"Um halb fünf hat es an der Tür gehämmert, ganz krass. Sie haben versucht, die Tür einzuschlagen."
Das ist der Morgen Ende April 2017. Meşale Tolu, eine deutsche Übersetzerin und Journalistin, wird morgens um halb fünf in Istanbul von der türkischen Polizei geweckt und öffnet die Tür.
"Dann haben sie mich direkt auf den Boden gedrückt und einer hat sich direkt auf mich drauf gesetzt mit seinem Knie und einer hat gefragt, wie heißt Du? Und dann habe ich mich vorgestellt und dann haben sie gesagt, so jetzt bist du wegen Terrorpropaganda in Polizeigewahrsam."
Meşale Tolu ist 33 Jahre, in Ulm als Tochter türkischer Eltern geboren, sie hat nur einen deutschen Pass und arbeitete seit Jahren als Übersetzerin für eine türkische Nachrichtenagentur. Ab und an arbeitete sie auch für einen Radiosender in Istanbul. Sie lebt in Deutschland, reist aber regelmäßig in die Türkei. Anfang 2017 ist sie mehrere Monate in Istanbul, weil ihr Mann wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer linken, türkischen Partei verhaftet worden war. An diesem Morgen Ende April wurde auch Meşale Tolu festgenommen. Ihren zweijährigen Sohn muss sie bei Nachbarn abgeben. Auf dem Haftbefehl sei ihr vorgeworfen worden, am erst noch bevorstehenden 1. Mai Krawalle geplant zu haben, was Tolu jedoch abstreitet. Im siebentägigen Polizeigewahrsam ist von diesen Vorwürfen keine Rede mehr:
Kritik an mangelndem rechtsstaatlichen Vorgehen
"Und das ist das Problem in der Türkei: Am Anfang wird mit anderen Vorwürfen festgenommen und während dieser sieben Tag versuchen sie, von dir Kooperation zu bekommen. Erpressen dich auch ständig, sagen: Du hast einen Sohn, wenn du kooperierst, dann lassen wir dich frei. Und wenn du sagst, nein es gibt nichts zu kooperieren, ich habe nichts verbrochen, dann sagen sie, na gut, dann sammeln wir mal, was sie alles hatte bis jetzt."
Die Polizei habe dann herausgefunden, dass sie an vier Demonstrationen teilgenommen habe, die aber alle legal gewesen seien, sagt Tolu. Der Staatsanwalt habe ihr nicht zugehört, es sei von vornherein klar gewesen, dass sie in Haft kommen soll.
"Und noch bevor ich ausgesagt und unten in die Zelle zurückgebracht wurde, habe ich schon unterwegs mitbekommen, dass ich in U-Haft gekommen bin. Also noch bevor die Entscheidung gefällt werden kann, der Staatsanwalt sich das überhaupt noch überlegen kann, war die Entscheidung schon getroffen."
Meşale Tolu kommt ins Frauengefängnis, lebt mit gut 20 Frauen in einer Zelle. Ihre Anwältin kann sie jeden Tag besuchen, aber ihr Sohn sei erst nach 17 Tagen zu ihr ins Gefängnis gekommen, schläft mit ihr auf dem 90cm breiten Metallbett in der Zelle:
"Es war einfach auch psychisch sehr schlimm für ihn, einfach zu verstehen, warum die Tür abgeschlossen wird, warum er nicht raus kann, wenn er raus will. Dann ist es natürlich eine Verzweiflung zu erzählen, warum man dort ist."
"Die Verhaftung von Meşale Tolu war ein riesiger Willkürakt"
Nach 17 Tagen Haft habe sie als deutsche Staatsbürgerin das erste Mal Kontakt zum Konsulat gehabt – viel zu spät, wird das Auswärtige Amt später beklagen. Das sei ein Bruch internationaler Konventionen und Verträge. Dann hätten sich Konsularmitarbeiterinnen jedoch gut um sie gekümmert, sagt Meşale Tolu:
"Der Botschafter Martin Erdmann war dreimal im Gefängnis, aber auch nach meiner Freilassung hat er sich um mein Wohl gekümmert, nachgefragt, ob alles in Ordnung ist. Ich bin sehr zufrieden gewesen, mehr habe ich nicht gebraucht."
Nach acht Monaten hat ein Gericht dann entschieden: Meşale Tolu kommt frei.
"Die Verhaftung von Meşale Tolu war ein riesiger Willkürakt. Genauso wie auch die Entscheidung über die Freilassung und auch die Entscheidung über die Aufhebung über die Reisesperre ein Willkürakt war."
Christian Mihr von der Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen", die sich für verhaftete Journalisten weltweit und in der Türkei einsetzt. Warum wurde Meşale Tolu freigelassen?
Weiterhin Deutsche wegen Meinungsäußerungen in Haft: Bundesregierung soll Druck machen
"Ich denke, es ist eine Mischung aus politischem Druck, den die Bundesregierung auch immer wieder ausgeübt hat, und die Bundesregierung hat sich für die deutschen Einzelfälle, die dort in Haft saßen, immer wieder sehr stark eingesetzt, aber es gibt auch ein türkisches Interesse an einer Entspannung der deutsch-türkischen Beziehungen und das kam da zusammen."
Mindestens 28 türkische Journalisten säßen noch in Haft, wahrscheinlich aber weit über 100, sagt Mihr. Deutsche Journalisten säßen nicht mehr in türkischen Gefängnissen, sehr wohl aber sieben Deutsche wegen ihrer Meinungsäußerungen bei zum Beispiel Facebook. Diese Woche reist Außenminister Heiko Maas, SPD, in die Türkei, Ende des Monats kommt der türkische Präsident Erdogan nach Berlin und im Oktober reist Wirtschaftsminister Altmaier in die Türkei. Reporter ohne Grenzen fordert:
"All diese Besuch sind gute Anlässe, um laut und deutlich auch auf einzelne Fälle inhaftierter Journalisten und Journalistinnen hinzuweisen."
Auch, sagt Christian Mihr, wenn sie keinen deutschen Pass haben.