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Meyer: Widerstand in Libyen ohne Perspektive

Die Hoffnung der Gaddafi-Anhänger, das Blatt noch zu wenden, sei nach dem Tod des libyschen Ex-Machthabers endgültig zerstört, so die Einschätzung von Günther Meyer, Libyen-Experte an der Uni Mainz. Einen Bürgerkrieg hält er trotz zahlreicher Waffen im Land für unwahrscheinlich.

Günther Meyer im Gespräch mit Peter Kapern |
    Peter Kapern: 42 Jahre lang hat er Libyen mit eiserner Hand regiert, gestern ist er gestorben: Muammar al-Gaddafi, der gestürzte Diktator des Landes. Das sei ein Wendepunkt in der Geschichte des Landes, hieß es gestern. Aber worin wird diese Wende genau bestehen? – Das kann uns jetzt Professor Günther Meyer, der Libyen-Experte von der Universität in Mainz, erklären. Guten Morgen, Herr Meyer.

    Günther Meyer: Guten Morgen, Herr Kapern!

    Kapern: Herr Meyer, Gaddafi hatte ja die Macht längst verloren. Welche Bedeutung kommt dann eigentlich seinem gestrigen Tod jetzt noch zu?

    Meyer: Die Macht hatte er verloren, aber er hat nach wie vor aus dem Untergrund immer wieder mit Radiosendungen zum Widerstand aufgefordert. Das heißt, bei seinen Anhängern bestand immer noch die Hoffnung, eventuell das Blatt noch zu wenden. Diese Hoffnung ist jetzt endgültig zerstört. Das heißt, eine Gefahr von Guerilla-Aktivitäten oder Ähnliches, diese Gefahr ist deutlich geschrumpft.

    Kapern: Das heißt, Sie gehen davon aus, dass mit dem Tod Gaddafis auch tatsächlich der Widerstand endet, der Widerstand gegen die neue Regierung in Tripolis?

    Meyer: Davon ist einfach auszugehen. Der Widerstand hat keine Perspektive mehr, obwohl es durchaus ein gewisses Risiko gibt, dass einige der Anhänger von Gaddafi, die noch hervorragend waffenmäßig ausgerüstet sind, auch innerhalb des Landes sind. Es gibt, glaube ich, kaum ein Land, wo so viele Waffen unter der Bevölkerung verteilt sind. Gaddafi hat das einerseits gemacht, darüber hinaus sind die Waffenlager jetzt geplündert worden. Das heißt also, das Waffenpotenzial innerhalb des Landes ist enorm, aber es besteht nicht die Gefahr, dass es dann tatsächlich hier noch zu größeren Revolten gegen die neue Herrschaftsform kommen wird.

    Das große Fragezeichen ist jedoch, was passiert mit den Milizen, die eben hervorragend ausgerüstet sind? Werden sie tatsächlich bereit sein, ihre Waffen abzugeben, so wie es einige durchaus auch schon angekündigt haben? Aber das werden sie sicherlich nur dann machen, wenn ihnen zugesichert wird, dass sie für ihren Einsatz auch entsprechend entschädigt werden. Also mit den Milizen und mit der Bewaffnung der Milizen, deren sehr unterschiedlichen Interessen, da werden noch erhebliche Probleme zu lösen sein.

    Kapern: Herr Meyer, es herrscht ja noch vollständige Unklarheit darüber, wie Muammar al-Gaddafi gestern gestorben ist, ob er gewissermaßen im Rahmen eines Gefechts getötet wurde, oder ob er von den Aufständischen gelyncht wurde. Macht das eigentlich einen Unterschied im Angesicht dessen, was vor dem Land liegt?

    Meyer: Das macht nicht den geringsten Unterschied. Es wird noch einige Diskussionen sicherlich über das Thema geben, aber der, um es zynisch zu sagen, große Vorteil des Todes von Gaddafi ist, man braucht sich jetzt nicht lange darüber zu streiten, wie man ein Gerichtsverfahren aufbereiten sollte, sondern man kann sich gleich den Herausforderungen der Zukunft widmen. Insofern hat es durchaus seinen Vorteil.

    Kapern: Aber wäre es nicht besser gewesen, wenn Gaddafi vor Gericht gelandet wäre, weil ein solcher Prozess ja vielleicht auch eine Möglichkeit der Aufarbeitung der Vergangenheit gewesen wäre?

    Meyer: Eine solche Möglichkeit hätte durchaus bestanden, aber wenn man sich anschaut, wie diese Aufarbeitung im Falle von Mubarak in Ägypten erfolgt, beziehungsweise zu welchen Konflikten diese Aufarbeitung im Irak geführt hat, dann ist es sicherlich besser, dass man sich auf dieses Risiko gar nicht erst einlässt, und damit hat sich das Thema ja ohnehin erledigt.

    Kapern: Herr Meyer, der Kampf gegen Gaddafi hat den nationalen Widerstand geeint. Wie lange hält diese Einheit jetzt noch?

    Meyer: Es ist zu befürchten, dass bereits heute, wenn es jetzt darum geht, innerhalb der nächsten vier Wochen eine Übergangsregierung zu etablieren, dass bereits heute diese Allianz brüchig werden wird. Wir haben es in der Vergangenheit schon gesehen: Die Regierungsbildung, die Bildung einer Übergangsregierung musste ausgesetzt werden, weil die unterschiedlichen Gruppierungen sich nicht einigen konnten. Wir haben hier ein breites Spektrum mit großen Gegensätzen. Es sind tribale Gegensätze, es sind regionale Gegensätze, ideologische Gegensätze, die gelöst werden müssen und wo es sehr darauf ankommen wird und sehr viel diplomatisches Geschick erfordern wird, diese unterschiedlichen Interessen zu vereinen.

    Das heißt, es beginnt mit den rund 130 verschiedenen Stämmen, die teilweise von Gaddafi profitiert haben, teilweise benachteiligt, diskriminiert worden sind. Da gibt es sehr viele Blutrachefälle. Auf der anderen Seite: Gerade die traditionelle Moderation zwischen den Stämmen macht die Hoffnung, dass diese Konflikte gelöst werden können.

    Größer sind die ideologischen Konflikte zwischen den Islamisten auf der einen Seite und den säkularen liberalen Kräften auf der anderen Seite als die beiden extremen Pole. Daran ist schon gescheitert der erste Gründungsversuch einer Übergangsregierung, in dem Mahmud Dschibril, der Stellvertreter innerhalb des nationalen Übergangsrates, der eigentlich die Übergangsregierung bilden sollte und die höchste und größte Unterstützung vor allem aus dem westlichen Ausland hatte, schließlich gesagt hat, ich bin nicht bereit, hier weiter zu kandidieren, nachdem drei der größten Fraktionen sich gegen ihn ausgesprochen hatten – auf der einen Seite, weil er zu nahe an Gaddafi war, auf der anderen Seite aus Sicht der Islamisten, weil er zu engen Rückhalt vonseiten der USA hatte. Also hier sind große Konflikte, große Probleme zu lösen.

    Kapern: Herr Meyer, ganz kurz noch: Könnte Libyen vor einem Bürgerkrieg stehen?

    Meyer: Das halte ich eher für unwahrscheinlich. Die bisherigen Erfahrungen mit dem nationalen Übergangsrat zeigen, dass es, obwohl demokratische Strukturen fehlen, trotzdem gelungen ist, auf lokaler Ebene eine Selbstverwaltung aufzubauen. Die größten Konflikte sind auch ausgeräumt worden. Absprachen mit den Stämmen haben schon stattgefunden. Das heißt, es gibt gute Chancen, dass es tatsächlich über eine relativ lange Phase vorgesehen ist, demokratische Wahlen 2013, dass es dann tatsächlich zu erträglichen demokratischen Verhältnissen kommen könnte.

    Kapern: Günther Meyer war das, Professor an der Universität in Mainz und dort Libyen-Experte. Herr Meyer, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Meyer: Ich bedanke mich. Auf Wiederhören!


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    Linktipps:
    Der arabische Aufstand - Sammelportal