Nach dem Attentat von Solingen
Wie sind die Vorschläge aus der Politik einzuordnen?

Die tödliche Messerattacke in Solingen hat eine Debatte über die Migrationspolitik ausgelöst. Es geht etwa um schnellere Abschiebungen beziehungsweise Rückführungen in Drittstaaten und um ein schärferes Waffenrecht. Wir ordnen die Vorschläge ein.

    Blumen und Kerzen sind in der Nähe des Tatortes in Solingen abgelegt worden.
    Nach dem Anschlag von Solingen überschlagen sich die Forderungen nach Gesetzesverschärfungen. (picture alliance / dpa / Federico Gambarini)
    Bei dem Messerangriff auf einem Solinger Stadtfest starben am 23. August 2024 drei Personen, acht Menschen wurden verletzt, zum Teil schwer. Bei dem gefassten Tatverdächtigen handelt es sich um einen 26-jährigen Syrer, der 2023 in sein Erstaufnahmeland Bulgarien hätte zurückgeführt werden sollen. Diese nicht erfolgte Abschiebung der deutschen Behörden in Nordrhein-Westfalen hat nun eine hitzige Debatte über Änderungen in der Migrationspolitik und ein verschärftes Waffenrecht entfacht.
    Zu den konkreten Forderungen gehören schnellere Abschiebungen, Grenzkontrollen mit Abweisungen an den deutschen Außengrenzen und Streichungen von Sozialleistungen von Asylbewerbern, deren Fall in einem anderen EU-Land – dem Erstaufnahmeland – behandelt werden müsste. Nicht alles wird sich durchsetzen lassen, auch aus rechtlichen Gründen.  

    Inhalt

    Was ist im Gespräch, was wird gefordert?

    Wenige Tage nach der tödlichen Messerattacke besuchte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Solingen und kündigte in seiner Rede eine Verschärfung des Waffenrechts an. Diese ist allerdings ohnehin im Gespräch. Außerdem sollten Abschiebungen seinen Worten zufolge künftig schneller möglich sein. 
    Inzwischen haben auch Spitzenvertreter anderer Parteien, allen voran der CDU, eigene Akzente in der Debatte gesetzt. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz warf Olaf Scholz Kontrollverlust vor und sagte, dem Bundeskanzler entgleite mittlerweile das eigene Land. Merz sprach von der Einführung einer „nationalen Notlage“, die die Aussetzung bestehender EU-Bestimmungen und Schengen-Regelungen ermöglicht. Am Ende würde das Grenzschließungen und -kontrollen entlang der deutschen Grenze bedeuten.
    Vizekanzler Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) möchte hingegen die Sicherheitsbehörden aufrüsten, Internetplattformen in die Pflicht nehmen und Mörder konsequent abschieben. Sowohl Scholz, Merz und Habeck eint, dass sie die irreguläre Migration beenden wollen.
    Die Ampel-Koalition plant laut einem Medienbericht zudem weitere Leistungseinschränkungen für bestimmte Flüchtlingsgruppen. Demnach sollen sogenannte „Dublin-Flüchtlinge“ – also solche, die über einen anderen EU-Staat eingereist sind und dort registriert wurden – künftig weder Geldleistungen noch eine Bezahlkarte erhalten. Stattdessen sollen ihnen nur die nötigsten Sachleistungen wie Unterkunft, Verpflegung und Hygieneartikel gewährt werden.
    Dass das Dublin-Verfahren zudem dringend reformiert werden müsse, darüber sind sich viele einig. Das System sei „dysfunktional“, sagt Fachanwalt Thomas Oberhäuser. So soll nach einem EU-Beschluss in eineinhalb Jahren eine Neuregelung in Kraft treten. Demnach sollen, wie von der Union gefordert, Asylverfahren bereits an den Außengrenzen stattfinden, erklärt Oberhäuser.

    Sind die Forderungen von Friedrich Merz rechtlich möglich?

    Grenzschließungen und ein Aufnahmestopp für geflüchtete Syrer und Afghanen sind wegen des Asylrechts und EU-Rechts nicht möglich. Es gibt ein Individualrecht auf Asyl. Auch eine „Notlage“ auszurufen, wie Friedrich Merz sich das vorstellt, ist rechtlich äußerst schwierig.
    So dürfen Asylsuchende laut EU-Grundrechtecharta nicht aufgrund ihrer Herkunft ausgewiesen oder an der Grenze abgewiesen werden – das sogenannte Kollektivausweisungsverbot. Es muss eine Einzelfallprüfung geben. Es ist auch hochumstritten, unter welchen Voraussetzungen überhaupt eine „Notlage“ ausgerufen werden kann. Es gibt ein EuGH-Urteil, das besagt, eine "Notlage" bedeutet nicht, dass man von Dublin-Regeln abweichen kann.  

    Sind mehr Abschiebungen realistisch?

    Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nahm bei Abschiebungen die Länder in die Verantwortung. Gesetzlich habe man bereits umfassende neue Grundlagen für mehr Rückführungen geschaffen, sagte die SPD-Politikerin der Funke Mediengruppe. Entscheidend für den Erfolg sei, dass die neuen Regelungen in den Ländern auch umgesetzt würden.
    Nach den geltenden Dublin-III-Vorschriften gilt eine Frist von sechs Monaten, in denen ein Land die Rücküberstellung von Flüchtlingen in einen anderen europäischen Staat beantragen muss – sonst ist der Staat, in dem sich ein Geflüchteter aufhält, selbst verantwortlich. Wegen der Vielzahl der Fälle, mangelnder Digitalisierung der Ausländerbehörden und Personalmangel wird die Sechs-Monate-Frist in Deutschland aber oft nicht eingehalten, weshalb die Bundesrepublik zuständig wird. Nach Angaben der Bundesregierung scheiterte eine fristgerechte Überstellung allein 2023 bei 38.682 Personen.
    Es gibt verschiedene Gründe für das Scheitern von Rückführungen. Ein erheblicher Teil der Verantwortung liegt bei den deutschen Behörden: So wurde im Fall des mutmaßlichen Solinger Attentäters der Prozess der Abschiebung nach Bulgarien zwar gestartet, aber offenbar nicht konsequent weiterverfolgt.
    Hinzu kommen Probleme bei der Durchführung der Abschiebungen. So zeigt die Übersicht des Innenministeriums für das erste Halbjahr 2024 beispielsweise, dass insgesamt 132 Abschiebungen (davon 59 Dublin-Überstellungen) wegen des Widerstands der Betroffenen abgebrochen werden mussten.

    Werden Grenzkontrollen verschärft?

    Seit Oktober vergangenen Jahres gibt es Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz, bereits seit September 2015 an der deutsch-österreichischen Grenze. Sie sind aber nur punktuell. Innenministerin Faeser und Bundespolizei-Präsident Romann loben die Kontrollen als Erfolg und verweisen dabei auf Festnahme von Schleusern. Zudem würden Menschen auch an der Grenze zurückgewiesen. Die Zahl unerlaubter Einreisen ist zuletzt gesunken.
    Als Reaktion auf das Attentat in Solingen hat Friedrich Merz Bundeskanzler Scholz aufgefordert, Gesetzesänderungen für eine weitere Verschärfung der Grenzkontrollen zu erarbeiten. Konkret müsste der Zuzug über die Kontrolle der deutschen Staatsgrenze geregelt werden. Außerdem brauche es mehr Vertrauen, mehr Kompetenzen und mehr Ausstattung für die Bundespolizei, um das durchzusetzen.

    Kommt ein strengeres Waffenrecht?

    Schon Mitte August, vor dem Attentat, hatte Bundesinnenministerin Faeser schärfere Regeln für die Mitnahme von Messern angekündigt. Demnach sollen in Zukunft nur noch Messer mit einer Klingenlänge von maximal sechs Zentimetern mitgeführt werden dürfen. Bisher ist eine Klingenlänge von zwölf Zentimetern erlaubt.
    Zu den Plänen der Innenministerin gehört auch, Springmesser gänzlich zu verbieten. Ein derartiges Umgangsverbot gilt bereits für Butterfly- und Fallmesser. Faeser möchte das Waffenrecht nicht nur bei Messern verschärfen: Waffenbehörden sollen etwa gegenüber Waffenbesitzern mehr Befugnisse erhalten und ein Verbot von kriegswaffenähnlichen, halbautomatischen Feuerwaffen ist vorgesehen. Bislang blockierte jedoch der Koalitionspartner FDP in der Ampelregierung die Pläne der Innenministerin. Doch nach der Messerattacke zeigte sich Justizminister Marco Buschmann (FDP) offen, sich dem Thema zu widmen.
    Ein verschärftes Waffenrecht kann bei rechtstreuen Personen präventiv wirken. Wenn jemand einen terroristischen Anschlag begehen will, wird eine Verschärfung diese Person aber wohl nicht abhalten. Ob ein verschärftes Waffengesetz Angriffe wie in Solingen verhindern könnte, hängt auch davon ab, wie gründlich Kommunen etwa bei Stadtfesten kontrollieren können.

    Welche Forderungen hört man weniger?

    Neben der Verschärfung und Umsetzung von Gesetzen plädieren Forschende wie der Islamwissenschaftler Yunus Yaldiz für Prävention und die Integration von geflüchteten Menschen. Yaldiz ist Projektleiter beim brandenburgischen Kompetenznetzwerk „Islamistischer Extremismus“ und fordert, dass Jobs wie seiner langfristig finanziert werden und Sozialarbeiter weitergebildet werden.
    Es sei wichtig, Zugänge zu Geflüchteten zu haben. Viele geflüchtete Personen würden wegen Krieg, Flucht und Vertreibung Traumata und Gewalt erleben, oft würde sie nicht wie Menschen behandelt. „Ich glaube, daraus speist sich viel Frustration“, sagt Yunus Yaldiz.
    Perspektivlosigkeit, drohende Abschiebung und kaum Zugang zum Arbeitsmarkt und zu einer Ausbildung können zu einem Prozess der Radikalisierung führen. So brauche es gerechtere Asylverfahren mit Regionalexperten und Sozialarbeitern, einen besseren Jugendschutz für unbegleitete Minderjährige und besseren Zugang zu Traumatherapien.   

    vg, jde