind inhaftiert, sind immer noch nicht frei. Deswegen ist es nicht so, dass ich mich wirklich über die Ausreise freue."
Damit hat Mesale Tolu, Übersetzerin und Journalistin, indirekt auch gleich jene Frage beantwortet, die vielen Journalisten im Raum auf der Zunge lag: Wird sich die junge Deutsch-Türkin Mesale Tolu auch weiterhin politisch äußern, und zwar kritisch äußern, dies auch vor dem Hintergrund, dass ihr Ehemann nach wie vor in der Türkei bleiben muss und nicht mit dem Rest seiner Familie ausreisen durfte?
Ja, sagt Mesale Tolu. "Ich möchte mich weiterhin für die Menschen einsetzen, die diese Hilfe brauchen."
Allerdings will sie sich zunächst eine Auszeit nehmen, gemeinsam mit ihrer Familie in Neu-Ulm.
Tolu will einen Freispruch erreichen
Und dann möchte sie Recht bekommen - Recht in ihrem Prozess, der immer noch in der Türkei gegen sie läuft. Denn nach wie vor steht der Vorwurf im Raum, Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein und Terrorpropaganda verbreitet zu haben. Beides hält Mesale Tolu für absurd, möchte in beiden Vorwürfen einen Freispruch – und ist auch dazu bereit, zu den weiteren Verhandlungstagen wieder in die Türkei zu fliegen, obwohl dort im Falle einer Verurteilung lange Haftstrafen drohen.
"Ich weiß nicht, ob sie irgendetwas in der Hand hätten, um mich erneut festnehmen zu können. Ich denke nicht. Weil: Die Dinge, die mir vorgeworfen wurden, waren schlichte Beteiligungen an Demonstrationen oder an einer Beerdigung. Aber ich denke, ich bin erst mal ein bisschen mutig."
Mutig auch deshalb, um auf etwas aufmerksam zu machen, das in der Türkei ganz schwer im Argen liegt: auf die Pressefreheit nämlich – und wie die durch die Regierung Erdogan ausgehöhlt werde.
"Sie müssen wissen, dass nicht nur die Nachrichtenagentur, wo ich gearbeitet habe, sondern auch die Freunde von Cumhuriyet, die Kollegen, das sind ganz verschiedene politische Linien. Alle Journalisten haben diesen Druck erfahren."
Verständnis für die Belange der Türken
Und kritische Berichterstattung, das macht Mesale Tolu klar, sei auch weiterhin nötig. Denn derzeit würden viele Nachrichten einfach unterdrückt.
"Die meisten Menschen bekommen gar nicht mit, was mit der Opposition passiert."
Und das betreffe nicht nur die Türken in der Türkei selber, sondern auch diejenigen, die in Deutschland leben. Hier fehle es an Informationen darüber, was zu Hause, in der Heimat, tatsächlich passiert. Und daher erkläre sich auch der hohe Anteil jener in Deutschland lebenden Türken, die Erdogans Partei AKP gewählt haben. Hier ist von Mesale Tolu Überraschendes zu hören:
"Ich verurteile nicht die Menschen, die für die AKP stimmen, weil ich denke, dass sie vieles nicht mitbekommen. In Deutschland, glaube ich, ist das einfach das Nationalgefühl der Menschen. Dass sie einfach denken: Wir müssen zusammenhalten, wenn man so fern von der Heimat ist!"
Ein Hinweis für Merkel und Maas
Mesale Tolu, das wird an diesem Nachmittag deutlich, kritisiert Erdogans Türkei zwar als Unrechtsstaat, will aber ganz allgemein für die Türkei, für 'ihr' Land, eine bessere Zukunft. Und deshalb glaubt sie gerade in der derzeitigen Wirtschaftskrise, dass Deutschland nicht jedes Hilfsbegehren von vornherein ausschlagen sollte.
"Weil: Die Bevölkerung ist nicht daran schuld, was in der Türkei passiert."
Allerdings gibt sie im Hinblick auf das bevorstehende Treffen Erdogan/Merkel auch einer Hoffnung Ausdruck:
"Ich denke, dass nicht nicht nur Frau Merkel, sondern auch Außenminister Heiko Maas auf die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei hinweisen und das ansprechen."