Michael Birnbaum hat ein Buch geschrieben, "Die schwarze Sonne Afrikas", in dem er seine eigenen Afrika-Bilder - immerhin war er sieben Jahre lang Afrika-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung - noch einmal bearbeitet, das Krisen-Afrika verortet und auch andere Seiten zeigt. In achtzehn Kapiteln durchquert er das Afrika der 90-er Jahre und bewegt sich dabei entlang politischer Konfliktlinien, aber auch persönlicher Präferenzen. Das Bild von Afrika als dem Katastrophenkontinent - Birnbaum hat es selbst erlebt - wird immer auch durch die geschäftlichen Interessen der Entwicklungsbranche und die Arbeitsweisen vieler ausländischer Journalisten mitkonstruiert, die sich ihre Wege durch Afrika an der Hand von Hilfsorganisationen bahnten und dann eben auf die dabei gesehenen Wirklichkeitssausschnitte angewiesen seien.
Der Hungerkontinent, der Flüchtlingskontinent, der unterentwickelte Kontinent - all das sind die Sticker der Hilfsorganisationen, an die Brennpunkte dieser Themen karren sie dich jedes Mal, wollen, dass darüber berichtet wird. Aber das ist das Hilfsorganisations-Afrika, das Afrika des Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, das Afrika der professionellen Helfer. Es steckt fest in unser aller Köpfe.
Doch es gibt die Krise Afrikas, und sie hat viele Ursachen. Sie ist jedoch immer auch eine Krise der Entwicklungshilfe und der internationalen Außenpolitik. Diese Sicht scheint sich mehr und mehr durchzusetzen. An Beispielen aus verschiedenen afrikanischen Ländern diskutiert Birnbaum die entwicklungspolitischen Dilemmata. Weniger Hilfe von außen bedeute zwar mehr Eigeninitiative, zunächst aber auch mehr Elend. Häufig stabilisiere der Beistand der Weltgemeinschaft zudem den politischen Status quo und erlaube es den zumeist nicht legitimierten Herrschern, an der Macht zu bleiben. Ohne die Veränderung politischer Rahmenbedingungen blieben also viele Entwicklungsprojekte letztlich ergebnislos. Und nicht zuletzt sei die Nationalstaatlichkeit, eine afrikanischen Gesellschaften nicht angemessene Form der politischen Organisation, weder im In- noch im Ausland bis heute ernsthaft in Frage gestellt, Teil der Problematik afrikanischer Vielvölkerstaaten und ihrer zerfallenden Institutionen. Aber auch eigene, innere Widersprüche afrikanischer Politik müssten jetzt, zehn Jahre nach Beendigung des Kalten Krieges, in den Blick genommen werden.
An biographischen und autobiographischen Einblicken entfaltet Birnbaum Daten und Interpretationen. Die Stimmen, die er dabei aufruft, die Episoden, die er beschreibt, sie stehen in Funktion des jeweils erörterten Themas. Auf den etwas schwülstigen Tonfall, beispielsweise ein Satz wie "Der Schrei meiner Verzweiflung bleibt unhörbar, meine Ohnmacht stumm", der den ansonsten sachbezogenen und konventionell journalistischen Duktus seines Schreibens stellenweise durchzieht, hätte man gerne verzichtet und etwas mehr Vorsicht im Umgang mit sprachlichen Klischees erwartet. Doch die einzelnen Kapitel sind gut konstruiert, die Personnage ist geschickt zusammengestellt. So berichtet er beispielsweise aus dem Sudan und der systematischen Verschleppung, Versklavung und Zwangsislamisierung südsudanesischer Kinder im Norden des Landes. Dem wird die mit traditionellem Pomp betriebene Restauration alteingesessener lokaler Königreiche im modernen Uganda gegenübergestellt. Das Sklavenmädchen Adut Ding Wol und der Prinz Ronald Mutebi verkörpern dabei die atavistischen Extreme. Ein anderes Kapitel wird eröffnet mit Madame Sery, einer mit französischem Modeschmuck und Stoffen handelnden Kleinstunternehmerin in der Hauptstadt der Elfenbeinküste, die lange als Vorzeigeland des französischen Einflussbereichs galt. Die Abwertung des CFA-Francs, die zwar die lokalen Industrien, Kaffee und Kakao, langsam wieder in Gang brachte, hat den Importhandel vorerst nicht gerade leichter gemacht. Auf der anderen Seite des Kontinents, auf den Komoren im Indischen Ozean, hat die Zwangsemanzipation von Frankreich derweil absurde Blüten getrieben. Der Koranlehrer Ibrahim Abdullah wurde dort zum Wortführer einer nostalgischen Rebellion, die sich die freiwillige Rekolonisierung auf die Fahnen schrieb. Beide Geschichten erzählen von den Folgen der fehlgeleiteten französischen Afrika-Politik, auf gewisse Weise eine Fortführung kolonialer Strategien in neuem Gewand.
Birnbaum ist mit seinem Buch eine Zusammenschau gelungen, die den durch Reduktion gezeichneten medialen Afrika-Bildern differenzierte, lokale Analysen entgegenhält, aber auch vor notwendigen Verallgemeinerungen nicht zurückschreckt. Manche der Ereignisse der letzten zehn Jahre werden durch das entsprechende Hintergrundwissen, das in der aktuellen Berichterstattung häufig fehlt, überhaupt erst verständlich. Aber nur durch Information und Kenntnis wird es gelingen, das Konstrukt "Afrika", eine Erfindung des europäischen Kolonialismus, allmählich beiseite zu legen und dafür den komplexen afrikanischen Realitäten Platz zu verschaffen.
Barbara Eisenmann besprach: Die Schwarze Sonne Afrikas von Michael Birnbaum, erschienen im Münchner Piper Verlag. 44 Mark kostet es und hat 356 Seiten. Für heute geht die Sendung Politische Literatur zu ende. Am Mikrophon war Karin Beindorff. Und ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.