Die innere geistige Struktur teilt der Faschismus mit dem Bolschewismus; er ist wie dieser autokratisch, antiliberalistisch, antiindividualistisch, gewalttätig. Auch er pflegt eine Haltung, die das Gegensatzgefühl gegen den Westen mit aller Schärfe herausarbeitet. Der Unterschied liegt nur darin, dass der Bolschewismus mit der Wendung in der sozialen Sphäre begann und dann die ursprünglich sozialen Tendenzen mit nationalen Instinkten vereinigte, während der Faschismus die Kraft zur Umkehr zuerst aus den nationalen Instinkten zog.
Eine vollkommen zutreffende und präzise Beschreibung von Gemeinsamkeiten der ideologischen Großsysteme des vergangenen Jahrhunderts. Erstaunlich ist, dass Ernst Niekisch diese Beobachtung schon 1922 zu Papier brachte und noch erstaunlicher, dass er sie überhaupt nicht kritisch meinte. Im Gegenteil: Niekisch träumte von einer Symbiose aus Faschismus und Bolschewismus und propagierte ein Bündnis zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Seinen völkisch unterfütterten gewalttätigen Nationalisozialismus propagierte er zunächst in der Weimarer SPD, später in dem von ihm nach dem Vorbild von Lenins "Partei neuen Typus" gegründeten "Widerstandskreis". Dort versammelte er bürgerliche Salonintellektuelle, von Ernst Jünger infizierte Eskapisten und einstige Frontleute der Freikorps. Zu Hitler ging Niekisch auf Distanz, weil es ihm an Radikalikät mangele. Die Nazis ließen den politischen Hasardeur zunächst gewähren, 1937 steckten sie ihn dann doch ins Gefängnis. 1945 fand Niekisch in der KPD und dann in der SED eine Heimat und in der DDR eine Plattform für seinen autoritären Nationalchauvinismus. Im Westen beriefen sich Zirkel davongekommener SS-Schergen auf ihn, später die Neue Rechte und immer wieder national bewegte sozialdemokratische Querschläger wie Peter Brandt oder Tillmann Fichter. Selbst Sebastian Haffner bescheinigte Niekischs Philosophie eine große Zukunft. Der wahre Theoretiker der Weltrevolution sei weder Marx noch Lenin, sondern Ernst Niekisch. Im Kölner PapyRossa Verlag hat der Historiker Michael Pittwald eine Niekisch-Monographie vorgelegt.
Der Unterschied zwischen Bolschewismus und Faschismus war für Ernst Niekisch rein strategischer Natur. Lenin habe die sprichwörtliche Gerechtigkeitssehnsucht seines Volkes aufgegriffen und sie dann - unter der Fahne der Weltrevolution - mit den großrussischen Instinkten vereint. Mussolini sei vom imperialen Impetus der Erben Roms zur Macht emporgetragen worden und habe sie untermauert, indem er den Primat des Staates über die Wirtschaft zugunsten der proletarischen Massen durchsetzte. Eine Synthese zwischen Sozialismus und Nationalismus war für Niekisch der Ausgangspunkt des politischen Widerstandes gegen die Weimarer Republik, die er als Büttel des raffenden internationalen Kapitals betrachtete. Wie so viele Intellektuelle von rechts wie links sah er den ihm selbst zustehenden Platz an der Spitze der Massen.
Die Bearbeitung der Arbeiterschaft, die sowohl von Seiten der völkischen wie der kommunistischen Bewegung bisher geleistet worden ist und die darauf hinausläuft, die Achtung vor dem Demokratismus zu zerstören und die Empfänglichkeit für diktatorische Formen zu pflegen, würde Früchte tragen. Die demokratisch-pazifistischen Stimmungen, die Bürgen der geistigen Herrschaft und politischen Herrschaft des Westens über Deutschland sind, müssten versanden.
Im Zentrum von Niekischs Widerstandskonzept stand der Gedanke, dass nur aus der Synthese nationaler und sozialer Instinkte die Kraft für eine "deutsche Revolution" erwachsen könne. Das hat auch Michael Pittwald herausgefunden. Und er hat sogar erkannt, dass Niekisch diesen Traum mit Otto Strasser, Karl Otto Paetel und anderen nationalrevolutionären Matadoren teilte. Gemeinhin werden diese Grenzgänger unter dem Begriff "Konservative Revolution" subsummiert. Dass diese Kategorie unscharf ist und "eine klare Abgrenzung strenggenommen" ausschließt, konstatiert Pittwald zu recht. Erstaunlich ist, dass er selbst jede Differenzierung zwischen den konkurrierenden Intellektuellenzirkeln schuldig bleibt. Das muss auch daran liegen, dass er Standardwerke wie Otto-Ernst Schüddekopf, "Linke Leute von rechts", irgendwie suspekt findet.
Schüddekopf will bei seinen Studien zahlreiche Übereinstimmungen zwischen Kommunisten und Rechtsradikalen entdeckt haben und kommt zu dem Schluss, dass es die beiden Ideen des Sozialismus und des Nationalismus waren, die die Weimarer Republik zerrieben und in den offenen Faschismus getrieben haben.
Pittwald verweigert sich sogar solch einfachen Erkenntnissen, die sich an Niekisch prototypisch durchspielen lassen. Der Gegenstand seiner Arbeit sind die Widerstandskonzepte in der deutschen Arbeiterbewegung zum Gegenstand seiner Untersuchung. Dabei ist ihm wichtig, dass sie neben der "Verschränkung von sozialistischen und nationalistischen Theoremen" auch ganz andere Traditionen pflegte. Beim Versuch, diesen auf die Spur zu kommen, wird er nun außerordentlich gründlich, kommt aber leider nicht mehr so recht zum Sortieren. Auf vielen Seiten referiert er den autoritären Nationalismus des Ferdinand Lassalle. Und wer Lassalle liest, darf bekanntlich Fichte und seine Utopie eines nationalen "Vernunftstaates" nicht außer acht lassen. Und so gelangt Pittwald zu einem atemberaubenden Schluss.
Niekisch griff die in Fichtes und Lassales nationalen Konzeptionen vorhandenen Grundmuster auf und baute sie zu einer eigenen nationalistischen Theorie aus. Das Resultat lässt seine beiden Vorläufer vergleichsweise harmlos erscheinen. Wie die Untersuchung ergeben hat, ist das ideologische Fundament der Widerstandsideologie eine konsequentes, in seiner Radikalität außerordentliches völkisch-rassistisches Gedankengebäude. Dessen Kern bildet eine besonders rigorose Form von Gewaltherrschaft nach innen wie nach außen.
Mit dieser profunden Erkenntnis ausgestattet, befasst Pittwald sich nur noch beiläufig mit dem sozialimperialistischen Flügel der SPD, der sich im Ersten Weltkrieg um Konrad Haenischs "Glocke" formierte. Ein wichtiges Publikationsorgan für Niekisch. Dessen republikfeindliche Geistesgenossen wie Ernst Jünger, Bodo Uhse oder Beppo Römer geraten ihm kaum in den Blick. Spätestens hier wird deutlich, worum es dem Autor recht eigentlich geht. Pittwald kämpft eine Abwehrschlacht gegen die "Totalitarismusdoktrin", die Niekischs nationalrevolutionäre Konzeption dazu benutze, eine Wesensverwandtschaft zwischen marxistischer Idee und "faschistischer" Ideologie zu konstruieren.
Somit erfüllt Niekisch trotz einer ihm entgegengebrachten kritischen und ablehnenden Position eine affirmative Funktion im Sinne der herrschenden Klasse der Bundesrepublik. Die perfide und offensive Qualität einer solchen Niekisch-Interpretation zeigt sich darin, dass unter Verwendung der Totalitarismusdoktrin die Kritik an Niekisch zur Entlastung des deutschen Faschismus genutzt wird. Gleichzeitig wird die gesamte Arbeiterbewegung abserviert und in das weite Arsenal des Totalitären eingemeindet.
In einem hat Pittwald einfach recht: Der Totalitarismusbegriff ist im Kalten Krieg zu einem politischen Schlagetotwort verkommen, mit dessen Hilfe sich auch Träger des NS-Systems aus der historischen Verantwortung stehlen und in die Politik zurückschleichen konnten. Er ist ideologisch besetzt, deshalb mit Vorsicht zu genießen und zu meiden, wo nicht historisch-empirisch belegt. Das gilt erst recht für die Negation des Totalitarismusbegriffs von links, wo in den Noltegeruch geraten ist, wer immer zu bemerken gewagt hat, dass die Opfer des Bolschewismus ebenso tot-gemacht wurden wie die des Nazismus. Oder ist gewaltsamer Tod durch Verhungern weniger singulär als der durch Gas?
Schon Wolfgang Abendroth - der Niekisch nach 1945 in seine "Sozialistische Förderergemeinschaft" integrieren und für seine offizielle Anerkennung als Verfolgter des Naziregimes eintreten sollte - rechtfertigte Stalin als historisch notwendiges Übel.
In Niekischs Schriften spielt der Diktator als idealtypischer Führer eines kollektivistischen "Arbeiterstaates", in dem die verhassten bürgerlichen und bäuerlichen Mittelschichten ausgerottet sind, eine Schlüsselrolle. Bei Pittwald taucht er, ebenso wie Lenin, nur am Rande auf. Der Autor übergeht auch Niekischs bekenntnishafte "Betrachtungen über eine Russlandreise von 1932", die den Zusammenhang von Führermythos und Proletkult enthüllen.
Der neue Mythos bewahrt seine bindende Kraft. Er gipfelt in der Verehrung, die Lenins Leichnam genießt. (...) Dem ganzen Volke leuchtet der Plan voran; die Energie des Volkes reicht hin, den Plan zu erfüllen. Man opfert die Gegenwart für die Zukunft, die man schafft. Es ist eine Haltung des angespannten Heroismus, wie sie sonst kein Volk der Erde mehr zeigt. (...) Der russische kommunistische Arbeiter glaubt an seine Weltsendung. Er setzt sich als Typus, der berufen sei, von der Welt Besitz zu ergreifen. Das ganze russische Dasein ist auf diesen Typus zugeschnitten; es bestätigt sein Lebensrecht, es verherrlicht ihn, es verschafft ihm die Gelegenheit, sich in seiner führenden Bedeutung zu genießen. Hinter jeder Gebärde des Arbeiters spürt man den zäh festgehaltenen Anspruch, dass der Arbeiter die hoffnungsvollste Art Mensch sei.
1932 erschien Ernst Jüngers "Arbeiter", die neue Bibel der technikbegeisterten Nationalrevolutionäre. Für Niekisch war es die Transformation des Bolschewismus in preußische Denkweise. Die Folie für eine deutsche Form des Sozialismus. Seine programmatische Rezension findet Pittwald nicht erwähnenswert.
Nirgends hat sich die "Gestalt des Arbeiters" endgültiger durchgesetzt als im bolschewistischen Russland. Nirgends ist der totale Arbeitscharakter des Daseins spürbarer, und nirgends ist die Gestalt des Arbeiters entschiedener Element der totalen Mobilmachung. Zuweilen muten Jüngers Darlegungen als gedankliche Abstraktion, ja als philosophische Erklärung der russischen Erfahrungswelt an.
Pittwald muss solche Lobgesänge auf den Bolschewismus aus seiner Argumentation ausblenden, weil sie seine Fundamentalkritik an der Totalitarismustheorie ad absurdum führen würden. Er verkürzt Niekischs Begeisterung für die Sowjetunion zu einem außenpolitischen Kalkül: die sei im Widerstandkonzept lediglich als Kampfgefährtin gegen den Westen relevant gewesen. Damit hat er sich ein marxistisch korrektes Niekisch-Bild zurechtgezimmert, das ihm Anlass zu absurden Schlussfolgerungen gibt.
Die Anwendung der Totalitarismusdoktrin bei der Analyse von Niekischs Positionen bedeutet (...), dass hier faschistische Konzeptionen wie auch der Faschismus an der Macht von ihrer klassenspezifischen Bindung im Kapitalismus, folglich, von der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt getrennt werden. Damit einhergehend werden faschistische Herrschaftsmodelle von einem ihrer wesentlichen Bestandteile gelöst. Weiter bedeutet dies, das Niekischs Vorstellungen nicht als Ausdruck bürgerlicher-demokratischer Expansionsbestrebungen gesehen werden.
"Der Bürger" als Repräsentant einer vaterlandslosen Schicht, die mit dem westlichen Kapital paktierte, war Niekischs Erzfeind, den er zuweilen auch als "ewigen Juden" skizzierte. Dass der Bürger in der Sowjetunion - unter dem Beifall der KPD-Presse - als Schädling behandelt und ausgerottet wurde, bereitete Niekisch erklärtermaßen Behagen. Und ihm leuchtete unmittelbar ein, dass der Arbeiter als imperiale Figur der Zukunft die offiziell deklarierte Vernichtung des "Kulakentums als Klasse" vorantrieb. Pittwald blendet auch dies aus. Konsequenterweise geht er dann der Frage aus dem Weg, was Niekisch später mit den Protagonisten des offiziellen Antifaschismus in der Nationalen Front der DDR wie Otto Grotewohl verband, dem er Appelle für ein vereintes, sozialistisches Deutschland schrieb. Das Programm der KPD zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands von 1952, das in Ostberlin entstand, hätte ihm vielleicht Antwort gegeben:
Nach dem Kriege (...) geriet Westdeutschland (...) in die Sklaverei der amerikanischen, englischen und französischen Imperialisten. (...) Ihr Ziel war es, Deutschland als Staat zu vernichten, als Konkurrenten auszuschalten, seine Reichtümer an sich zu reißen und auszubeuten und unser Volk und Land für die Vorbereitung eines neuen Krieges um die Weltherrschaft zu missbrauchen. (...)Dem Bündnis des Verräters Adenauer wird das Bündnis aller ehrlichen Deutschen im Westen und Osten unseres Vaterlandes entgegengestellt. (...) Unzweifelhaft wird unser Kampf Opfer fordern. Aber für den im Kampf gefallenen oder aus dem Kampf herausgerissenen Patrioten werden Tausende neue aufstehen.
Elke Suhr über Michael Pittwald, "Ernst Niekisch - Völkischer Sozialismus, nationale Revolution, deutsches Endimperium", Papyrossa Verlag, Köln. 355 Seiten, Euro 20,50.
Eine vollkommen zutreffende und präzise Beschreibung von Gemeinsamkeiten der ideologischen Großsysteme des vergangenen Jahrhunderts. Erstaunlich ist, dass Ernst Niekisch diese Beobachtung schon 1922 zu Papier brachte und noch erstaunlicher, dass er sie überhaupt nicht kritisch meinte. Im Gegenteil: Niekisch träumte von einer Symbiose aus Faschismus und Bolschewismus und propagierte ein Bündnis zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Seinen völkisch unterfütterten gewalttätigen Nationalisozialismus propagierte er zunächst in der Weimarer SPD, später in dem von ihm nach dem Vorbild von Lenins "Partei neuen Typus" gegründeten "Widerstandskreis". Dort versammelte er bürgerliche Salonintellektuelle, von Ernst Jünger infizierte Eskapisten und einstige Frontleute der Freikorps. Zu Hitler ging Niekisch auf Distanz, weil es ihm an Radikalikät mangele. Die Nazis ließen den politischen Hasardeur zunächst gewähren, 1937 steckten sie ihn dann doch ins Gefängnis. 1945 fand Niekisch in der KPD und dann in der SED eine Heimat und in der DDR eine Plattform für seinen autoritären Nationalchauvinismus. Im Westen beriefen sich Zirkel davongekommener SS-Schergen auf ihn, später die Neue Rechte und immer wieder national bewegte sozialdemokratische Querschläger wie Peter Brandt oder Tillmann Fichter. Selbst Sebastian Haffner bescheinigte Niekischs Philosophie eine große Zukunft. Der wahre Theoretiker der Weltrevolution sei weder Marx noch Lenin, sondern Ernst Niekisch. Im Kölner PapyRossa Verlag hat der Historiker Michael Pittwald eine Niekisch-Monographie vorgelegt.
Der Unterschied zwischen Bolschewismus und Faschismus war für Ernst Niekisch rein strategischer Natur. Lenin habe die sprichwörtliche Gerechtigkeitssehnsucht seines Volkes aufgegriffen und sie dann - unter der Fahne der Weltrevolution - mit den großrussischen Instinkten vereint. Mussolini sei vom imperialen Impetus der Erben Roms zur Macht emporgetragen worden und habe sie untermauert, indem er den Primat des Staates über die Wirtschaft zugunsten der proletarischen Massen durchsetzte. Eine Synthese zwischen Sozialismus und Nationalismus war für Niekisch der Ausgangspunkt des politischen Widerstandes gegen die Weimarer Republik, die er als Büttel des raffenden internationalen Kapitals betrachtete. Wie so viele Intellektuelle von rechts wie links sah er den ihm selbst zustehenden Platz an der Spitze der Massen.
Die Bearbeitung der Arbeiterschaft, die sowohl von Seiten der völkischen wie der kommunistischen Bewegung bisher geleistet worden ist und die darauf hinausläuft, die Achtung vor dem Demokratismus zu zerstören und die Empfänglichkeit für diktatorische Formen zu pflegen, würde Früchte tragen. Die demokratisch-pazifistischen Stimmungen, die Bürgen der geistigen Herrschaft und politischen Herrschaft des Westens über Deutschland sind, müssten versanden.
Im Zentrum von Niekischs Widerstandskonzept stand der Gedanke, dass nur aus der Synthese nationaler und sozialer Instinkte die Kraft für eine "deutsche Revolution" erwachsen könne. Das hat auch Michael Pittwald herausgefunden. Und er hat sogar erkannt, dass Niekisch diesen Traum mit Otto Strasser, Karl Otto Paetel und anderen nationalrevolutionären Matadoren teilte. Gemeinhin werden diese Grenzgänger unter dem Begriff "Konservative Revolution" subsummiert. Dass diese Kategorie unscharf ist und "eine klare Abgrenzung strenggenommen" ausschließt, konstatiert Pittwald zu recht. Erstaunlich ist, dass er selbst jede Differenzierung zwischen den konkurrierenden Intellektuellenzirkeln schuldig bleibt. Das muss auch daran liegen, dass er Standardwerke wie Otto-Ernst Schüddekopf, "Linke Leute von rechts", irgendwie suspekt findet.
Schüddekopf will bei seinen Studien zahlreiche Übereinstimmungen zwischen Kommunisten und Rechtsradikalen entdeckt haben und kommt zu dem Schluss, dass es die beiden Ideen des Sozialismus und des Nationalismus waren, die die Weimarer Republik zerrieben und in den offenen Faschismus getrieben haben.
Pittwald verweigert sich sogar solch einfachen Erkenntnissen, die sich an Niekisch prototypisch durchspielen lassen. Der Gegenstand seiner Arbeit sind die Widerstandskonzepte in der deutschen Arbeiterbewegung zum Gegenstand seiner Untersuchung. Dabei ist ihm wichtig, dass sie neben der "Verschränkung von sozialistischen und nationalistischen Theoremen" auch ganz andere Traditionen pflegte. Beim Versuch, diesen auf die Spur zu kommen, wird er nun außerordentlich gründlich, kommt aber leider nicht mehr so recht zum Sortieren. Auf vielen Seiten referiert er den autoritären Nationalismus des Ferdinand Lassalle. Und wer Lassalle liest, darf bekanntlich Fichte und seine Utopie eines nationalen "Vernunftstaates" nicht außer acht lassen. Und so gelangt Pittwald zu einem atemberaubenden Schluss.
Niekisch griff die in Fichtes und Lassales nationalen Konzeptionen vorhandenen Grundmuster auf und baute sie zu einer eigenen nationalistischen Theorie aus. Das Resultat lässt seine beiden Vorläufer vergleichsweise harmlos erscheinen. Wie die Untersuchung ergeben hat, ist das ideologische Fundament der Widerstandsideologie eine konsequentes, in seiner Radikalität außerordentliches völkisch-rassistisches Gedankengebäude. Dessen Kern bildet eine besonders rigorose Form von Gewaltherrschaft nach innen wie nach außen.
Mit dieser profunden Erkenntnis ausgestattet, befasst Pittwald sich nur noch beiläufig mit dem sozialimperialistischen Flügel der SPD, der sich im Ersten Weltkrieg um Konrad Haenischs "Glocke" formierte. Ein wichtiges Publikationsorgan für Niekisch. Dessen republikfeindliche Geistesgenossen wie Ernst Jünger, Bodo Uhse oder Beppo Römer geraten ihm kaum in den Blick. Spätestens hier wird deutlich, worum es dem Autor recht eigentlich geht. Pittwald kämpft eine Abwehrschlacht gegen die "Totalitarismusdoktrin", die Niekischs nationalrevolutionäre Konzeption dazu benutze, eine Wesensverwandtschaft zwischen marxistischer Idee und "faschistischer" Ideologie zu konstruieren.
Somit erfüllt Niekisch trotz einer ihm entgegengebrachten kritischen und ablehnenden Position eine affirmative Funktion im Sinne der herrschenden Klasse der Bundesrepublik. Die perfide und offensive Qualität einer solchen Niekisch-Interpretation zeigt sich darin, dass unter Verwendung der Totalitarismusdoktrin die Kritik an Niekisch zur Entlastung des deutschen Faschismus genutzt wird. Gleichzeitig wird die gesamte Arbeiterbewegung abserviert und in das weite Arsenal des Totalitären eingemeindet.
In einem hat Pittwald einfach recht: Der Totalitarismusbegriff ist im Kalten Krieg zu einem politischen Schlagetotwort verkommen, mit dessen Hilfe sich auch Träger des NS-Systems aus der historischen Verantwortung stehlen und in die Politik zurückschleichen konnten. Er ist ideologisch besetzt, deshalb mit Vorsicht zu genießen und zu meiden, wo nicht historisch-empirisch belegt. Das gilt erst recht für die Negation des Totalitarismusbegriffs von links, wo in den Noltegeruch geraten ist, wer immer zu bemerken gewagt hat, dass die Opfer des Bolschewismus ebenso tot-gemacht wurden wie die des Nazismus. Oder ist gewaltsamer Tod durch Verhungern weniger singulär als der durch Gas?
Schon Wolfgang Abendroth - der Niekisch nach 1945 in seine "Sozialistische Förderergemeinschaft" integrieren und für seine offizielle Anerkennung als Verfolgter des Naziregimes eintreten sollte - rechtfertigte Stalin als historisch notwendiges Übel.
In Niekischs Schriften spielt der Diktator als idealtypischer Führer eines kollektivistischen "Arbeiterstaates", in dem die verhassten bürgerlichen und bäuerlichen Mittelschichten ausgerottet sind, eine Schlüsselrolle. Bei Pittwald taucht er, ebenso wie Lenin, nur am Rande auf. Der Autor übergeht auch Niekischs bekenntnishafte "Betrachtungen über eine Russlandreise von 1932", die den Zusammenhang von Führermythos und Proletkult enthüllen.
Der neue Mythos bewahrt seine bindende Kraft. Er gipfelt in der Verehrung, die Lenins Leichnam genießt. (...) Dem ganzen Volke leuchtet der Plan voran; die Energie des Volkes reicht hin, den Plan zu erfüllen. Man opfert die Gegenwart für die Zukunft, die man schafft. Es ist eine Haltung des angespannten Heroismus, wie sie sonst kein Volk der Erde mehr zeigt. (...) Der russische kommunistische Arbeiter glaubt an seine Weltsendung. Er setzt sich als Typus, der berufen sei, von der Welt Besitz zu ergreifen. Das ganze russische Dasein ist auf diesen Typus zugeschnitten; es bestätigt sein Lebensrecht, es verherrlicht ihn, es verschafft ihm die Gelegenheit, sich in seiner führenden Bedeutung zu genießen. Hinter jeder Gebärde des Arbeiters spürt man den zäh festgehaltenen Anspruch, dass der Arbeiter die hoffnungsvollste Art Mensch sei.
1932 erschien Ernst Jüngers "Arbeiter", die neue Bibel der technikbegeisterten Nationalrevolutionäre. Für Niekisch war es die Transformation des Bolschewismus in preußische Denkweise. Die Folie für eine deutsche Form des Sozialismus. Seine programmatische Rezension findet Pittwald nicht erwähnenswert.
Nirgends hat sich die "Gestalt des Arbeiters" endgültiger durchgesetzt als im bolschewistischen Russland. Nirgends ist der totale Arbeitscharakter des Daseins spürbarer, und nirgends ist die Gestalt des Arbeiters entschiedener Element der totalen Mobilmachung. Zuweilen muten Jüngers Darlegungen als gedankliche Abstraktion, ja als philosophische Erklärung der russischen Erfahrungswelt an.
Pittwald muss solche Lobgesänge auf den Bolschewismus aus seiner Argumentation ausblenden, weil sie seine Fundamentalkritik an der Totalitarismustheorie ad absurdum führen würden. Er verkürzt Niekischs Begeisterung für die Sowjetunion zu einem außenpolitischen Kalkül: die sei im Widerstandkonzept lediglich als Kampfgefährtin gegen den Westen relevant gewesen. Damit hat er sich ein marxistisch korrektes Niekisch-Bild zurechtgezimmert, das ihm Anlass zu absurden Schlussfolgerungen gibt.
Die Anwendung der Totalitarismusdoktrin bei der Analyse von Niekischs Positionen bedeutet (...), dass hier faschistische Konzeptionen wie auch der Faschismus an der Macht von ihrer klassenspezifischen Bindung im Kapitalismus, folglich, von der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt getrennt werden. Damit einhergehend werden faschistische Herrschaftsmodelle von einem ihrer wesentlichen Bestandteile gelöst. Weiter bedeutet dies, das Niekischs Vorstellungen nicht als Ausdruck bürgerlicher-demokratischer Expansionsbestrebungen gesehen werden.
"Der Bürger" als Repräsentant einer vaterlandslosen Schicht, die mit dem westlichen Kapital paktierte, war Niekischs Erzfeind, den er zuweilen auch als "ewigen Juden" skizzierte. Dass der Bürger in der Sowjetunion - unter dem Beifall der KPD-Presse - als Schädling behandelt und ausgerottet wurde, bereitete Niekisch erklärtermaßen Behagen. Und ihm leuchtete unmittelbar ein, dass der Arbeiter als imperiale Figur der Zukunft die offiziell deklarierte Vernichtung des "Kulakentums als Klasse" vorantrieb. Pittwald blendet auch dies aus. Konsequenterweise geht er dann der Frage aus dem Weg, was Niekisch später mit den Protagonisten des offiziellen Antifaschismus in der Nationalen Front der DDR wie Otto Grotewohl verband, dem er Appelle für ein vereintes, sozialistisches Deutschland schrieb. Das Programm der KPD zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands von 1952, das in Ostberlin entstand, hätte ihm vielleicht Antwort gegeben:
Nach dem Kriege (...) geriet Westdeutschland (...) in die Sklaverei der amerikanischen, englischen und französischen Imperialisten. (...) Ihr Ziel war es, Deutschland als Staat zu vernichten, als Konkurrenten auszuschalten, seine Reichtümer an sich zu reißen und auszubeuten und unser Volk und Land für die Vorbereitung eines neuen Krieges um die Weltherrschaft zu missbrauchen. (...)Dem Bündnis des Verräters Adenauer wird das Bündnis aller ehrlichen Deutschen im Westen und Osten unseres Vaterlandes entgegengestellt. (...) Unzweifelhaft wird unser Kampf Opfer fordern. Aber für den im Kampf gefallenen oder aus dem Kampf herausgerissenen Patrioten werden Tausende neue aufstehen.
Elke Suhr über Michael Pittwald, "Ernst Niekisch - Völkischer Sozialismus, nationale Revolution, deutsches Endimperium", Papyrossa Verlag, Köln. 355 Seiten, Euro 20,50.