Silvia Engels: Nach dem Mord an dem Georgier Changoschwili im August in Berlin und der Verhaftung eines dringend tatverdächtigen Russen stand sehr schnell die Vermutung im Raum, es könne sich um einen von Moskau angeordneten Mord handeln. Denn das Opfer hatte im zweiten Tschetschenien-Krieg gegen Russland gekämpft. Diesen Verdacht scheint zumindest auch die Bundesanwaltschaft so zu sehen, denn die zog den Fall gestern an sich. Und auch die Bundesregierung reagierte und erklärte zwei russische Botschaftsangehörige zu unerwünschten Personen. Russland weist allerdings die Schuld von sich und droht Gegenmaßnahmen an.
Das Ganze besprechen wollen wir mit Michael Link. Er ist europapolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und stellvertretender Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe. Er war bis 2013 Staatsminister im Auswärtigen Amt, später dann OSZE-Direktor in Warschau. Auch heute Morgen erreichen wir ihn bei der OSZE-Jahrestagung in Bratislava. Guten Morgen, Herr Link!
Michael Link: Guten Morgen, Frau Engels.
Engels: Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen an sich gezogen und vermutet offenbar staatliche russische Stellen hinter dem Mord an dem Georgier Changoschwili im August in Berlin. Für wie plausibel halten Sie diesen Verdacht?
Link: Wir müssen zunächst sehen: Der Generalbundesanwalt schaut sich die Sache schon sehr lange an und er spekuliert nicht. Er macht ganz klar sein Heranziehen von Ermittlungen davon abhängig, ob er konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass die Tötung entweder im Auftrag von staatlichen Stellen Russlands oder der Tschetschenischen Republik sei. Er spekuliert nicht, er hat konkrete Anhaltspunkte und er hat gehandelt, und es war wichtig und richtig, dass die Bundesregierung dann auch gehandelt hat.
"Ähnliches Vorgehen wie im Fall Skripal"
Engels: Das sieht Ihr FDP-Parteifreund und Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff anders. Er kritisierte die Ausweisung der beiden russischen Diplomaten als vorschnell und schwer nachvollziehbar. Warum sehen Sie das anders?
Link: Ich kenne seine Stellungnahmen. Ich sehe da gar keinen Widerspruch. Er hat sich klar dazu bekannt, dass man handeln muss, wenn der Generalbundesanwalt Anhaltspunkte hat. Die hat der Generalbundesanwalt, die hat er deutlich gemacht und wir warten jetzt ab, was die Ermittlungen bringen.
Klar ist aber auch, dass sich leider hier ein bisschen von russischer Seite ein Muster abzeichnet. Wir haben hier ein ähnliches Vorgehen vielleicht wie im Fall Skripal. Auch deshalb ist es wichtig, dass man zunächst mal reagiert. Und man hat noch weitere Möglichkeiten, dann später zu reagieren. Ich darf daran erinnern, dass auch Deutschland im Falle Skripal auch vier russische Diplomaten ausgewiesen hat, weil es klare Belege von britischer Seite gab.
Engels: Das heißt, Sie sehen durchaus in diesem Fall das Zeug dazu, dass die diplomatische Eskalation auch von deutscher Seite aus noch gesteigert werden sollte, weil es ja immerhin um einen schwerwiegenden Vorwurf geht, Staatsterrorismus auf deutschem Boden?
Link: Ich würde mal so sagen: Wenn sich das erhärtet, was der Generalbundesanwalt sagt, dann sieht es ganz klar so aus, als ob hier Russland Selbstjustiz im Ausland betreibt. Das kann nicht zugelassen werden. Aber derzeit müssen wir Ermittlungen erst mal abwarten. Umso wichtiger wäre jetzt, dass Deutschland, auch die Bundesregierung sich im Kreise der EU abstimmt und man gemeinsam – das ist immer wichtig – im Verhältnis zur russischen Regierung auftritt.
Engels: Wir hatten im Fall Skripal – den haben Sie ja auch angesprochen – nicht nur die Europäische Union. Auch die USA hatten damals Diplomaten ausgewiesen.
Link: Genau.
"Wir sehen leider auch da ein Muster"
Engels: Erwarten Sie jetzt ähnliche Reaktionen, auch über Europa hinaus?
Link: Das wäre, glaube ich, noch zu früh. Wir müssen wie gesagt warten, wie die weiteren Ermittlungen laufen. Auch im britischen Fall war das ja erst am Ende des Verfahrens, als alles klar war. Wichtig wäre vor allem, dass Russland jetzt nicht nur die Stellungnahmen ignoriert, sondern tatsächlich sich dazu einlässt, und das geschieht natürlich zunächst nicht öffentlich. Aber es wäre wichtig, von russischer Seite mal ein konstruktives Vorgehen zu sehen.
Wir sehen leider auch da ein Muster. Russland testet immer aus, wie weit es im Kampf gegen seine Gegner gehen kann – im Inland durch Einschüchterung von Nichtregierungsorgganisationen und Journalisten. Erst letzte Woche hat Russland die Gesetzgebung gegen ausländische Journalisten verschärft.
Und im Ausland geht Russland gegen seine Gegner dadurch vor, oder seine vermeintlichen Gegner, dass es zum Beispiel in Wahlprozesse eingreift wie in den USA oder Frankreich oder Großbritannien. Es wäre wichtig, dass wir mit Russland wieder in ein wirklich vertrauenswürdiges Verfahren kommen, aber das geht nur, wenn Russland auch bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und sich an internationales Recht hält.
Engels: Viele Georgier und Tschetschenen, die nach Deutschland geflohen sind, leben schon länger in Sorge vor russischen Vergeltungsschlägen. Sie kennen ja Russland gut. Welche Rolle spielt für Russland die Verfolgung möglicher Kämpfer aus den Tschetschenien-Kriegen? Müssen wir hier möglicherweise wirklich mit einem Muster rechnen?
Link: Deshalb sage ich ja: Ich fürchte, es ist hier ein Muster zu sehen. Man testet natürlich immer aus, wie weit man gehen kann in der Bekämpfung dieser vermeintlichen Gegner. Wenn es sich um Kriminelle handelt, dann stehen alle Möglichkeiten von Interpol und Europol zur Verfügung. Aber Selbstjustiz, was so wie hier geschehen sein könnte, darf es auf keinen Fall geben. Hier muss die Bundesregierung auch weiterhin ein sehr klares Signal an die russische Regierung senden.
"Der Schlüssel liegt in Moskau"
Engels: Sie fordern klare Signale. Kann man es dann bei der Ausweisung von Diplomaten belassen? Sollte man auch über andere Sanktionen nachdenken, auch im Wirtschaftsbereich?
Link: Nein, die haben wir ja. Die haben wir ja und Russland versucht ja erkennbar, in verschiedenen Bereichen etwas zu bekommen. Es wird zum Beispiel mit der EU verhandelt, um Zugang zum Energie-Binnenmarkt zu bekommen – Stichwort Nord Stream und andere Dinge. Wir haben durchaus auch Druckmittel. Aber von einer Aufhebung der Sanktionen zurzeit, die wir ja haben, zum Beispiel wegen Krim und wegen Ukraine, dem Donbass und der Krim-Besetzung, kann momentan natürlich keine Rede sein, solange Russland leider sich genau in die falsche Richtung verhält.
Wir haben die Ermittlungen abzuwarten. Wir haben weitere diplomatische Möglichkeiten. Was wir aber wirklich wollen, wäre ein vertrauensvolles Verhältnis mit Russland, aber dazu liegt der Schlüssel in Moskau, indem es sich nicht an das Recht des Stärkeren hält, sondern zurückkehrt zum Völkerrecht.
Engels: Russland hat Gegenmaßnahmen angedroht. Bis jetzt ist da noch nichts Konkretes gekommen. Nächsten Montag soll es ja ein Treffen von Vertretern Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine geben, um im Konflikt um die Ostukraine Annäherung zu bringen. Ist das durch diesen Fall gefährdet und sollte die Bundesregierung hier mit Zurückhaltung auftreten?
Link: Sie sollte in den internen Gesprächen keinesfalls mit Zurückhaltung auftreten. Es ist sehr wichtig, dass man sehr, sehr deutlich mit den russischen Gesprächspartnern die Dinge auf den Tisch legt und nicht darum herumredet.
Was aber nächste Woche – Sie sprechen hier den Ukraine-Gipfel an in Paris -, was da besonders wichtig ist, dass Deutschland und Frankreich wirklich in einer nahtlos abgestimmten Haltung reingehen. Mir macht schon Sorgen, dass in letzter Zeit Macron, aber vorher auch die deutsche Bundesregierung immer wieder mal unabgestimmte Maßnahmen gemacht haben. Das war sicherlich nicht eine Stärkung des gemeinsamen Ansatzes. Man wird nur Erfolg haben nächste Woche bei diesen wichtigen Ukraine-Gesprächen, wenn Deutschland und Frankreich in einer nahtlos aufeinander abgestimmten Haltung in diese Gespräche gehen.
"Wir wollen ein kooperatives Verhältnis mit Russland"
Engels: Aber eine Absage von deutscher Seite empfehlen Sie nicht?
Link: Nein. Das wäre unverhältnismäßig. Diese Gespräche sind sehr wichtig. Sie sind lange vorbereitet worden. Man muss sie nutzen, um das Richtige zu sagen. Gespräche abzusagen, bringt nie etwas. Wichtig ist, die Gespräche nutzen und das Richtige tun, also mit einer klaren abgestimmten Haltung auch Moskau dort kritisieren, wo es kritisiert werden muss: für sein eingriffiges Verhalten in der Ukraine, aber auch für sein eingriffiges Verhalten in zum Beispiel Wahlen, öffentlichen Systemen oder vielleicht dieser Selbstjustiz in Berlin.
Engels: In Teilbereichen war zuletzt eine westliche Annäherung zu Moskau wieder zu sehen. Kann man das aufs Spiel setzen wegen dieses einzelnen Falls?
Link: Wie gesagt, wir wollen ja ein kooperatives Verhältnis mit Russland, im Idealfall auch mit einer Wiederherstellung tatsächlich eines Vertrauensverhältnisses, wenn das ginge. Aber das hängt wie gesagt, dazu liegt der Schlüssel auf der russischen Seite und wir wissen nicht, wie sich die russischen Entwicklungen weiter zeigen. Wir haben vermehrt gerade hier bei der OSZE, bei deren Jahrestagung wieder gesehen, dass Russland leider die Instrumente des Multilateralismus nicht nutzt. Es mangelt nicht an Gesprächsangeboten an Moskau; es mangelt an einer Bereitschaft, sich auf die multilateralen Instrumente, zum Beispiel vertrauensbildende Maßnahmen auch im Abrüstungsbereich russischerseits einzulassen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.