Die beiden Redakteure blicken auf den Computerbildschirm und diskutieren, welchen Beitrag sie zuerst bringen wollen. Zweimal wöchentlich produzieren sie in Berlin die halbstündige Fernseh-Sendung "Senin Sesin" zu Deutsch "Deine Stimme" des aserbaidschanischen Exilsenders Meydan TV.
"Es sind Geschichten über Dinge, die falsch laufen im Land."
Sagt Produzent Jamal Ali:
"Heute haben wir zum Beispiel ein Thema aus einem Park in Baku. Jemand fällt dort illegal Bäume, vielleicht, um sich ein Haus zu bauen, ohne Genehmigung."
Menschenrechte - nur auf dem Papier
Seit 2013 liefert Meydan TV aus Berlin unabhängige Informationen aus und über Aserbaidschan. Denn das ölreiche Land wird von dem autoritären Herrscher Ilham Aliyew regiert und so gut wie alle Medien in Aserbaidschan berichten nur, was der Regierung genehm ist. Wer opponiert, muss mit Repressalien, Verfolgung und Gefängnis rechnen. Neun Journalisten und drei Blogger sitzen laut "Reporter ohne Grenzen" wegen ihrer Arbeit in Aserbaidschan derzeit hinter Gittern.
"Wir haben Wahlen, wir haben Menschenrechte, aber alles nur auf dem Papier."
Sagt Emin Milli, der Gründer von Meydan TV. Milli weiß, wovon er spricht. Auch er wurde 2009 inhaftiert. In Menschenrechtskreisen machte seine Haft damals Furore. Nichtregierungsorganisationen setzten sich für ihn ein, sogar der damalige US-Präsident Barack Obama sprach den Fall gegenüber Präsident Aliyew an. Als Milli nach anderthalb Jahren schließlich vorzeitig freigelassen wurde, flüchtete er nach Deutschland. 2013 hob er in Berlin Meydan TV aus der Taufe.
Untergrundmedien – nur in Cafés und Wohnungen
Das Projekt finanziert sich aus Spenden und Geldern europäischer Stiftungen, rund 20 Mitarbeiter sind beteiligt. Sie arbeiten in Deutschland, Georgien und in Aserbaidschan selbst. Dort müssen sie anonym vorgehen, sagt Zarona Ismailova, die stellvertretende Redaktionsleiterin.
"Sehr gefährlich, die würden verhaftet. Wir haben kein Büro, sie müssen von verschiedenen Wohnungen und Cafés arbeiten, das ist Untergrundmedien."
Sendungen – nur online
Ihre Sendungen strahlen die Redakteure nicht im Fernsehen aus, sondern stellen sie online. Inhaltlich arbeiten die Redakteure vollkommen frei, keine staatliche Stelle kontrolliert ihre Beiträge. Fast eine halbe Million Menschen - fünf Prozent der Gesamtbevölkerung Aserbaidschans - folgen der Facebookseite von Meydan TV. Den Youtube-Kanal haben knapp 70.000 Personen abonniert. Emin Milli:
"Wir zeigen die Geschichten, die Regierungs- oder Pro-Regierungs-Medien nie zeigen würden. Wir nehmen auch viele offizielle Nachrichten und versuchen das mit Kontext, Background drüber zu berichten. Das würden Regierungsmedien nie so präsentieren."
Verkünden die Regierungsmedien zum Beispiel den Bau neuer Großprojekte, dann beobachtet Meydan TV, ob die Bürger im Fall von Zwangsräumungen ihrer Häuser entschädigt werden. Bei Unfällen in Staatsbetrieben recherchieren die Redakteure, ob die Opfer medizinische Versorgung erhalten.
Nachbohren bei Behörden – von Berlin aus erfolgreich
Eines der aktuellen Projekte: die Sendung "Deine Stimme". An ihr sind die Bürger in Aserbaidschan direkt beteiligt. Meydan TV ruft sie dazu auf, in Videos von Ungerechtigkeiten aus ihrem Alltag zu erzählen. Die Einsendungen handeln von Bestechung bei der Vergabe von Arztpraxen. Von Vertragsbrüchen bei Entlassungen. Von Zwangsarbeit, sagt Produzent Jamal Ali:
"Die Leute sagen uns oft, ich habe die Behörden kontaktiert, aber keine Antwort bekommen. Deswegen wende ich mich jetzt an Euch."
Nachzubohren, wenn die Behörden mauern. Für normale Bürger und für Journalisten in Aserbaidschan könnte das schnell heikel sein. Die Distanz nach Deutschland bietet den Meydan-Redakteuren jedoch Sicherheit. Und so rufen sie von Berlin aus bei den zuständigen Stellen in Aserbaidschan an und fragen nach, ob die Anschuldigungen stimmen. Sowohl das Video als auch die Antwort der Behörden veröffentlichen sie dann in ihrer Sendung.
"Viele individuelle Probleme werden gelöst"
Die Behördenmitarbeiter wollten weiteres Aufsehen verhindern, vor allem dann, wenn sie selbst in die Fälle verwickelt seien, sagt Emin Milli. Dass Meydan TV helfen könne, Ungerechtigkeiten aus der Welt zu schaffen, macht ihn zufrieden. Bei allem Engagement ist eines jedoch deutlich: Milli wartet auf den Tag, an dem auch die Kollegen in Aserbaidschan kritische Themen in ihrem Land angstfrei thematisieren können.