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Metaphernarmut und emotionale Kargheit

Mit seinem minimalistischen Schreibstil ist der Norweger Kjell Askildsen sogar schon in die literaturkritische Terminologie eingegangen. Sein Landsmann Jan Kjærstad hat den entsprechenden Begriff geprägt: das "Askildsen-Syndrom" - zu erlesen in dieser Sammlung.

Eine Besprechung von Peter Urban-Halle |
    Mit seinem minimalistischen Schreibstil ist der Norweger Kjell Askildsen sogar schon in die literaturkritische Terminologie eingegangen. Sein Landsmann Jan Kjærstad hat den entsprechenden Begriff geprägt, indem er sagte, wer sich in übertriebenem Maße an Metaphernarmut und emotionaler Kargheit begeistere und alles "Fabulierende und Ideensprudelnde" von vornherein verurteile, der weise unzweifelhaft das "Askildsen-Syndrom" auf.

    Seit seinem Debüt 1953 hat Askildsen etwa ein Dutzend dünner Bücher geschrieben – das entspricht, wie jemand ausgerechnet hat, einer Jahresproduktion von 30 Seiten. Aus diesem schmalen Werk stellt er nun 18 Geschichten vor, von 1966 bis 1999. Die beiden Texte aus den Sechzigern, "Begegnung" und "Mardons Nacht", sind noch sehr modernistisch beeinflusst, ein wenig atemlos, teilweise ohne Absatz, man weiß nicht recht, wer hier eigentlich spricht oder denkt. Aber spätestens in den 80er-Jahren hat Askildsen nur noch Meisterstücke abgeliefert, sein Zyklus "Thomas F's letzte Aufzeichnungen für die Allgemeinheit" wurde 2007 zum besten norwegischen Buch der letzten 25 Jahre gewählt.

    Dabei dürfte der Stil seiner Texte, wenn sie denn einen haben, nicht nach jedermanns Geschmack sein. Er schreibt in einer schmucklosen, um nicht zu sagen maulfaulen Sprache, deren einzige Lust darin besteht, noch den letzten überflüssigen Buchstaben auszumerzen. Askildsens Prosa hat wenig mit Literatur zu tun, jedenfalls im Sinne von Georges Simenon, der gesagt hat:

    "Ich habe versucht, alles zu vermeiden, was nach Literatur aussieht. Mein Ziel ist Einfachheit."

    Und dann Askildsens Helden! Es sind ziemlich unsympathische Zeitgenossen: alte einsame, sture Männer, die vor sich hingrummeln, vollkommene Misanthropen, schnell beleidigt, nie zufrieden, auch nicht mit sich selbst, also neidisch auf jeden, der nur einen Funken Selbstbewusstsein hat. Sie fühlen sich in ihrer Einsamkeit wohl und doch wieder nicht. Das Schlimmste, was ihnen widerfahren kann, ist, wenn jemand ihnen mit Gefühlen kommt, das finden sie dann einfach nur noch peinlich. In der Geschichte "Ich bin nicht so" unterhält sich ein Mann mit dem Nachbarn seiner eben verstorbenen Schwester. Sie reden über dies und das ...

    ... und dann fügte er hinzu – ziemlich unangebracht, fand ich –, dass er sonst nichts gegen Einsamkeit habe. Sie meinen dagegen, alleine zu sein?, fragte ich. Ja, ja, das hatte er gemeint. Doch letzthin, nach dem Tod meiner Schwester, war es so still geworden, ( ... ) das mache ihm richtig Angst. Ob ich auch allein lebe? Ich nickte. Angst?, fragte ich. Ja, Sie wissen, wenn alles so bedrängend leer ist ... Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, es liegt nicht in meiner Natur, mich anderen anzuvertrauen ( ... ) Und als er dann auch noch anfing, über Liebe zu reden, beschloss ich, den Besuch zu beenden.

    Das Leben erscheint bei diesem gnadenlosen Norweger wie eine ewige Lüge, die Beziehungen sind zerbröckelt und vergiftet, aber zu einer sauberen Trennung reicht es selten, entweder kommt sie durch den Tod der Partnerin zustande, oder man arrangiert sich, innerlich ist alles zerstört, aber nach außen ist wieder "Alles wie vorher", so auch der Titel einer Erzählung. Entwicklungen gibt es kaum, Askildsens Geschichten sind Zustandsbeschreibungen, wobei die Gefühlslage seiner Helden nicht immer schon im ersten Satz so klar ist wie in der Erzählung "Ein plötzlich befreiender Gedanke":

    Ich wohne in einem Keller; das ist in jeder Hinsicht ein Ergebnis des Umstands, dass es mit mir bergab gegangen ist.

    Bei aller Tragik sind Askildsens Texte auch komisch, seine misanthropischen Helden erinnern zuweilen an den amerikanischen Komödianten William Claude Fields. Es ist eine Komik, die den lakonischen Stil braucht, den trockenen Hieb. Sein Erzählen drängt sich nicht in den Vordergrund, es verrät uns wenig, uns wird viel Luft zum Atmen gelassen, auch wenn uns manchmal der Hals wie zugeschnürt ist, wir müssen, nein, wir dürfen uns alles selber denken. Seine Kargheit wirkt ungeheuer auf- und anregend – viel mehr als der Stil der magischen Realisten, dessen Farbigkeit uns blendet, oder der redegewandten Postmodernen, deren Ironie uns mundtot macht. Askildsen schwatzt nicht, er schweigt lieber.

    Das hat nun nichts mit Mallarmés "Poesie des Schweigens" zu tun, sondern eher mit dem Auslassen und Andeuten eines Raymond Carver. Aber Carvers Figuren sind mehr mit dem wirklichen Leben verhaftet, es sind Mitglieder des american life. Das Problem von Askildsens Figuren ist vor allem seelischer Art, sie leben in einer anderen Welt, wenn sie schlafen, träumen sie manchmal – oft verbotene erotische Träume –, doch wenn sie aufwachen, setzt sich ihr Traum einfach fort, sie nehmen ihn mit ins Leben. Oder andersherum: Sie haben bei helllichtem Tage ein Fantasiebild vor Augen, das sie dann mit in den Schlaf nehmen. Askildsen hat Hermann Brochs große Romantrilogie "Die Schlafwandler" übersetzt, und wie Schlafwandler gehen seine Leute durch die Welt, sie nehmen sie wahr und doch wieder nicht. In einer Erzählung gibt es einen direkten Hinweis auf Broch, einer dieser alten Männer liest das Buch "Esch oder Die Anarchie" – es ist der zweite Band von Brochs Trilogie, gesagt wird das natürlich nicht.

    Einige von Askildsens Erzählungen wurden vor knapp 20 Jahren schon einmal übersetzt, und nicht schlecht. Aber Hinrich Schmidt-Henkel kann sich in Askildsen oder verwandte Autoren wie Jean Echenoz oder Tanguy Viel noch besser hineinversetzen, er trifft den lakonischen, pointierten Ton genau, erlaubt sich kaum ein überflüssiges Wort und erreicht damit eine bemerkenswerte Klarheit. Er ist wirklich der kongeniale Übersetzer für diese trockene, minimalistische Literatur.

    Kjell Askildsen: "Ein schöner Ort". Erzählungen. Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Sammlung Luchterhand, München 2009. 288 S., 9 Euro