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Michael Kiwanuka
"Eines Tages wird es einfach nur Soul sein"

Michael Kiwanuka ist nicht einmal 30 Jahre alt, Brite mit ugandischen Wurzeln und hat sich dem Soul verschrieben. In diesem Sommer hat er sein zweites Album "Love and Hate" veröffentlicht. Nach seinem erfolgreichen Debüt vor vier Jahren hatten sich Druck und Selbstzweifel bei ihm aufgebaut. Dem Soul ist er treu geblieben.

Von Constanze Pilaski | 02.10.2016
    Michael Kiwanuka beim Haldern Pop vor seinem Live-Auftritt am 12.08.2016.
    Den britischen Musiker Michael Kiwanuka faszinieren die Emotionen in der Soul-Musik aus den 1960er- und 70er-Jahren. (Deutschlandradio/Constanze Pilaski)
    Die Sendung können Sie nach der Ausstrahlung sieben Tage nachhören.
    "Ich liebe ziemlich viele Dinge, die Old School sind. Ich liebe es, sich Zeit zu nehmen, ein ganzes Album zu hören. Ich weiß nicht, ob den Leuten das auch mit meinem Album gelingt. Aber ich versuche, mein Bestes zu geben, dass man das auch mit meinem Album erleben kann."
    Michael Kiwanuka ist Brite mit ugandischen Wurzeln, nicht einmal 30 Jahre alt und er hat sich dem Soul verschrieben.
    2012 erschien sein Debüt-Album, er wurde international als Soul-Sensation gefeiert. Sein zweites Album ließ lange auf sich warten – ganze vier Jahre.
    "Ein bisschen Druck gab es schon – mehr mit mir selbst. Ich versuchte, ein schönes Album zu produzieren - und ich liebe diesen Job. Ich wollte das beste Album machen, das ich konnte. Also hat es ein bisschen Zeit gebraucht."
    Musik "Love and Hate"
    "Ich wollte einfach das bestmögliche Album machen. Ich habe gemerkt, es braucht einfach Zeit. Ich war in mir gefangen, indem ich versuchte, einen guten Sound zu kreieren. Außerdem tourte ich mit meinem ersten Album zwei Jahre lang und ich bin wirklich nicht gut darin auf Tour Songs zu schreiben. Also brauchte es eine ganze Weile bis es wieder losging."
    Auf Michael Kiwanukas Schultern hatte sich eine Menge Druck aufgebaut: Von der BBC 2012 als wichtigster Newcomer gekürt, startete er mit dem Debüt "Home again" eine internationale Karriere. Mit seiner warmen, melancholischen Stimme und Musik aus ganz viel Soul, gepaart mit Rhythm-and-Blues- sowie Folk-Einflüssen, verzauberte Kiwanuka damals Fans wie Kritiker gleichermaßen.
    Musik "Home again"
    Vier Jahre zwischen zwei Alben sind in der Musikbranche eine Ewigkeit. Es gab Gerüchte, Kiwanuka sei kurz davor alles hinzuschmeißen. Doch im Juli veröffentlichte er sein zweites Album "Love and Hate". Im Sommer präsentierte er es bereits auf Festivals. Eine Station: das Haldern Pop am Niederrhein. In diesem Jahr eine feuchte und matschige Angelegenheit. Michael Kiwanuka hat angesichts des knöcheltiefen Matsches noch die Schuhe gewechselt. Mit festen Boots, brauner Cordjacke und Jeans kommt er zum Pressezelt - in Sichtweite der Hauptbühne gestapft.
    "Ich sollte einfach noch einmal neu beginnen"
    Er ist kein Newcomer mehr, bei der Arbeit am zweiten Album ist trotzdem nicht alles rund gelaufen. Entspannt, mit aufmerksamen Blick, aber auch zurückhaltend erzählt er vom langen Weg zum zweiten Album. Unzufrieden mit ersten Studioaufnahmen entschied er sich, die neuen Songs nicht zu veröffentlichen.
    "Manchmal musst du dich, um gutes Material zu bekommen, von Vorhandenem trennen. Man muss auch in der Lage sein, etwas abzubrechen. Das macht Platz für gute neue Musik. Ich dachte: Ich sollte einfach noch einmal neu beginnen und schließlich härter als zuvor arbeiten."
    Michael Kiwanuka kam mit seinem zweiten Album nicht voran. Doch dann meldete sich Brian Burton besser bekannt als Danger Mouse. Auf den amerikanischen Produzenten Burton haben in den vergangenen Jahren schon zahlreiche Künstler vertraut – unter anderen Adele, die Red Hot Chili Peppers und U2. Burton schrieb Kiwanuka eine E-Mail, bald darauf trafen sich beide in Los Angeles.
    "Zu diesem Zeitpunkt war es nicht für ein Album – wir trafen uns nur wegen einer Zusammenarbeit. Ich bin ein großer Fan von ihm und so ich fuhr nach Los Angeles. Ich dachte, das wird großartig. Ich hatte bislang noch nicht wirklich mit jemandem zusammengearbeitet, aber ich wollte es ausprobieren. Brian fragte mich: Du machst ein zweites Album? Und ich sagte: Ja, ich versuche es, aber es ist hart. Ich kann es nicht wirklich abschließen. Es fehlt etwas. Und so spielte ich ihm das Album vor, das ich zu dem Zeitpunkt hatte. Und fragte nach Hilfe. Er sagte ja und wir starteten die Zusammenarbeit."
    Musik "One more night"
    Michael Kiwanuka auf der Bühne mit Gitarre auf einem Festival in London
    Der britische Sänger Michael Kiwanuka auf einem Festival in London (imago / Landmark Media)
    Für Michael Kiwanuka war die Zusammenarbeit mit Brian Burton ein Glücksfall: Burton nahm dem jungen Musiker Selbstzweifel und feilte am Sound. Kiwanuka ist dem renommierten Produzenten dankbar. Vor allem habe Burton ihm beim Songschreiben beeinflusst. Für "Home Again" schrieb Kiwanuka die Songs noch zuhause auf der Gitarre und ließ sie dann im Studio arrangieren. Für "Love and Hate" verließ er seine Komfortzone:
    "Ich lernte einen anderen Weg von Brian: Einfach ins Studio gehen und spielen – vielleicht zwei oder drei Akkorde auf der Gitarre oder dem Klavier, eine Basslinie oder einen Rhythmus ausprobieren. Einfach zuhören und versuchen, Melodien entstehen zu lassen. Im Studio ist es nicht unbedingt erforderlich, den Song an einem Tag fertigzustellen. Du kannst damit beginnen und ihn dann liegen lassen. Es ist einfach gut unterschiedliche Wege zu haben. An einem Tag schreibe ich einen Song zuhause mit der Gitarre, an einem anderen Tag schreibe ich einen im Studio. Das hält mich kreativ."
    Musik "Place I Belong"
    Kiwanuka ist fasziniert vom Soul vergangener Zeiten
    "Ich habe Soul-Musik durch eine Magazin-CD entdeckt. Mein Freund brachte sie mit zur Schule. Ich war 14 Jahre alt und er sagte: Check das mal aus. Ich hatte noch nie so eine Art von Musik gehört. Ich kaufte mir die CD und hörte sie immer und immer wieder. Auf der CD waren Ottis Redding, Sly Stone, The Staples Singers – und viele mehr. Ich dachte nur: Wow, das ist wirklich unglaublich."
    Den 29-Jährigen aus dem Londoner Norden faszinieren bis heute vor allem die Emotionen, die Soul-Musiker aus den 1960er- und 70er-Jahren mit ihrer Musik zum Ausdruck bringen. Kiwanuka ist überzeugt, du musst die Vergangenheit kennen, um in die Zukunft zu kommen.
    "Ich behaupte zwar nicht, dass ich Grenzen durchbrochen habe oder die Welt der Musik neu erfunden habe. Aber ich kann auf die Legenden und die Genies der Vergangenheit zurückgreifen. Sie kennen ihr Handwerk gut. Man sollte lernen, was bislang in der Musik gemacht wurde. Denn dann wird man frei, Grenzen einzureißen. Ich denke in jeder Form von Kunst, wie Sport, Schreiben oder was du eben auch immer tust – in jeder Ausdrucksweise musst du wissen, wie du es richtig machst. Und dann wird es zu einem natürlichen Sprungbrett und du kannst alles machen, was du willst."
    Musik "Rule the World"
    "Es war eine bewusste Entscheidung ein Soul-Album zu veröffentlichen. Eher ein dunkleres Soul-Album. Ich wollte diesen Sound entdecken und ich dachte auch, es wäre für große Shows gut. Folkmusic liebe ich natürlich immer noch und ich werde Folk auch weiter machen, aber dieses Mal sollte es eine Soul-Platte werden."
    "Cold Little Heart" - auch ein Statement gegen schnellen Musikkonsum
    Kiwanuka hat die Folk-Einflüsse, die auf "Home Again" präsent waren, fürs Erste hinter sich gelassen. Dass einiges anders ist, wird schon mit dem Eröffnungstitel klar: Allein die Länge von über zehn Minuten ist für den Vinyl-Liebhaber Kiwanuka auch ein Statement: ein Statement gegen den schnellen Musikkonsum im digitalen Zeitalter. Das Stück "Cold Little Heart" baut über fünf Minuten Spannung auf: nach und nach setzen Streicher, Klavier, dann der Chor und ein markantes Gitarren-Solo ein. Das Ganze erinnert an psychedelischen Rock á la Pink Floyd und das Gitarrenspiel von David Gilmour. Bis Michael Kiwanukas rauchig warme Stimme einsetzt und den Zuhörer in den Bann zieht:
    Musik "Cold Little Heart"
    Der amerikanische Soulsänger Marvin Gaye auf der Bühne
    Der amerikanische Soulsänger Marvin Gaye, aufgenommen bei einem Auftritt in den 70er-Jahren. (picture-alliance/ dpa)
    Kiwanuka hat sich nicht nur mit seinem zweiten Album Zeit gelassen. Er lässt sich auch Zeit den dunkleren Klang in seinen Songs auszubreiten. Neben "Cold Little Heart" sprengen außerdem das Stück "Fathers Child" und der Titelsong "Love and Hate" die Sieben-Minuten-Grenze. Auch wenn Kiwanukas Musik zuweilen episch ist, bleibt er in seinen Themen vage und bietet dem Hörer viel Spielraum für Interpretationen. Seine Texte kreisen um Verlust, Identitätssuche und Selbstzweifel – und schwanken dabei zwischen Kapitulation und dem Drang etwas zu verändern.
    "Für mich ist es einfacher, melancholische Songs zu schreiben. Es sollte ein dunkleres Album werden. Und diese dunklen Sounds rufen dunklere und melancholischere Texte hervor. Es gibt ja auch große Soul-Songs, die echt traurig sind wie 'Heard it through the Grapevine' von Marvin Gaye. Man tanzt dazu, aber es ist ein trauriger Song. Ich habe mich dieses Mal mehr auf traurige Emotionen bezogen, aber nicht jedes Album wird so sein."
    Kiwanuka und Beyoncé
    Ganz im Sinne des wichtigsten Stilmerkmals des Soul singt Michael Kiwanuka auf emotionale Weise mit warmer Baritonstimme. Und er wirkt dabei im Vergleich zu seinem Vorgängeralbum reifer und gefestigter. Jimi-Hendrix-Fan Kiwanuka greift zudem verstärkt zur E-Gitarre und spart nicht mit Gitarrensoli und verzerrtem Sound. Er ist ein hervorragender Gitarrist, spielt das Instrument seit seinem zwölften Lebensjahr. Eine seiner Akustik-Gitarren nennt er liebevoll Beyoncé – nach der amerikanischen R'n'B- und Pop-Sängerin Beyoncé Knowles:
    "Sie ist eine alte Gitarre, eine Gibson. Und sie sieht wirklich wunderschön aus. Naja, es ist ein bisschen lustig, sie hat eben einen großen Korpus, deswegen habe ich sie einfach Beyoncé genannt. Ich will damit nicht unhöflich sein, sie ist ja wirklich eine hübsche Gitarre. Ich dachte einfach, das ist ein cooler Name. Die anderen Gitarren sind bislang namenlos."
    Musik "Falling"
    "Ich fühle mich sehr britisch – also nein - bewusst beeinflussen mich meine ugandischen Wurzeln nicht. Ich denke, ein bisschen was von Uganda ist schon in meinem Blut. Es beeinflusst meine Art, Gitarre zu spielen, wie ich singe und die Rhythmen. In meiner Musik ist etwas von Uganda, etwas Afrikanisches."
    "Es wäre toll, wenn der Song als Protestsong verwendet würde"
    Aufgewachsen in einem wohlsituierten weißen Londoner Stadtteil fiel Michael Kiwanuka auf – mit seiner dunklen Hautfarbe und dem Namen, den viele Briten nicht richtig aussprechen konnten. In "Black Man In A White World" verarbeitet er diese Zeit.
    "Es geht um Identität, sich von der Masse abzuheben und etwas Einzigartiges über sich selber herauszufinden und darauf dann stolz zu sein. Es geht darum in welcher Beziehung Menschen zu einander stehen. Jeder ist anders, aber es ist leichter sich anzupassen. Und deswegen ist es beängstigend aus dieser Masse herauszutreten. Finde deine eigene Musik - ohne Rücksicht auf Trends. Versuche, deine eigene Mode zu finden, egal was die Leute sagen – aber auch Herkunft und Sprache. All das macht aus, wer du bist. Es gibt eine Zeit im Leben – während der Jugend -, in dem du dich besonders authentisch ausdrücken willst. Das scheint zunächst simpel, aber es ist manchmal wirklich hart. Ich denke, damit habe ich gerungen. Darum geht es in dem Song."
    Musik "Black Man In A White World"
    In dem Stück "Black Man In A White World" - wie gerade gehört – wiederholt der Backround-Chor die Titelzeile fast durchgängig und ist begleitet von drängendem Klatschen. Beides Stilmittel, die an die Tradition von afroamerikanischen Gospels und Spirituals erinnern. Angesichts der jüngsten rassistischen Gewaltausbrüche in Amerika und rechter Tendenzen in Europa trifft der Afro-Brite damit den Nerv der Zeit.
    "Den Song habe ich ursprünglich nicht als Protestsong geschrieben. Aber es ist wirklich cool, wenn Musik oder jegliche andere Art von Kunst auf diese Weise von Menschen verwendet wird. Ich denke es wäre toll, wenn der Song als Protestsong verwendet würde."
    Musik "I'll Never Love"
    "Der Begriff Retro-Soul ist ein bisschen nervig"
    Erst mit etwas Zeit entfaltet sich beim Hören die Vielschichtigkeit und Tiefe von Kiwanukas Musik. Abseits vom Zeitgeist hat er einiges ausprobiert und damit seine musikalische Identität erweitert. Mit einem zuversichtlichen Lächeln auf den Lippen, hofft er, dass bis zum nächsten Album nicht noch einmal vier Jahre verstreichen. Zunächst kann er sich aber mit wiedergefundener Gelassenheit den Vergleichen mit Soul-Ikonen - wie Marvin Gaye oder Isaac Hyes - stellen. Die zehn Stücke auf "Love and Hate" von Michael Kiwunaka zeigen, wie Soul-Musik von heute klingen kann.
    "Der Begriff Retro-Soul ist ein bisschen nervig. Ich habe mit dem Album versucht, dem zu entkommen. Offensichtlich gibt es in meiner Musik Einflüsse aus der Vergangenheit. Aber als ich im Studio war, haben wir versucht mit Schlagzeug-Sounds und Aufnahmetechniken, es so frisch wie möglich zu machen. Ich versuche, den Begriff des Retro-Soul abzuwenden, indem ich eben kreativ bin. Ja, es ist ok. Es macht mir nichts aus, aber eines Tages wird einfach nur Soul sein."
    Mit Beyoncé im Gitarren-Koffer, seiner fünfköpfigen Live-Band und seinen beiden Alben ist Michael Kiwanuka zur Zeit auf Europa-Tour. Im November spielt er in Berlin, München und Köln.
    Das war "Rock et cetera": Michael Kiwanuka – Der schwere Weg zum zweiten Album. Eine Sendung von Constanze Pilaski, Technik Sylvia Kraus und Holger Schneider, Redaktion Tim Schauen.
    Musik "The Final Frame"