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Metropoltheater München
Minimalismus pur mit großem Output

Der für seine feinen Inszenierungen bekannte Intendant Jochen Schölch hat aus der Buchvorlage von Georges Perec mit dem umständlichen Titel: "Über die Kunst seinen Chef anzusprechen und ihn um eine Gehaltserhöhung zu bitten", eine Reduktion par excellence hingelegt. Herausgekommen ist eine hochkomplexe Charakter- und Milieustudie en miniature.

Von Rosemarie Bölts |
    Es war - trotz einschlägiger Vorerfahrungen mit Jochen Schölchs Minimalismus - wirklich nicht vorhersehbar, aber hier übertreibt der Regisseur maßlos. Der für seine feinen Inszenierungen bekannte Intendant des ebenso kleinfeinen Münchner Metropoltheaters hat aus der Buchvorlage von Georges Perec mit dem umständlichen Titel: "Über die Kunst seinen Chef anzusprechen und ihn um eine Gehaltserhöhung zu bitten", eine Reduktion par excellence hingelegt. Die Bühne ist ein Podest von maximal vier Quadratmetern, das einzige Requisit eine weiße Kipptafel, und das strenge Büro-Outfit der Protagonistin - tintenblaues Etuikleid mit langen Ärmeln und Bubikragen, hochgesteckter Dutt und gerade geschnittener Pony - wird konterkariert durch einen Monolog, der sich so tückisch wie typisch in einem einzigen Fließtext verheddert:
    "In diesem Fall drehen sie ohne den Mut zu verlieren eine runde durch die verschiedenen Abteilungen deren Gesamtheit ganz oder teilweise die Organisation bildet die sie beschäftigen und dann kehren sie zu Monsieur x zurück in der Hoffnung er sei angekommen natürlich ist das dann nur entweder oder entweder Monsieur x ist in seinem Büro oder aber Monsieur x ist nicht in seinem Büro sind sie etwa in ihrem Büro nein also warum sollte dann Monsieur x in seinem Büro sein".
    Hierarchische Strukturen aus vergangener Zeit
    Nicht nur die Deko bleibt in den 60ern, als dieser Text entstand. Auch die Büroangestellte repräsentiert in Gestus und Mimik die verklemmte Anordnung von hierarchischen Strukturen in Großbetrieben einer vergangenen Zeit, aus der auszubrechen nicht gelingt, weil die Machtverhältnisse nicht angetastet werden. Schon gar nicht, indem man alle Eventualitäten durchspielt, die den Chef verhindern könnten und:
    "Man darf nicht systematisch pessimistisch sein!"
    Und die mit einem permanent auf scheinbare Alternativen ausgelegten entweder - Oder immer wieder angegangen werden. In ständig neuen Anläufen umkreist die Vortragende das Büro des Vorgesetzten, indem sie mit Kreide drei Kreise an die Tafel malt und mit roten Magnetknöpfen - Punkt, Punkt, Komma, Strich - als Personen markiert. Gleichzeitig umkreist sie darauf ihre verzweifelten Bemühungen, den Faktor Zufall zu berechnen, um mit wachsender Anstrengung zwar tragisch und erfolglos, aber durchaus komisch einem kafkaesken Denksystem zu trotzen.
    Auch hier gilt: kleine Gesten, große Wirkung. Wer, wenn nicht die Staatsschauspielerin Ulrike Arnold vom Münchner Residenztheater sollte das leisten können? Sie darf stolpern und hilflos mit den Armen kreisen, die winzigen Taschen an ihrem Kleid herauskneten, sich die Hände am Kleid abreiben, den verzweifelten Blick auf die fiktive Bürouhr richten. Zum Schluss ist ihr adrettes Wollkleid vollgeschmiert mit weißer Kreide und sie ein Bild der totalen Verunsicherung in der Selbstvergewisserung. Absurdes Theater.
    Minimalismus pur
    Die in ihrer Beiläufigkeit fabelhafte Ulrike Arnold fängt den unlesbaren, eins zu eins übertragenden Text spielend ein, ohne dessen Struktur zu verraten, oder in dessen Monotonie zu versinken. Aus dem Gegensatz von Arnolds minimalem Bewegungsraum und ihrer ausufernden, verbalen Endlosschleife entwickelt sich eine hochkomplexe Charakter- und Milieustudie en miniature. Hinreißend lässig mal eben auf die winzige Bühne des kleinen Münchner Vorstadttheaters gesetzt. Das ist, auf die Jetztzeit gemünzt: Minimalismus pur mit großem Output.