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MH17-Absturz
"Hier blüht die Spekulation"

Der Luftfahrt-Experte Andreas Spaeth rechnet nicht damit, dass der Zwischenbericht über den Absturz von Flug MH17 über der Ostukraine weitreichende Erkenntnisse bringt. Er sagte im DLF, weil kaum Experten an den Unfallort gelangen konnten, sei der Fall einer der bizarrsten in der Geschichte der Luftfahrt.

Andreas Spaeth im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Wrackteil der in der Ukraine abgeschossenen Boeing 777 der Malaysia Airlines mit der Flugnummer MH 17
    Ein Wrackteil der in der Ukraine abgeschossenen Boeing 777 (dpa / picture alliance / Zurab Dzhavakhadze )
    Spaeth betonte, dass die niederländischen Ermittler selbst die Erwartungen an ihren Bericht gedämpft haben. Dass Unfallexperten – anders als OSZE-Mitarbeiter und Pressefotografen - nahezu keinen Zugang zum Unfallort hatten, mache diese Untersuchung so bizarr, sagte Spaeth.
    Der Luftfahrt-Journalist rechnet nicht damit, dass alle im Raum stehenden Fragen ganz geklärt werden können. Wohl aber die politisch hoch aufgeladene Frage, ob sich ein ukrainisches Kampflugzeug in der Nähe der Passagiermaschine befunden hat. Dies hatten prorussischen Separatisten behauptet. Mittels Radarbildern müsste dies eindeutig zu klären sein, erwartet Spaeth.

    Friedbert Meurer: 17, Juli dieses Jahres war es gegen 16:20 Uhr Ortszeit, da stürzte das malaysische Passagierflugzeug MH17 über der Ostukraine ab. Ein entsetzliches Unglück: 298 Menschen kamen ums Leben. Die allermeisten waren Niederländer. Vermutlich wurde – das wurde schnell klar oder wahrscheinlich – die Maschine abgeschossen. Nur von wem? Von den Separatisten? Heute Morgen um zehn Uhr wird in den Niederlanden ein vorläufiger Untersuchungsbericht veröffentlicht, auf den die halbe Welt wartet.
    Andreas Spaeth ist freier Luftfahrt-Journalist, den ich jetzt in Hamburg begrüße. Guten Morgen, Herr Spaeth!
    Andreas Spaeth: Guten Morgen!
    Meurer: Werden wir heute um zehn Uhr erfahren, was mit MH17 passiert ist?
    Spaeth: Nach allem, was wir bis jetzt schon wissen, fürchte ich, dass wir das nicht wissen werden. Es wurde ja schon von den Behörden in Holland ganz gezielt auch die Erwartung gedämpft. Das ist auch per se nicht ungewöhnlich, dass nach einem Absturz der erste Zwischenbericht relativ wenig endgültige Schlüsse zulässt, sondern vor allen Dingen erst mal sich mit den Fakten beschäftigt, die bis dahin vorliegen. Trotzdem kann man sagen, es ist schon verwunderlich, dass es so lange gedauert hat, bis überhaupt irgendwas jetzt an die Öffentlichkeit kommt. Man muss generell sagen, das ist ohnehin sicherlich eine der bizarrsten Untersuchungen, die es in der Luftfahrt je gegeben hat, weil ja auch nach eigenem Eingeständnis die Ermittler aus Holland selber kaum oder fast gar nicht überhaupt am Unglücksort sein konnten. Es sind sowieso ziemlich stark im Vergleich zu sonstigen Fällen eher Mutmaßungen, die hier wahrscheinlich lediglich angestellt werden können.
    "Ein politisches Minenfeld"
    Meurer: Wie sehr erschwert das die Suche nach einem Ergebnis, wenn nicht niederländische Ermittler vor Ort sein konnten, sondern ukrainische oder andere Nationen?
    Spaeth: Das hängt vor allen Dingen auch davon ab, was die Fakten, die man sonst hat, aussagen. Und die Frage ist schon sehr interessant zu wissen, zum Beispiel Radarbilder auszuwerten, aber auch vor allen Dingen die Flugdatenschreiber und den Stimmenrekorder aus dem Cockpit. Denn die Sache ist die: Sollte hier, wie behauptet wird, etwas von den Separatisten oder auch von Russland, sollten hier ukrainische Flugzeuge, Kampfflugzeuge in der Nähe gewesen sein, dann wäre das definitiv entweder auf den Radarbildern, oder aber auch unter Umständen in den Gesprächen der Piloten, die das wahrscheinlich gemerkt haben, zu hören und zu sehen gewesen. Wenn diese aber fehlen, diese Angaben und diese Hinweise auf ein Kampfflugzeug, kann man zumindest diese Behauptung schon mal weitgehend streichen von der Liste der möglichen Ursachen. Also man kann sicherlich schon Rückschlüsse ziehen. Aber es wurde bereits gesagt, auch im Vorhinein, auch auf eine Anfrage der Linken hat die Bundesregierung gesagt vor ein paar Tagen, dass diese Aufzeichnungen auch gerade von dem Stimmenrekorder ohnehin gar nicht veröffentlicht werden in Zukunft. Es ist auf jeden Fall hier ein hoch brisantes politisches Minenfeld.
    Meurer: Wieso werden die nicht veröffentlicht? Ist das so üblich? Aus Pietätsgründen, oder warum nicht?
    Spaeth: Grundsätzlich werden die meistens nicht zeitnah veröffentlicht, zumindest nicht im Originalton. Es gibt teilweise Abschriften davon, aber oft auch erst viel später. In diesem Fall ist es sicherlich auch eine politische Frage. Ich habe mich aber auch gewundert darüber, dass das von vornherein schon so klar vorab verkündet wurde, weil ich denke gerade, dass unter Umständen diese an Bord vorhandenen Gespräche, die dort geführt wurden, doch auch Aufschluss geben können, was hier los gewesen ist. Es kann aber auch gut sein, dass sie darauf gar keinen Hinweis geben, dass die Piloten nämlich, wenn sie von einer Rakete getroffen wurden, sozusagen im Wortsinne aus heiterem Himmel plötzlich hier getroffen wurden und gar nicht geahnt haben, was da auf sie zukommt.
    Meurer: Dann würde der Stimmenrekorder nicht allzu viel bringen. Die Radarbilder des 17. Juli, würde man da sehen, wenn eine Boden-Luft-Rakete hochsteigt und das Passagierflugzeug abschießt?
    Spaeth: Unter Umständen. Das haben die Amerikaner ja auch damals bereits gesagt. Sie haben wohl Satellitenaufnahmen von dem letzten Teil eines Raketenanfluges, aber können nicht erkennen, wo diese Rakete eigentlich herkam. Was sicherlich auch das Radarbild ganz klar aussagt, ist, ob hier andere, möglicherweise Kampfflugzeuge in der Nähe waren oder nicht. Diese Frage, die ja auch gerade politisch eine große Rolle spielt, hat hier eine ukrainische Maschine eventuell einen Angriff versucht oder war zumindest in der Nähe, die müsste man eigentlich relativ bald klären können. Alles andere, fürchte ich, wird vermutlich unter Umständen auch nie ganz geklärt werden können.
    Meurer: In den Tagen nach dem Absturz ging es drunter und drüber. Es war lange Zeit schwierig, an die Absturzstelle zu gelangen, weil das alles Kriegsgebiet ist. Dann sind ja aber doch, ich meine, OSZE-Mitarbeiter vor Ort gewesen, haben Trümmerteile sichergestellt. Herr Spaeth, kann man an den Trümmerteilen irgendwie erkennen, dass da eine Rakete eingeschlagen ist, oder sonst die Absturzursache feststellen?
    Spaeth: Das genau behaupten ja viele gerade im Internet. Da gibt es ja mittlerweile viele selbsternannte Experten. Weil wirkliche Experten waren eben nicht vor Ort. Die OSZE-Experten sind keine Experten für Flugzeugunfall-Ermittlungen. Es gibt im Internet eine Menge Theorien, die sich immer auf Fotos stützen, die dort von Fotografen gemacht worden sind. Das würden normalerweise Behördenvertreter tun. Hier waren es Pressefotografen, deswegen waren die weithin veröffentlicht, wo es zum Beispiel Bilder gibt von der Cockpit-Scheibe von MH17, wo die behaupten, dort sei klar zu erkennen, dass hier nicht nur Eintritts-, sondern auch Austrittslöcher von Geschossen zu erkennen sind, die allerdings völlig verschweigen, dass dies auch von Raketenteilen kommen kann. Hier blüht die Spekulation gerade deswegen, weil keine wirklichen Unfallexperten dort gewesen sind, und das ist das große Problem.
    "Vieles deutet auf Buk-Raketen"
    Meurer: Werden wir die Wahrheit, Herr Spaeth, jemals erfahren?
    Spaeth: Das hoffe ich sehr, weil ich finde es extrem tragisch, dass im Moment quasi zwei Abstürze von Malaysia Airlines mit nahezu 600 Toten unter Umständen nie aufgeklärt werden können, weil wir ja schon nach Malaysia Airlines 370 suchen, das im Ozean verschwundene Flugzeug vom 8. März. Da ist ja auch bisher überhaupt nichts bekannt. Und dass jetzt hier in dem Falle, wo die Trümmer eigentlich vor uns liegen, wo auch die Datenrekorder längst ausgewertet sein müssten und inzwischen auch erhalten waren, dass wir in diesen beiden Fällen unter Umständen nie die Wahrheit erfahren werden, kann ich eigentlich kaum akzeptieren.
    Meurer: Was könnte denn am Schluss das Rätsel lösen?
    Spaeth: Ich denke schon, dass man letztlich durch die Vielfalt der vorliegenden Untersuchungsergebnisse, zum Beispiel auch der einzelnen Fakten, die man zusammenfügen muss, denn das werden die Fachleute tun können, eigentlich schon relativ klar daraus hervorgehen müsste, was hier der Fall war. Bisher, denke ich, deutet doch alles nach wie vor wirklich stark darauf hin, dass hier diese sogenannten Buk-Raketen offenbar in den Händen der Separatisten waren. Da gibt es ja auch sogar Aufnahmen davon, wie dann die entsprechenden Abschusswagen leer zurückfuhren nach diesem Absturz und so weiter. Ich denke, im Moment aus der Ferne betrachtet scheint es ein relativ plausibler Fall zu sein, aber das muss natürlich noch durch Fakten untermauert werden. Es wäre völlig falsch, jetzt hier endgültige Spekulationen aufzustellen. Aber ich denke, von dem, was man bisher wusste, ist das relativ plausibel. Aber es muss bewiesen werden, um hier auch politisch entsprechendes Gewicht zu haben.
    Meurer: Der niederländische Sicherheitsrat veröffentlicht heute einen Zwischenbericht, warum MH17 am 17. Juli abgestürzt ist und 300 Menschen ums Leben kamen. Danke schön, Andreas Spaeth, nach Hamburg.
    Spaeth: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.