Innere Sicherheit
Wie die Politik nach Solingen handeln will

Die Bundesregierung hat sich nach dem mutmaßlich islamistischen Terroranschlag von Solingen auf ein Paket an Maßnahmen in der Asyl- und Sicherheitspolitik geeinigt. Diese sollen laut Kanzler Scholz „schnell umgesetzt“ werden. Eine Einordnung.

    Zwei Frauen und ein Mann an einem Rednerpult.
    Das von Anja Hajduk (Bündnis 90/Die Grünen), Marco Buschmann (FDP) und Nancy Faeser (SPD) vorgestellte Sicherheitspaket trifft nicht nur auf Zustimmung. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Bei dem Messerangriff auf einem Solinger Stadtfest starben am 23. August 2024 drei Personen, acht Menschen wurden verletzt, zum Teil schwer. Bei dem gefassten Tatverdächtigen handelt es sich um einen 26-jährigen Syrer, der 2023 in sein Erstaufnahmeland Bulgarien hätte ausreisen müssen. Diese nicht erfolgte Abschiebung hat eine hitzige Debatte über Sicherheit entfacht.
    Jetzt haben Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und die Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Anja Hajduk (Bündnis 90/Die Grünen), ein Sicherheitspaket der Regierung vorgestellt. Die Maßnahmen beinhalten Verschärfungen des Waffenrechts, Maßnahmen gegen Islamisten, Erleichterung von Abschiebungen und Leistungseinschränkungen für bestimmte Asylbewerber.

    Inhalt

    Welche Maßnahmen plant die Regierung?

    Verschärfung des Waffenrechts
    Auf Volksfesten, Sportveranstaltungen, Messen, Ausstellungen, Märkten und ähnlichen öffentlichen Veranstaltungen soll es ein „absolutes Messerverbot“ geben. Davon ausgenommen sollen lediglich Menschen sein, die in der Gastronomie arbeiten oder als Schausteller tätig sind.
    An Bahnhöfen oder anderen „kriminalitätsbelasteten Orten“ sollen die Bundesländer Messerverbote erlassen können, ebenso im öffentlichen Nahverkehr. Im Bahn-Fernverkehr soll es hierfür bundeseinheitliche Regeln geben. Die Bundespolizei soll etwa an Bahnhöfen die Befugnis erhalten, "stichprobenartig verdachtsunabhängige Kontrollen durchzuführen".
    Maßnahmen gegen gewaltbereiten Islamismus
    Die Sicherheitsbehörden sollen mehr Befugnisse im Kampf gegen den Islamismus erhalten. Ermittler sollen unter anderem künstliche Intelligenz einsetzen dürfen. Zur Fahndung soll auch der Einsatz der Gesichtserkennung anhand von Fotos aus öffentlichen Quellen möglich sein. Zudem soll eine Taskforce zur Islamismusprävention gegründet werden.
    Senkung der irregulären Migration
    "Wer in Deutschland keinen Anspruch auf Schutz hat, muss unser Land schneller wieder verlassen", stellte Bundesinnenministerin Faeser klar. Die Regierung will die europäischen Dublin-Verfahren beschleunigen. Um bürokratische und rechtliche Hürden zu beseitigen, sollen Bund und Länder enger zusammenarbeiten. So soll die Zahl der Rückführungen gesteigert werden. Wenn Asylberechtigte ohne zwingenden Grund, wie etwa eine Beerdigung naher Angehöriger, in ihr Heimatland reisen, soll ihnen der Schutzstatus wieder aberkannt werden. Ausnahmen sollen für Geflüchtete aus der Ukraine gelten.
    Bei schweren Straftaten will die Regierung die Schwelle für „schwerwiegendes Ausweisungsinteresse“ senken, um Abschiebungen zu erleichtern. Beim Einsatz von Waffen soll dies auch für Jugendliche gelten. Auch Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien sollen in Zukunft möglich sein, daran werde laut Faeser intensiv gearbeitet.
    Geflüchteten, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, sollen Sozialleistungen gekürzt oder unter bestimmten Voraussetzungen ganz gestrichen werden. Davon ausgenommen wäre lediglich die Finanzierung der Ausreise. Gleichzeitig will die Regierung einen „menschenwürdigen Umgang“ mit den Betroffenen gewährleisten.

    Was wird gefordert?

    Im Vorfeld hatten Spitzenvertreter der Oppositionsparteien, allen voran der CDU, eigene Akzente in der Debatte gesetzt. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz warf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Kontrollverlust vor und sagte, dem Bundeskanzler entgleite mittlerweile das eigene Land. Er forderte Scholz dazu auf, Gesetzesänderungen für eine weitere Verschärfung der Grenzkontrollen zu erarbeiten. Außerdem brauche es mehr Vertrauen, mehr Kompetenzen und mehr Ausstattung für die Bundespolizei, um jene Maßnahmen durchzusetzen.
    Merz wollte eine „nationale Notlage“ ausrufen, um EU-Bestimmungen und Schengen-Regelungen zeitweise auszusetzen. Das würde zu Grenzschließungen und Grenzkontrollen entlang der deutschen Grenze führen.
    Vizekanzler Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) sprach sich hingegen dafür aus, die Sicherheitsbehörden aufzurüsten, Internetplattformen in die Pflicht zu nehmen und Täter abzuschieben. Scholz, Merz und Habeck eint, dass sie die irreguläre Migration beenden wollen. Scholz kündigte bereits kurz nach dem Anschlag Gespräche mit den Ländern und der Union als größter Oppositionspartei an.

    Sind die Forderungen von Friedrich Merz rechtlich möglich?

    Grenzschließungen und ein Aufnahmestopp für geflüchtete Syrer und Afghanen sind wegen des Asylrechts und des EU-Rechts nicht möglich. Es gibt ein Individualrecht auf Asyl. Auch eine „nationale Notlage“ auszurufen, ist rechtlich äußerst schwierig.
    So dürfen Asylsuchende laut EU-Grundrechtecharta nicht aufgrund ihrer Herkunft ausgewiesen oder an der Grenze abgewiesen werden – das sogenannte Kollektivausweisungsverbot. Es muss eine Einzelfallprüfung geben. Es ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen überhaupt eine „nationale Notlage“ ausgerufen werden kann. Zudem würde eine Notlage den EU-Staaten ohnehin nicht automatisch erlauben, von den Dublin-Regeln abzuweichen, urteilte der Europäische Gerichtshof.
    Seit Oktober vergangenen Jahres gibt es Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz, bereits seit September 2015 an der deutsch-österreichischen Grenze. Sie sind aber nur punktuell. Innenministerin Faeser und Bundespolizei-Präsident Dieter Romann lobten die Kontrollen als Erfolg und verwiesen auf Festnahmen von Schleusern. Zudem würden Menschen bereits an der Grenze zurückgewiesen. Die Zahl unerlaubter Einreisen ist zuletzt gesunken.

    Sind mehr Abschiebungen realistisch?

    Nach den geltenden Dublin-III-Vorschriften gilt eine Frist von sechs Monaten, in denen ein Land die Rücküberstellung von Geflüchteten in einen anderen europäischen Staat beantragen muss – sonst ist der Staat, in dem sich ein Geflüchteter aufhält, selbst verantwortlich. Wegen der Vielzahl der Fälle, mangelnder Digitalisierung der Ausländerbehörden und Personalmangel wird die Frist in Deutschland oft nicht eingehalten, weshalb die Bundesrepublik zuständig wird. Nach Angaben der Bundesregierung scheiterte eine fristgerechte Überstellung im Jahr 2023 in 38.682 Fällen.
    Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass Rückführungen scheitern. Ein erheblicher Teil der Verantwortung liegt bei den deutschen Behörden: So wurde im Fall des mutmaßlichen Solinger Attentäters der Prozess der Abschiebung nach Bulgarien zwar gestartet, aber offenbar nicht konsequent weiterverfolgt.
    Hinzu kommen Probleme bei der Durchführung der Abschiebungen. So zeigt die Übersicht des Innenministeriums für das erste Halbjahr 2024, dass insgesamt 132 Abschiebungen (davon 59 Dublin-Überstellungen) wegen des Widerstands der Betroffenen abgebrochen werden mussten. Bundesinnenministerin Faeser nahm bei Abschiebungen zuletzt die Länder in die Verantwortung. Gesetzlich habe man bereits umfassende neue Grundlagen für mehr Rückführungen geschaffen, sagte die SPD-Politikerin der Funke Mediengruppe.

    Was sagt die Polizei zum Sicherheitspaket?

    Im Hinblick auf das das Sicherheitspaket der Bundesregierung fordert die Gewerkschaft der Polizei (GdP) weitergehende Maßnahmen. Das Vorhaben der Ampelkoalition gehe zwar in die richtige Richtung, reiche aber bei Weitem nicht aus, sagte der Vorsitzende Jochen Kopelke.
    Nötig seien weitergehende Befugnisse für die Ermittlungsbehörden, wie die Speicherung von IP-Adressen, das Auslesen von Mobiltelefonen und strengere Grenzkontrollen, so Kopelke. Zudem sollten Messerverbote an viel mehr Orten gelten als bisher geplant. Dies würde die Arbeit der Polizei deutlich erleichtern.

    Wie reagieren Menschenrechtsorganisationen?

    Nach der Abschiebung von 28 afghanischen Geflüchteten Ende August in ihre Heimat gab es Proteste von Menschenrechtsorganisationen. "Niemand ist in Afghanistan sicher", erklärte die Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, Julia Duchrow, am Freitag in Berlin. Laut Bundesregierung waren sämtliche Abgeschobenen verurteilte Straftäter, die kein Bleiberecht in Deutschland und gegen die Ausweisungsverfügungen vorlgelegen hätten. "Menschenrechte haben wir alle - und niemand darf in ein Land abgeschoben werden, wo Folter droht", sagte Duchrow. Deutschland würde durch Abschiebungen nach Afghanistan zum Komplizen der Taliban. Sie verwies zudem auf Hinrichtungen und das Verschwindenlassen von Menschen durch das Regime.
    Von einer "Bankrotterklärung für den Rechtsstaat" sprach dabei der flüchtlingspolitische Sprecher von Pro Asyl, Tareq Alaows. Eine Zusammenarbeit mit den Taliban - auch über Bande - fördere Terrorismus und Islamismus. Auch die Kürzung von Sozialleistungen für Geflüchtete sieht die Organisation kritisch: "Sozialleistungen dürfen nicht aus vermeintlichen Abschreckungseffekten gestrichen oder willkürlich gekürzt werden", erklärte Pro Asyl. Dies habe das Bundesverfassungsgericht klar festgestellt.

    Wie geht es mit dem Sicherheitspaket weiter?

    Über das Paket soll laut Bundesinnenministerin Faeser nun mit den Ländern und der Union gesprochen werden. Eine Arbeitsgruppe, der Vertreter aller drei Ampelparteien angehören, soll Anfang September erstmals zusammenkommen.
    Als nächstes will die Bundesregierung ein sogenanntes Artikelgesetz vorlegen, das die verschiedenen gesetzlichen Neuregelungen zusammenfasst. Das Gesetz soll zügig verabschiedet werden – laut der Bundesinnenministerin schon in einigen Wochen und nicht erst im kommenden Jahr.

    vg, jde, pj