Sie sorgte für Schlagzeilen, die Nachricht, dass Den Haag Russland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt – wegen der Rolle der russischen Regierung beim Abschuss des Passagierflugzeuges MH17 heute vor genau sechs Jahren.
Der niederländische Außenminister Stef Blok: "Wir werden Russland in Straßburg vor Gericht bringen. Wir haben immer gesagt, dass wir kein juristisches Mittel auslassen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen und für Gerechtigkeit zu sorgen."
Ermittlungsergebnis: Abschuss durch russische Rakete
Das Flugzeug war in der Ostukraine über umkämpftem Gebiet abgeschossen worden, von einer russischen Luftabwehrrakete. Alle 298 Menschen an Bord starben, die weitaus meisten waren Niederländer. Ein internationales Ermittlerteam kam zu dem Ergebnis, dass die Rakete von prorussischen Rebellen abgefeuert worden war und vom russischen Militär stammte.
Moskau weist dennoch alle Vorwürfe zurück. 380 Angehörige von Todesopfern sind deshalb bereits 2016 vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen. Und in den Niederlanden begann im März ein Strafprozess - gegen drei Russen und einen Ukrainer: Sie sollen für den Transport der Rakete in die Ostukraine verantwortlich gewesen sein.
Staatenbeschwerde - ein sehr seltener Schritt
Dass die niederländische Regierung in Straßburg nun ebenfalls eine Klage gegen Russland eingereicht hat, wird von Rechtsexperten als logischer letzter Schritt gesehen. Mit dem Ziel, den Druck weiter zu erhöhen, so Fons Coomans, Professor für internationales und europäisches Recht an der Universität Maastricht. "Ein logischer – und ein außergewöhnlicher Schritt."
Individuelle Klagen von Bürgern gebe es Zehntausende vor dem Straßburger Gerichtshof. Aber dass eine Regierung eine andere verklagt, sei die Ausnahme. Zu solchen so genannten Staaten-Klagen ist es in den letzten 60 Jahren nur 25 Mal gekommen, so Coomans: "Ganz einfach deshalb, weil ein solcher Schritt als sehr unfreundlich und schroff wahrgenommen wird. Man versucht immer erst im Guten, eine Einigung zu erzielen. Und normalerweise finden sich dafür andere Mittel. Eine Staatenklage in Straßburg ist ein ziemlich ungebräuchlicher Schritt."
Klage Hinweis auf diplomatisches Scheitern
Er könnte darauf hinweisen, dass die diplomatischen Gespräche, die seit 2019 hinter den Kulissen zwischen Moskau und Den Haag geführt werden, gescheitert sind. Wenn da etwas in Bewegung gekommen wäre, so Professor Coomans, hätte Den Haag die Klage in Straßburg mit Sicherheit nicht eingereicht:
Als Mitglied des Europarates muss Moskau den Straßburger Gerichtshof anerkennen. Seine Urteile sind bindend. Aber mit neuen Gesetzen hat die russische Regierung dafür gesorgt, dass sie sich nicht daranhalten muss. So steht nationales Recht seit Anfang Juli über internationalem.
Angehörige hoffen auf endgültige Klärung
Für die Angehörigen der Opfer ist die Klage des niederländischen Staates dennoch von großer Bedeutung: Durch dieses zweite Verfahren bekommen sie nicht nur einen mächtigen Mitstreiter an die Seite gestellt, sondern auch Zugriff auf jegliches Material der MH17-Untersuchungen.
So könne die ganze Wahrheit doch noch ans Licht kommen, hofft ihr Anwalt Sander de Lang - beurteilt von einem hohen unabhängigen europäischen Richter. Diese Tatsachenfeststellungen seien für die Angehörigen weitaus wichtiger als finanzielle Entschädigungen.
Rechtsexperte: "Gesichtsverlust für Russland"
Und für Moskau sei Den Haag in jedem Falle eine Laus im Pelz, so Rechtsexperte Coomans: "Dieses Verfahren bedeutet für Russland einen Gesichtsverlust auf der internationalen Bühne. Der Prozess wird öffentlich geführt, in Anwesenheit von Nichtregierungsorganisationen und Presse. Das ist alles andere als angenehm. Und er wird Jahre dauern"