"Ich glaube, dass Kunst und Poesie eine ähnliche Aufgabe in der Gesellschaft haben wie das Träumen im einzelnen Individuum. Es muss das hineinbringen ins Leben - fortwährend – an Traumhaftem, was notwendig ist, damit der Mensch und damit auch die Gesellschaft gesund bleiben oder gesund werden können."
Das sagt Michael Ende, und so entstand in den 1970er Jahren "Die unendliche Geschichte". Kein "normales Buch" wie Ende nach Fertigstellung feststellte, sondern ein "Zauberbuch". Entsprechend die Gestaltung: Seideneinband, Buchstabenvignetten von A bis Z, Zweifarbendruck – rot die Passagen von Bastians Welt, der realen Welt, grün die Welt Phantásiens. Die Geschichte, eine Mischung aus Märchen, Fantasy- und Bildungsroman, stellt in zwei parallelen Erzählsträngen die Phantasie in den Mittelpunkt und ist darüberhinaus ein Plädoyer für die Liebe.
Wie diese Geschichte angelegt sein würde, das lässt der Autor seinen Protagonisten Bastian Balthasar Bux gleich zu Beginn des Romans selber sagen. Der Schauspieler Gert Heidenreich liest:
"Bastians Vorliebe galt Büchern, die spannend waren oder lustig oder bei denen man träumen konnte, Bücher, in denen erfundene Gestalten fabelhafte Abenteuer erlebten, und wo man sich alles Mögliche ausmalen konnte."
Bastian, Atréju, Fuchur und die kindliche Kaiserin
Der einsame Außenseiter und Bücherfreak Bastian Balthasar Bux ist fasziniert von einer Welt, die ihm in einem Buch begegnet. In Phantásien herrscht die sanftmütige Kindliche Kaiserin, die schwer erkrankt ist. Ihre Krankheit hat zur Folge, dass sich das Nichts ausbreitet und alles – Mensch, Tier, Orte- vernichtet. Der Junge Atréju ist auserwählt, ein Wesen aus einer anderen Welt zu finden, das die Kaiserin retten kann. Dieses Wesen muss nur einen neuen Namen für sie finden. Atréju, begleitet von dem Glücksdrachen Fuchur, begibt sich auf eine abenteuerliche Reise. Und Bastian gerät mit jeder gelesenen Seite tiefer in die Geschichte Phantásiens.
"Bastian hatte den Kopf in die Hand gestützt und blickte nachdenklich vor sich hin. "Seltsam", sagte er laut, "dass kein Wesen in Phantásien der Kindlichen Kaiserin einen neuen Namen geben kann." Wenn es nur darauf ankam, einen Namen zu erfinden, dann hätte Bastian ihr leicht helfen können. Darin war er groß."
Mit der neuen wirklichkeitsnahen, tabubrechenden Kinderliteratur der 1970er Jahre konnte Michael Ende ebenso wenig anfangen wie mit pädagogischen Botschaften. Dem zunehmenden Materialismus und Rationalismus setzte er christliche Werte entgegen und
glaubte daran, dass Literatur den Menschen verändern könne. Für Michael Ende war die Romantik die wichtigste und prägendste deutsche Literaturströmung.
"Sprachlich und vor allem eben philosophisch gedanklich möchte ich mich direkt auf die Romantiker berufen. Ich versuche das in einer modernen und neuen Form wieder aufzugreifen."
113 Wochen auf dem ersten Platz der Spiegel-Bestsellerliste
So schrieb er seine erfolgreichen Kinderbücher "Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer", "Momo" und eben "Die unendliche Geschichte", die am 1. September 1979 erschien.
Der Roman gewann alle bedeutenden Jugendbuchpreise und hielt sich 113 Wochen auf dem ersten Platz der Spiegel-Bestsellerliste.
Bereits 1980 erwarb Bernd Eichinger die Filmrechte und Wolfgang Petersen entwickelte das Drehbuch. 1984 kam der 60 Millionen Mark teure Film ins Kino, ein Film, mit dem Michael Ende zeit seines Lebens nicht einverstanden war. Im Jahr 1989 wurde das von Ende selbst erarbeitete dreiteilige Hörspiel jeweils mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet.
"Meine Bücher handeln ja alle von Reisen, die im Kopf stattfinden, also in der Vorstellung. Also gerade meine Reisegeschichten wie zum Beispiel der "Jim Knopf" oder "Die unendliche Geschichte" sind Reisen durch vorgestellte Länder. Und ich kann ja feststellen, dass sehr viele Leute gerne sich auf diese Reise mitnehmen lassen."
Michael Endes Leser waren zwischen acht und achtzig Jahre alt. Sie wollten sich in einer Zeit des Kalten Krieges, der Rationalität, der Wissenschaftlichkeit auf das Geheimnis Phantásiens mit all seinen Anspielungen auf Märchen und Mythen und Literatur einlassen, und auch heute noch möchten sie einen dicklichen, unsicheren Jungen auf seiner Reise zu sich selbst begleiten und mit ihm das große Abenteuer der Selbstfindung erleben. Denn am Ende rettet Bastian das Land Phantásien und entdeckt weit mehr als den neuen Namen für die Kindliche Kaiserin.