Bettina Klein: Messerattacke gegen die OB-Kandidatin hier in Köln, gegen Henriette Reker, sie ist schwer verletzt, aber offensichtlich außer Lebensgefahr. Und wir bleiben noch einen Augenblick bei den Ereignissen dieses Morgens. Mehrere Mitglieder des Wahlkampfteams wurden ebenfalls verletzt oder stehen unter Schock, wir haben es gerade gehört. Und bei uns am Telefon ist jetzt der Wahlkampfmanager für die Grünen, die Henriette Reker ja ebenfalls unterstützen, Mario Michalak, ich grüße Sie!
Mario Michalak: Hallo!
Klein: Herr Michalak, für Sie sicherlich auch ein Schock. Wir ordnen Sie diesen Angriff im Moment für sich ein?
Michalak: Ja, das kann ich noch gar nicht richtig, das sackt so langsam durch. Es ist so zwischen Tränen in den Augen und ... Also, man ist ja gerade in der heißen Endphase, wir hatten alles vorbereitet für diesen Tag und jetzt haben wir ... Also, alle demokratischen Parteien haben ihre Wahlkampfaktivitäten abgesagt und ich bin völlig geschockt. Also, ich war an dem Wahlkampfstand eingesetzt, an dem die Henriette als Nächste hingekommen wäre, und dann haben wir den Anruf bekommen, dass sie verletzt worden ist, und dann fiel uns erst mal alles aus der Hand. Irgendwie ist es so, dass man sich denkt, was muss eigentlich noch alles passieren, um diese Frau zu verhindern, das war so meine persönliche Meinung. Aber ...
Klein: Haben Sie eine Vermutung für sich, aus welchem Umfeld der Täter kommen könnte?
Michalak: Nein. Also, natürlich haben wir viel telefoniert untereinander, durch den Wahlkampf haben sich ja auch sehr gute persönliche Kontakte ergeben auch zu den anderen Unterstützerparteien. Der Wahlkampfleiter der FDP war den Tränen nahe, der war auf dem Weg zu dem Ort, wo das Attentat passiert ist, und der war eigentlich nicht mehr ansprechbar, so geschockt war der. Er hat sich dann auch beruhigt. Ich habe von Parteikollegen, die auch vor Ort waren, dann erfahren, was passiert ist und wie einer unserer Wahlkämpfer von den Grünen mit einem grünen Sonnenschirm diesen Attentäter in Schach gehalten hat, damit nicht noch Schlimmeres passiert, und ich weiß von Menschen, die auch verletzt worden sind, und meine Gedanken sind erst mal bei allen, die verletzt sind, dass sie gut da rauskommen.
"Wenn es den Leuten schlechter geht, neigt man natürlich zu mehr Radikalität"
Klein: Jetzt glauben wir in Deutschland ja immer, wir seien gefeit vor politischen Gewaltattacken, die sich auf Politiker richten. Es gab zwei sehr schlimme Fälle, ich habe die Namen genannt, Oscar Lafontaine und Wolfgang Schäuble, auch mit unterschiedlichen Konsequenzen dann am Ende. Wenn wir auf das politische Klima in der Stadt Köln schauen, ist Ihnen ein Milieu bekannt oder vor Augen, in dem diese Gewalttätigkeit, die sich jetzt ja gegen eine politische Kandidatin gerichtet hat, vorstellbar ist?
Michalak: Es gibt immer Menschen, die ihre Meinung nicht diskutieren wollen oder die jetzt nicht demokratisch gesonnen sind und die nicht damit umgehen können, wenn jemand eine andere Meinung hat, und dann gewalttätig werden. Also, das gibt es sicherlich auch in Köln. Aber in dem Wahlkampf, den wir hier erlebt haben, das war eine ganz normale demokratische Auseinandersetzung, manchmal unter der Gürtellinie, aber so an sich war das alles noch im Rahmen. Also, ich wüsste nicht, wo das jetzt herkommen sollte. Da kann man jetzt nur Vermutungen anstellen.
Klein: Ja, in der Tat, wir sind auf der Ebene der Vermutungen, der Täter wurde festgenommen und wird wohl zur Stunde verhört. Dennoch noch mal, wir sprechen in diesen Tagen viel über Hass und verbale oder visuelle Gewalt, vor allen Dingen in ganz anderen Ecken von Deutschland, Guillotinen bei den TTIP-Gegnern bei einer Demonstration, Galgen bei Pegida. Stellen Sie einen Zusammenhang her, was das politische Klima in Deutschland insgesamt angeht?
Michalak: Das möchte ich jetzt eigentlich nicht tun, nein, das stelle ich nicht her. Es ist so, wenn es den Leuten schlechter geht, neigt man natürlich zu mehr Radikalität, da muss man auch aufpassen. Und das gibt es ja auch in Köln, dass es hier Stadtteile gibt, die abgehangen sind. Aber ...
Klein: Aber nicht gerade Braunsfeld.
Michalak: Nein, Braunsfeld auf gar keinen Fall, das ist ja ein gutbürgerlicher Stadtteil, wo wir Unterstützerparteien auch mit Sicherheit die Mehrheit der Stimmen holen würden. Das ist sehr verwunderlich, dass das gerade in Braunsfeld passiert.
Klein: Gut, wir werden die Erklärungen noch abwarten müssen auch der Polizei. Herr Michalak, abschließend: Ist eigentlich unter diesen Umständen überhaupt vorstellbar, dass morgen die Oberbürgermeisterwahl stattfindet?
Michalak: Natürlich! Es gibt keine rechtliche Grundlage dafür, dass diese Wahl abgesagt wird.
"Bitte geht wählen!"
Klein: Aber die Parteien beraten ja im Augenblick noch und die Entscheidung liegt dann wohl bei der Wahlleiterin ... Das heißt, Sie gehen davon aus, dass morgen die OB-Wahl stattfinden wird hier?*
Michalak: Ja, davon gehe ich aus und ich kann nur jeden Kölner auffordern, bitte wählen zu gehen. Also, gerade jetzt. Also, wir haben jetzt schon öfters erlebt, dass ... Ja, die Wahl ist verschoben worden und dann war eigentlich bei allen Parteien dann eher so die Stimmungslage, jetzt erst recht! Und das würde ich jetzt eigentlich noch mal unterstreichen für alle Demokraten, bitte geht wählen! Und glücklicherweise ist die Henriette Reker jetzt außer Lebensgefahr, ich hoffe, das stimmt auch, diese Nachricht, und ich finde es auch völlig korrekt, dass Jochen Ott jetzt auch die Wahlkampfaktivitäten eingestellt hat. Das haben alle gemacht, denn jetzt kann man auch keinen Wahlkampf mehr machen.
Klein: Jochen Ott, der SPD-Kandidat, sagen wir noch mal dazu, ein weiterer Kandidat hier im Kommunalwahlkampf in Köln. Das war Mario Michalak, er ist Wahlkampfmanager bei den Grünen, die Henriette Reker ebenfalls unterstützen. Die OB-Kandidatin hier in Köln ist heute Morgen bei einer Messerattacke schwer verletzt worden. Herr Michalak, vielen Dank für das Gespräch heute Mittag im Deutschlandfunk!
Michalak: Ich danke auch, tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
* Nach der Ausstrahlung des Live-Interviews hat die Kölner Wahlleiterin Gabriele Klug entschieden, dass die Oberbürgermeisterwahl wie geplant stattfindet.