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Metall- und Elektroindustrie
"Verlorene Arbeitszeit muss irgendwie nachgeholt werden"

Im Tarifkonflikt fordert die IG Metall auch ein Recht auf eine befristete Arbeitszeitverkürzung. Den Unternehmen würde dadurch jede Menge Arbeitsvolumen verloren gehen, sagte IW-Tarifexperte Hagen Lesch im Dlf. Die fehlende Arbeitszeit müsste irgendwie ersetzt werden, was angesichts des Fachkräftemangels ohnehin schon schwierig sei.

Hagen Lesch im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mitarbeiter der "Leoni Special Cable" stehen in Friesoythe bei einem Warnstreik vor dem Werkstor.
    Mitarbeiter der "Leoni Special Cable" stehen in Friesoythe bei einem Warnstreik vor dem Werkstor. (dpa-Bildfunk / Mohssen Assanimoghaddam)
    Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Hagen Lesch, Fachmann für Tarifpolitik beim Institut der deutschen Wirtschaft, ein arbeitgebernahes Forschungsinstitut. Guten Abend, Herr Lesch.
    Hagen Lesch: Guten Abend, Herr Dobovisek.
    Dobovisek: Warnstreiks in mehreren Bundesländern, bald könnte es erste Tagesstreiks geben, ohne Urabstimmung. Ist der Arbeitskampf der Metaller aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?
    Lesch: Nein, er ist nicht gerechtfertigt, denn es besteht die Möglichkeit, am Verhandlungstisch zu Lösungen zu kommen. Das setzt allerdings voraus, dass vor allen Dingen die Gewerkschaften bestimmte Vorfestlegungen fallen lassen. Die Arbeitgeber haben sich ja auch schon ein Stück weit bewegt. Und ich glaube, wenn die IG Metall das auch ein Stück weit tut, dann kommen wir um Streiks, zumindest um unbefristete Streiks oder um Tagesstreiks herum.
    Dobovisek: Genau das ist aber das, was die IG Metall auch den Arbeitgebern vorwirft, sich nicht zu bewegen und Vorfestlegungen zu machen.
    "Rückkehrrecht ist eine Kröte für Arbeitgeber, die sie schlucken müssen"
    Lesch: Nun, zunächst war ja die Forderung der IG Metall, die Arbeitszeit reduzieren zu können für Vollzeitbeschäftigte mit einem Rückkehrrecht, und dieses Rückkehrrecht ist natürlich neu und das ist natürlich auch für die Arbeitgeber zunächst einmal eine Kröte, die sie schlucken müssen, denn das Rückkehrrecht an sich erhöht ja den Anreiz, tatsächlich mal mit der Arbeitszeit zu spielen, mal zwei Jahre ein bisschen kürzer zu treten, dann wieder zwei Jahre normal zu arbeiten, dann wieder zwei Jahre kürzer. Und je nachdem, wenn die Beschäftigten das machen und je mehr Beschäftigte das machen, desto komplizierter wird natürlich eine Arbeitsorganisation für die Unternehmen.
    Dobovisek: Aber auch desto attraktiver.
    Lesch: Ja. Aber das Problem ist ja, dass den Unternehmen jede Menge Arbeitsvolumen verloren geht, und das muss planbar sein. Insofern: Wir waren ja an dem Punkt, ob die Arbeitgeber sich ein Stück weit bewegt haben. Da haben sie sich bewegt, denn sie haben signalisiert, dass man über ein Rückkehrrecht sprechen kann, wenn man denn den Verlust des Arbeitsvolumens durch die Reduzierung durch Regelungen sozusagen kompensiert, die es erlauben, dass auch ein Teil der Beschäftigten länger arbeiten kann. Insofern, glaube ich schon, sind die Arbeitgeber hier ein Stück weit entgegengekommen. Es hängt jetzt an diesem Teilzeitanspruch und hier, glaube ich, muss sich die IG Metall bewegen, weil die Arbeitgeber es rechtlich einfach nicht können.
    Dobovisek: Die Arbeitnehmer haben sich bereits bewegt. So sagen es zumindest die Arbeitnehmervertreter. Bei guter Auftragslage Mehrarbeit, bei Flaute werden Überstunden abgefeiert. Das ist ja schon ein Arbeitskontenmodell, Flexibilität, mit der die Arbeitnehmer vorangegangen sind. Jetzt sind die Arbeitgeber dran, sagt die Gewerkschaft.
    "Arbeitszeitkonten nutzen auch dem Arbeitnehmer"
    Lesch: Ich glaube, dass die Tatsache, dass wir Arbeitszeitkonten haben und die Arbeitszeit mit der Auftragslage atmen kann, ja nicht nur dem Unternehmen nützt, sondern auch dem Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer erhält ja dadurch eine größere Beschäftigungssicherheit, wenn er nicht im Abschwung gleich entlassen wird, um dann im nächsten Aufschwung wieder eingestellt zu werden. Insofern: Arbeitszeitpolitik ist etwas, das im Interesse beider Seiten liegt, und auch die Flexibilität liegt im Interesse beider Seiten, und da muss man immer wieder Wege finden, um auch beide Interessen auszutarieren.
    Dobovisek: Nennen wir noch mal das Modell, das angesprochen ist von der IG Metall, das gefordert wird: 28 statt 35 Stunden in der Woche bei Lohnausgleich und Rückkehrrecht, eine befristete Teilzeit für Kinder und die Pflege. Würde dieses Modell der Branche helfen beim Atmen, beim Atmen, wie Sie es beschrieben haben?
    Hagen Lesch ist Tarifexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln
    Hagen Lesch, Tarifexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Institut der deutschen Wirtschaft)
    Lesch: Die IG Metall setzt ja hier zunächst einmal auf einen Teil der Beschäftigten, etwa 20 oder 25 Prozent, die Kinder oder Pflegefälle haben. Die stehen im Fokus und denen will man eine lebensphasenorientierte Arbeitszeitpolitik ermöglichen. Das bedeutet aber in dem Maße, in dem dieser Personenkreis das in Anspruch nimmt, dass natürlich Arbeitszeit verloren geht, und die müssen natürlich andere durch Mehrarbeit wie auch immer nachholen, denn beliebig einstellen kann man nicht.
    Wir haben zum einen Fachkräftemangel und zum anderen Mal wissen Sie natürlich auch nicht, ob Sie Personal einstellen können für einen bestimmten Zeitraum, den die Leute ausscheiden. Das ist ja auch relativ schwierig. Sie wissen ja dann nicht, scheiden die jetzt ein Jahr aus, zwei Jahre. Es ist sehr schwierig, dafür Fachkräfte zu bekommen. Das heißt, die IG Metall fokussiert sich hier etwas einseitig aus meiner Sicht auf den Aspekt der Arbeitszeitreduzierung und vergisst, dass man auch im Gegenzug dann vorschlagen müsste oder zumindest empfänglich dafür sein müsste, wenn die Arbeitgeber sagen, okay, dann wollen wir aber auch eine größere Quote oder eine höhere Quote derer haben, die länger als 35 Stunden arbeiten müssen. Ich glaube, dass man diese beiden Dinge unbedingt zusammen verhandeln muss.
    Dobovisek: Aber Flexibilisierung der Arbeit, so wie es vorgeschlagen ist, würde die Arbeit auch attraktiver machen. Und Sie haben den Fachkräftemangel angesprochen. Wäre das nicht am Ende eine Situation, in der beide Seiten gewinnen würden, wenn nämlich die Arbeitsplätze attraktiver wären und sich mehr auch für einen Beruf in der Metallindustrie interessieren würden?
    "Nur ein zufriedener Arbeitnehmer ist auch ein motivierter Arbeitnehmer"
    Lesch: Dass die Arbeitsplätze attraktiv sind, rechnet sich natürlich für beide Seiten. Das hatten wir eben schon. Nur ein zufriedener Arbeitnehmer, der auch eine vernünftige Arbeitszeit hat, mit der er zufrieden ist – das sind im Übrigen fast drei Viertel in der Metallindustrie -, der ist auch motiviert. Das ist ja überhaupt nicht die Frage.
    Das Problem ist doch, wo kriege ich die Fachkräfte her. Wir haben einen Arbeitsmarkt, der weitgehend leergeräumt ist. Die Metallindustrie entzieht ja auch anderen Branchen Arbeitskräfte. Das Verdienstniveau in der Metallindustrie ist eines der höchsten, das wir überhaupt haben. Das heißt, die Branche ist attraktiv, und das, was in den Tarifverträgen der Branche steht, auch zur Arbeitszeitflexibilisierung, ist ebenfalls Benchmark. Insofern glaube ich ist nicht das Problem da, dass die Branche nicht attraktiv wäre, Fachkräfte anzuziehen. Sie tut es und wir haben schlicht und ergreifend keine weiteren Fachkräfte, die die Branche anziehen könnte.
    Und, was ich schon gerade sagte, man muss immer sehen, das geht dann zu Lasten der anderen Branchen, die so was vielleicht nicht können. Wir haben in Deutschland nun mal die Situation, dass wir einen weitgehend geräumten Arbeitsmarkt haben. Wir haben noch 800.000 Langzeitarbeitslose, die man aber nur sehr, sehr schwer vermitteln kann. Das braucht Zeit. Und bis man den ganzen Flüchtlingszustrom in den Arbeitsmarkt integriert und daraus Fachkräfte generiert, oder dann irgendwann mal die so weit bringt, das wird auch lange dauern. Auf die Sprachprobleme ist gerade dieser Tage hingewiesen worden. Kurzum: Wir haben diese Fachkräfte, die man attraktieren will, einfach nicht, es sei denn, man würde die aus anderen Branchen abziehen.
    Dobovisek: Wer hat es versäumt, dass es genügend Fachkräfte gibt?
    Lesch: Man muss einfach sehen, dass die deutsche Wirtschaft widererwartend erfreulicherweise extrem stark gewachsen ist in den letzten Jahren, und man muss auch sehen, dass die Metallbranche widererwartend mehrere hunderttausend Arbeitsplätze in den letzten Jahren aufgebaut hat. Die Branche ist gewachsen in einem Ausmaß, das man sicherlich vor einigen Jahren so nicht vorhersehen konnte. Das ist sehr, sehr erfreulich, führt aber nun mal zu dem Problem, dass wir diese Fachkräfte nicht haben, und Fachkräfte gewinnt man nicht von heute auf morgen. Wir haben auch ein gewisses demographisches Problem. Der Arbeitsmarkt ist in Deutschland nun mal weitgehend, erfreulicherweise weitgehend ausgeschöpft und wir brauchen, um das wieder etwas besser gestalten zu können, irgendwann mal eine gezielte Zuwanderung, ein vernünftiges Zuwanderungsgesetz, was uns dann aus dem Ausland die Fachkräfte anlockt, die wir benötigen.
    Dobovisek: Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft. Das Gespräch haben wir am Abend aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.