Stefan Koldehoff: Seit die Vorwürfe gegen den mächtigen Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung öffentlich wurden, vergeht kaum ein Tag an dem nicht neue Namen mit ähnlichen Vorwürfen genannt werden. Auch und gerade in den Medien. Nun soll und kann es an dieser Stelle nicht um die Frage gehen, wie gerechtfertigt diese Vorwürfe sind. Wir sind kein Gericht, sondern ein journalistisches Magazin. Aber über die Rolle der Medien in der #MeToo-Debatte wollen und müssen wir schon reden. Schließlich kommen über sie Anschuldigungen an die Öffentlichkeit. Für deren Zutreffen ist zwar zum Teil eine hohe Wahrscheinlichkeit, oder sogar Eingeständnisse, aber eben oft auch Dementis gibt. Christian Schertz, Medienanwalt in Berlin und Honorar-Professor an der TU Dresden habe ich vor dieser Sendung erzählt, dass ich mal gelernt habe, Verdachtsberichterstattung sei im Journalismus ein Ding der absoluten Unmöglichkeit. Schuldig ist nur, wer seine Schuld eingestanden hat oder wem sie nachgewiesen wurde. Gilt das nicht mehr?
Christian Schertz: Doch das gilt und insofern ist auch hier einiges, was gerade passiert, eindeutig rechtswidrig. Die Verdachtsberichterstattung ist nur in ganz wenigen Ausnahmefällen zulässig. Mit anderen Worten: Weil die Stigmatisierung in der Öffentlichkeit durch die Berichterstattung so groß ist und die Folgen meistens auch nicht wieder gut zu machen sind für den Betroffenen, den vermeintlichen Täter, hat das Bundesverfassungsgericht ziemlich genaue Regeln entwickelt, ab wann man überhaupt über einen Verdacht berichten darf. Und zwar nur dann, wenn der Verdacht in einem besonderen öffentlichen Interesse steht und der Betroffene auch zu Wort kommt. Und das Besondere öffentliche Interesses ist natürlich insbesondere, wenn Staatsdiener, Personen, die in einer Wirtschaft große Verantwortung tragen in Zusammenhang mit ihrem Beruf ein Fehlverhalten vorgeworfen wird. Dann darf, sagt das Verfassungsgericht, berichtet werden.
Bei dem Vorwurf des sexuellen Übergriffs ist natürlich klar, die Stigmatisierung durch eine Veröffentlichung des bloßen Vorwurfs ist der gesellschaftliche Knock-out, wie man an Betroffenen auch in Amerika sieht, wie man aber auch im Fall Kachelmann gesehen hat. Deswegen ist es auch hier vom Bundesgerichtshof unlängst im letzten Jahr entschieden worden, wo eben ein solcher Verdacht gegen einen Sportler erhoben worden ist. Und dieser Bericht war unzulässig. Er hätte nicht gebracht werden dürfen, solange nicht die Schuld des Täters feststeht oder jedenfalls eine Anklage vorliegt. Mit anderen Worten: Die ganze #MeToo-Debatte, die die Medien aufgreifen mit Nennung von Ross und Reiter ist eigentlich unzulässig, muss man ganz klar sagen.
"Ich glaube an den Rechtsstaat"
Koldehoff: Nun argumentieren die Opfer natürlich: Wir haben keine andere Möglichkeit, diese Fälle an die Öffentlichkeit zu bringen. Erstens, liegen sie schon viele Jahre zurück und es gibt keine Beweise mehr, die wir herbeischaffen könnten. Und zweitens sind das häufig Machtmenschen, gegen die sich diese Vorwürfe richten. Wir hätten überhaupt keine Chance gehabt, das zeitnah gegen so jemanden vorzubringen.
Schertz: Wissen Sie, so unpopulär diese Auffassung jetzt ist, aber ich halte das für ein Scheinargument, und es ist auch nicht richtig. Ich glaube, nicht nur als Jurist, sondern als Staatsbürger: Ich glaube einfach an den Rechtsstaat. Der Rechtsstaat sagt: Wenn dir jemand etwas angetan hat, dann gibt es dafür die Institutionen. Das ist die Polizei und die Staatsanwaltschaft. Da kannst du hingehen und deine Strafanzeige stellen. Und dann wird diesbezüglich geprüft und ein Ermittlungsverfahren bei einem Anfangsverdacht eingeleitet. Jeden zu nennen, dort ist das und jenes passiert - das ist, ich kann es nicht ändern, es ist rechtswidrig. Insofern sind die Folgen für den, dem das vorgeworfen wird, schon erheblich und eigentlich auch lebenslaufvernichtend, muss man ganz klar sagen.
#Metoo-Debatte wird nur in den Medien geführt
Koldehoff: Vernichtend, lebenslaufvernichtend, psychisch sehr belastend umgekehrt natürlich auch für die Situation der Opfer. Was hätte die junge Schauspielerin - die vom Hollywood-Tycoon möglicherweise ins Zimmer gezogen und dort sexuell bedrängt wird - was hätte sie tun sollen?
Schertz: Na ja, das ist natürlich eine Abwägung. Sie hätte als Opfer einer solchen Straftat Strafanzeige stellen sollen. Und ich glaube, so wie ich Amerika kennengelernt habe, ist gerade da die Debatte ja noch viel härter als bei uns. Also, wenn auch einem Hollywood-Star derartiges vorgeworfen wird und die Staatsanwaltschaft ermittelt. Nehmen Sie nun damals Michael Jackson. Dann greifen eigentlich auch dort die Institutionen und die Behörden.
Das Problem an dem ganzen Fall #MeToo ist: Die ganze Debatte wird im Augenblick nur in den Medien geführt und nicht von den eigentlich zuständigen Institutionen, nämlich den Behörden. Eine Vergewaltigung ist eine sehr schlimme Straftat, die zur Anzeige gebracht werden muss. Und dann auch zu einer Sanktion führt, wobei natürlich - das weiß ich auch - immer die Problematik der Aussage gegen Aussage dort steht. Aber natürlich ist eine solche Einlassung einer Person wie Weinstein oder Kevin Spacey nicht wirklich glaubwürdig, dass ihnen das jetzt so spät eingefallen ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.