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Michael Endes "Die unendliche Geschichte" musikalisch

Das Opernschaffen von Siegfried Matthus zielte stets auf die dankbare breite Mitte des Publikums und nicht nur auf die launische Kundschaft des Avancierten. Der Parcours der Partituren für die Bühne begann, eine ganze Zeit vor Torschluß der DDR mit dem "Letzten Schuß"; er schweifte mit Peter Hacks und "Omphalé" recht offiziös ins klassische Altertum und mit "Cornet Rilke" ins Zentrum des klassischen deutschen Bildungsbürgerguts. International beachtlich war dann - zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution - 1989 "Graf Mirabeau", zugleich uraufgeführt in Essen, Karlsruhe und in Berlin/Mitte. In den 90er Jahren dann bei den Schwetzinger Festspielen mit "Desdemonas Schwestern" ungehaltene Reden ungehaltener Frauen - gesungen eben. Das Händel-Fest in Karlsruhe präsentierte die Kastraten-Oper "Farinelli", das Schloßtheater Rheinsberg, für dessen Wiederaufbau und Bespielung sich Siegfried Matthus entscheidend engagiert hatte, den von 14 Flöten garnierten "Kronprinz Friedrich".

Von Frieder Reininghaus | 11.04.2004
    Am Populismus seiner Anfänge anknüpfend und mit dem Anspruch großer Breitenwirkung kredenzte Matthus, der am 13. April siebzig Jahre alt wird, nun den von seinem Sohn unter dem Pseudonym Anton Perrey für die Bühne bearbeiteten unendlichen Ende-Text als "Goldenen Schuß": Bastian Balthasar Bux wird da allerdings nicht, wie der Leser es erwartet, als der scheue dicke Junge vorgestellt, der vor den Nachstellungen seiner Klassenkameraden in das Bücherantiquariat von Karl Konrad Koreander flüchtet, sondern als quirliger kleiner Großstadt-Rabauke, der gegen die Tür tritt und voll krass Neudeutsch spricht. Bastian bezieht seine Beobachterposition vor einem riesigen Buch, dessen Seiten vor- und zurückgeblättert werden.

    Das vielköpfige Ensemble bringt in deftiger Kostümierung das Kondensat der Binnengeschichten von Michael Ende in turbulente Bewegung: prachtvoll ausgestopfte Bäuche und Busen, vier Vogelstrauße mit Reitern, ein Monster von Felsbeißer und ein wandelndes Irrwindlicht, der Glücksdrachen Fuchur als Papier-Großtat, die uralte Schildkröte Morla wie ein Pizza-Ofen, die Hofschranzen der kränkelnden Kindlichen Kaiserin mit hohen weißen Ägypter-Hüten; überhaupt Kopfschmuck von der Pickelhaube bis zum Punk-Hahnenkamm erfüllen den Rahmen, der sich hinter der letzten Seite des unendlichen Buchs auftut.

    Michael Schulz, Oberspielleiter in Weimar, sorgt für zwei Stunden pralles Bühnentreiben, in dessen Mittelpunkt sich Marietta Zumbüldt als Atréju bewegt, als grünhäutiger und wuschelköpfiger Retter der von den weißen Wolken des Nichts bedrohten Fantasy-Welt. In der Bühnen-Version entpuppt sich die mit viel schöner Cantilene begabte Parsifal-Figur als Kindliche Kaiserin, in die sich Balthasar verliebt und damit endgültig in die unendliche Geschichte involviert. Da spätestens tendiert der Versuch eines modernen Märchens zum heillosen Kitsch.
    Formal gesehen hat Siegfried Matthus ein Werk in der Tradition der Opéra comique geschaffen, das mit seinen gesprochenen Mono- und Dialogen, aber auch durch die Nummern-Struktur auf das vor-romantische Musiktheater verweist. Die Partitur ist generell von den Stimmen her und tonal konzipiert (das ganze Unternehmen auf die sang- und klangvolle Vokal-Behandlung hin ausgerichtet); Vocalisen durchziehen die musikalische Wegbegleitung durch Fantásien. Längere Partien lichter Musik, die sich auf die hohen Holzbläser stützen, werden von den kurzen Schreckmomenten kontrastiert, die mit dem Werwolf Gmork des Wegs kommen. Aufgehoben im Matthus-Tonsatz findet sich manches Erbstück aus dem Fundes dessen, was vor 1989 als "neue Kammermusik der DDR" galt. Überhaupt kann es einem so vorkommen, als lebe deren Geist fort mit dieser Oper, die gerne die Nachfolge von Humperdincks "Hänsel und Gretel" antreten würde - als modern-individualisiertes Märchen im Kleid einer kunstgewerblich schönen Musik.