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Michael Moore: Querschüsse. Downsize this!

Auf dem blauen Paperback-Cover der Kopf des Autors, ein bärtiger Dickschädel mit obligatorischer Baseballmütze. Michael Moore streckt dem Zuschauer ein Sprengstoffpaket entgegen. Die Lunte brennt bereits.

Sandra Pfister |
    Zwischen die Buchdeckel hat der Verfasser sozialen Sprengstoff gepackt. Ein explosives Gemisch aus den zerstörten Lebensentwürfen vieler Amerikaner und der ungebremsten Profitgier von Konzernchefs. Menschen werden gewalttätig, wenn Medien ein Klima der Angst schüren - diese These hat Moore eindringlich und polemisch in seinem Film Bowling for Columbine vertreten, der ihn in Deutschland bekannt gemacht hat.

    Für Moore ist Gewalt aber auch, wenn Unternehmen Mitarbeiter entlassen und dadurch ganze Landstriche verarmen. Moore nennt es wirtschaftlichen Terrorismus. Dabei schlägt er gewagte argumentative Brücken:

    Wenn Du ein Gebäude in die Luft jagst und dabei 168 Menschen sterben, das ist ohne Zweifel Terrorismus, das ist klar, aber wie nennst Du es, wenn Du die Leute erst vor die Tür setzt und dann das Haus in die Luft jagst? Den Leuten, die dort gearbeitet haben, wird die Lebensgrundlage entzogen: Einige von ihnen werden sterben: durch Selbstmord, durch Gewalt in der Ehe, Drogen oder Alkoholmissbrauch. Das sind die sozialen Probleme, die die Arbeitslosigkeit mit sich bringt. Diese Leute sind genau so tot, nur nennen wir das nicht Terrorismus, wir nennen die Firma nicht Mörder. Aber für mich ist das ökonomischer Terrorismus, wenn man einen Rekordprofit macht und Leute rausschmeißt, um noch mehr zu verdienen.

    Moores Gewaltbegriff ist ein erweiterter, frei nach dem Friedensforscher Johan Galtung. Ein Bandarbeiter von General Motors, der seinen Job verliert, erleidet Gewalt - strukturelle Gewalt. Dieses Leitthema durchzieht Moores Filme und Bücher: Der amerikanische Gesellschaftsvertrag ist zerstört. Unerträglich findet es Moore, dass Unternehmen entlassen und zugleich hohe Gewinne verbuchen. Die Konzernchefs fühlen sich ihren Mitarbeitern nicht mehr verpflichtet, und ebenso wenig scheren sich die Politiker um die Bedürfnisse der Bürger. Das ist der Amerikanische Alptraum:

    Erinnert Ihr Euch noch an den Amerikanischen Traum? Für die von Euch, die so jung sind, dass sie ihn nicht mehr kennengelernt haben, er hatte folgenden Inhalt: Wenn du hart arbeitest und es deinem Unternehmen gut geht, dann geht es dir auch gut. Dieser Traum ist in Rauch aufgegangen: Heute gilt der Amerikanische Alptraum: Du arbeitest hart, dem Unternehmen geht es gut - und du wirst entlassen!

    Downsizing, die Massenentlassungen in der amerikanischen Industrie, treiben den Filmemacher und Autor seit 14 Jahren um. 1989 drehte er Roger and me. Anlass waren Fabrikschließungen in der Autoindustrie. Moore versucht, Roger Smith zu stellen, den Konzernchef von General Motors. Moores Filme leben von solchen Happenings, in denen er stellvertretend aufsteht und Rechenschaft verlangt. Der nächste große Film blieb auf der gleichen Linie: 1995 geißelt in The Big One das Downsizing großer Konzerne. Aus den Recherchen zum Film entstand dieses Buch. Darin fordert er seine Landsleute auf, sich zu wehren. Und sei es nur durch dadurch, dass sie Postkarten mit Verbesserungsvorschlägen an die Regierung schicken. In dieser Hinsicht ist Querschüsse ein sehr nützliches Handbuch. Der Autor versorgt seine Leser mit der Anschrift des Weißen Hauses ebenso wie mit Tipps zur illegalen Einwanderung in die USA. Ein wenig zivilen Ungehorsam - mehr erhofft sich der Autor nicht von der desillusionierten, lethargischen Mittelschicht.

    Angesichts der Lage, wie ich sie beschrieben habe, müsste sich eigentlich das ganze Land in bewaffnetem Aufruhr befinden, weil die Reichen für Mord und Totschlag straflos geblieben sind. Es müsste eine politische Massenbewegung der Mittelschicht geben und eine, in der die Working Poor organisiert sind alle, die Arbeit haben, aber nicht genug für ihren Lebensunterhalt verdienen). Aber die meisten Amerikaner sind offensichtlich zu dem Schluss gekommen, dass sie ihre Meinung am besten vertreten, indem sie sie nicht vertreten. Bei den Wahlen von 1994 blieben über 60 Prozent aller wahlberechtigten Amerikaner zu Hause und wählten nicht. Nur wenig mehr Interesse als an den Kongresswahlen 1994 bekundeten die Amerikaner zwei Jahre später an den Präsidentschaftswahlen. Von ihrem Wahlrecht machte 1996 nur die Hälfte aller Amerikaner Gebrauch; 2000 waren es geringfügig mehr.

    Hierzulande gilt Moore nach Stupid White Men immer noch als derjenige, der mit George W. Bush abgerechnet hat. Weniger bekannt ist allerdings, dass er sich im Wahlkampf 2000 für den grünen Präsidentschaftskandidaten Ralph Nader engagiert hat. Auch die Demokraten würfen den Unternehmen das Geld in den Rachen, klagt Moore:

    Was aber tat Bill, als er selbst auf dem großen Stuhl im Oval Office Platz genommen hatte? Was jeder Spießer mit Selbstachtung mit einem neuen Auto tut - er machte eine schwungvolle 180 Grad-Wende, dass die Reifen nur so kreischten.

    Desolat sei die innenpolitische Lage, klagt Moore 1996. Wäre es da nicht an der Zeit, einen neuen Krieg anzuzetteln, um davon abzulenken? Bekanntermaßen hat die US-Regierung nach dem 11. September nicht lange gebraucht, um auf diese Idee zu kommen. Charme gewinnt die Analyse wie so oft bei Moore durch den interaktiven Ansatz, der da heißt: Mike sucht einen neuen Feind - und der Leser soll mitsuchen. Welchen Schurkenstaat würden Sie am liebsten angreifen?, fragt Moore und bittet um Einsendungen. Und als Entscheidungshilfe fügt er eine Liste an, die neben notorischen Anwärtern wie Libyen und Nordkorea auch Überraschungskandidaten wie die Schweiz enthält. Den Irak hat Moore 1995 unter erledigt abgehakt - vorschnell, wie sich gezeigt hat.

    Der Lacher steht über dem Gewissen, sagt Harald Schmidt. Moore hingegen schwingt bisweilen ungehemmt die Moralkeule. Der Schockwirkung ordnet er manch ziselierte Argumentation unter. Beispielsweise, wenn es um Entschädigungen für NS-Opfer geht.

    Deutschland hat für seine Schulden noch immer nicht bezahlt - und ich will die Schulden eintreiben. Bin ich ein bisschen zu hart mit einem Land, das doch bereits Reue gezeigt hat? Nun ja. Werfen wir mal einen Blick auf die Anklagetafel: 6 Millionen Juden ermordet, 3 Millionen katholische Polen ermordet, 500.000 Zigeuner ermordet, 12.500 Homosexuelle ermordet. Und wie wurde Deutschland für diese Taten bestraft? Es wurde eines der reichsten Länder der Welt!

    Das kommt holzschnittartig daher. Unerträglich wäre dieses Weltverbesserungspathos, wenn Moore es nicht durch flapsige Ironie brechen würde. Er hätte auch schon eine Idee, wie man jüdische Nazi-Opfer hätte entschädigen können:

    Bayern ist ein wirklich schönes Land! Und es hätte die Deutschen sehr geschmerzt, Bayern zu verlieren. Dass die Juden Palästina bekamen, tat den Deutschen überhaupt nicht weh. Aber wenn diese Schweinehunde Bayern an die Juden verloren hätten, das hätten sie wirklich gespürt.

    Aber Moore macht sich nicht nur zum Anwalt der Verfolgten und der kleinen Leute. Er steigt auch noch in die Verteidigung echter, reicher Promis ein. Er führt den Nachweis, dass O.J. Simpson seine ehemalige Frau und deren Liebhaber nicht umgebracht haben kann. Umfragen zufolge glauben fast alle weißen Amerikaner das Gegenteil. Moore wirft ihnen Bigotterie vor:

    Die meisten Weißen sind sehr empört über das Urteil in O.J. Simpsons Fall. Sehr empört. Aber warum eigentlich? Weil man einen Mörder laufen ließ? Das passiert doch jeden Tag! Weil O.J. seine Frau geschlagen hat? Entschuldigung, das tut doch euer Nachbar auch. Gerade jetzt. Habt ihr schon die Polizei gerufen, oder wollt ihr euch lieber nicht einmischen?

    Fast alle Indizien dafür, dass Simpson der Mörder sei, habe die Polizei von Los Angeles geliefert. Wie aber, fragt der Autor, kann man einer Polizei glauben, die nachweislich korrupt und gewalttätig sei? Die Polizei von L.A. habe durch manipulierte Beweisstücke versucht, O.J. Simpson den Mord anzuhängen, behauptet Moore. Warum aber waren so viele bereit, ihr zu glauben? Weil O.J. ein Schwarzer ist, schreibt Moore. Wer schwarz ist, ist schuldig. Hier gerät Moores Plädoyer für den Angeklagten zur Gesellschaftskritik.

    Ihr wisst doch, dass er es getan hat. Und Ihr müsst auch wissen, dass ich weiß, dass er es getan hat. Warum ich das wusste? Ich gehe sehr oft ins Kino, und ich sehe mir jeden Abend die Elf-Uhr-Nachrichten an. Sie zeigen immer furchterregende schwarze Kerle, die eine Menge Verbrechen begehen. Da kann man eine Menge lernen, wenn man noch an O.J.’s Schuld zweifelt.

    Michael Moore empört sich, erzählt schnoddrig und frech. Die Diagnosen sind klar, die Polemik ist durch Recherchen angedickt, aber wer eine saubere Dokumentation der Fakten sucht, wird enttäuscht. Hier liegt das Problem: Im August warfen das Wochenmagazin The New Republic und das Onlinemagazin Salon dem Autor unsaubere Recherchen vor. Damit setzt Moore jene Glaubwürdigkeit aufs Spiel, die er von den Chefetagen einfordert. Nicht zuletzt aber will Moore gut unterhalten. Wer sich darauf einlässt, wird mit schwarzem Humor und einer exzellent polemischen Gesellschaftsanalyse belohnt.

    Sandra Pfister über Michael Moore: Querschüsse. Downsize this! Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm und Heike Schlatterer. Erschienen im Piper Verlag München, 313 Seiten zum Preis von 12 Euro und 90 Cent.