Martin Zagatta: Mindestens ein Todesopfer, von drei Verletzten ist die Rede bei einer Messerattacke heute Morgen auf einem S-Bahnhof in Grafing bei München.
Verbunden sind wir jetzt telefonisch mit Rainer Wendt, dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft. Guten Tag, Herr Wendt! - Hallo, Herr Wendt! Ich hoffe, Sie hören mich.
Rainer Wendt: Ich höre Sie.
Zagatta: Wir wollen jetzt nicht spekulieren. Unser Korrespondent hat es angesprochen, eine schwierige Nachrichtenlage. Was uns natürlich aufgeschreckt hat heute Morgen, als die Meldung kam, dass der Täter, der da um sich gestochen hat, "Allahu Akbar" gerufen haben soll. Aus Ihren Erfahrungen heraus, sagt das irgendetwas aus - aus Sicht der Polizei - oder gar nichts? Kann das jeder Verrückte machen?
Wendt: Erstens kann das natürlich jeder Verrückte machen und es deutet ja auch einiges darauf hin, dass es keinen religiösen, islamistischen oder gar terroristischen Hintergrund hat. Aber es ist natürlich ein Ermittlungsansatz für die Polizei, die in alle Richtungen ermittelt. Das heißt, jetzt wird der Täter selbst, sein soziales Umfeld, seine Herkunft, seine ganze Biografie durchleuchtet, um auch sicherzustellen, ist das auszuschließen, oder kann man das tatsächlich annehmen. Insgesamt scheinen hier ein bisschen auch die Mediennerven blank zu liegen und schon aus dem kleinsten Hinweis, den die Polizei einmal nicht ausschließt, wird dann schnell ein islamistischer Anschlag. Ich glaube, die Polizei hat das gut gemacht, dass sie offen mit den Informationen umgegangen ist, aber ohne Panik zu verbreiten.
Zagatta: Ist das jetzt der erste Fall - die Frage stellt sich uns natürlich -, dass so etwas passiert, dass da vielleicht auch nur ein Verrückter "Allahu Akbar" ruft, oder ist das für Sie Alltag?
Wendt: Nun, das kommt sowieso schon mal vor, bei irgendwelchen Demonstrationen oder so. Aber im Zusammenhang mit solchen Gewalttätigkeiten ist das die absolute Ausnahme. Sie kennen den Fall der 15-jährigen Attentäterin aus Hannover, die einen Polizisten lebensgefährlich verletzt hat durch einen Stich in den Hals, oder die Jugendlichen, die in Essen einen Anschlag verübt haben. Das ist glücklicherweise ausgesprochen selten. Positiv muss man hier auch sagen - und das zählt ja zu den Fakten auch einmal dazu, und ich finde, das muss man auch hervorheben - die Polizei ist sehr schnell vor Ort gewesen und hat den Täter festgenommen. Das ist ja das Positive an dieser Botschaft. Und der Rest muss jetzt ermittelt werden.
Wendt: Aufklärung kann noch Tage dauern
Zagatta: Man kennt den Täter offenbar. So hat unser Korrespondent gerade berichtet. Die Polizei geht offenbar davon aus. Die Tat liegt jetzt auch schon sechs oder sieben Stunden zurück. Wie lange braucht so eine Aufklärung, dass man da einigermaßen konkret was sagen kann?
Wendt: Nun, das kann durchaus auch noch Tage dauern, denn es soll ja das gesamte Umfeld der Täter ermittelt werden und durchleuchtet werden. Die Polizei wird sich auf gar keinen Fall den Vorwurf machen lassen wollen, irgendetwas verschwiegen zu haben. Sie wissen, dass auch in dieser Hinsicht die öffentliche Diskussion ausgesprochen sensibel ist, und wenn man sich so die Bemerkungen bei Facebook und anderswo anschaut, dann sieht man, dass die einen oder anderen Verschwörungstheoretiker ja jetzt schon unterwegs sind. Genau das muss die Polizei ausschließen. Das geht nur durch gründliche Ermittlungen und die brauchen ihre Zeit. Deshalb war es am Anfang auch richtig, nicht mit allen möglichen Spekulationen und Ermittlungen an die Öffentlichkeit zu gehen, denn Zeugen müssen auch erst befragt werden und vernommen werden und die sollten am besten das, was sie sagen, aus ihrem eigenen Erleben rekapitulieren und nicht aus dem, was sie möglicherweise bei Facebook oder anderswo gelesen haben.
Zagatta: Ist diese Information der Öffentlichkeit jetzt für Sie oder für die Polizei auch so eine Art Gratwanderung? Haben diese Vorfälle und diese Vorwürfe, die es da gegeben hat nach der Kölner Silvesternacht, haben die jetzt etwas verändert an der Arbeit der Polizei?
Wendt: Ja, ganz bestimmt. Natürlich die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei ist professioneller geworden. Wir sind sehr sensibel mit Informationen, die an die Öffentlichkeit gehen. Wir wissen natürlich auch, wie Verschwörungstheoretiker auch nur eine Informationsverzögerung sehr schnell nutzen, um alle möglichen Theorien in die Welt hinauszuposten und der Polizei möglicherweise hier Vertuschung und Verheimlichung zu unterstellen, und darauf muss natürlich Öffentlichkeitsarbeit reagieren. Im besten Fall tut sie das so, wie sie es jetzt ja auch gemacht haben, nämlich sehr sorgfältig, aber auch sehr rasch mit den Dingen an die Öffentlichkeit zu gehen und es klarzustellen, was genau erwiesen ist und was man erst noch ermitteln muss. Ich finde, die Medien machen das auch sehr vernünftig. Manche sind da ein bisschen sehr forsch, aber grundsätzlich kann man sagen, dass die Medien in Deutschland sehr verantwortungsbewusst mit solchen Informationen umgehen.
Wendt: Hier ist ganz normale Polizeiarbeit gefragt
Zagatta: Verändert denn jetzt so eine Messerattacke, verändert das jetzt irgendetwas in diesen Stunden, in diesen Tagen an der konkreten Polizeiarbeit? Setzt man da jetzt mehr Kräfte ein, oder passiert nach so einem Fall, erst recht, wenn der Hintergrund so unklar ist, erst einmal gar nichts?
Wendt: Nein. Hier ist ganz normale Polizeiarbeit gefragt. Es ist ja ein Tötungsdelikt, das hier vorliegt, und mehrere versuchte Tötungsdelikte. Das heißt, hier setzt ganz normale solide Polizeiarbeit ein, wie wir sie kennen: Spurensicherung, Zeugenvernehmung, die Tätervernehmung und vieles andere mehr, was zur Aufklärung einer solchen Gewalttat beiträgt. Das hat mit der öffentlichen Diskussion gar nichts zu tun, denn Profiarbeit der Polizei verändert sich ja nicht durch die öffentliche Diskussion. Das ist viel trockener, als in manchem Krimi zu sehen, und viel professioneller, als sich manche vorstellen können. Da ändert sich gar nichts dran. Die Polizei auch und gerade in München ist, was diese Bearbeitung angeht, sehr, sehr professionell und erfolgreich, und daran wird sich auch nichts ändern. Natürlich sind wir durch die öffentlichen Debatten auch sensibilisiert. Das ist doch selbstverständlich. Jede Polizistin und jeder Polizist verfolgt ja die öffentlichen Debatten auch. Aber auf unsere Arbeit hat das keinen Einfluss.
Zagatta: Rainer Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft. Herr Wendt, ich bedanke mich für das Gespräch.
Wendt: Sehr gerne. Tschüss!
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