Im Frühjahr 1933, kurz nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, erschien im "Völkischen Beobachter" ein Hetzartikel mit der Überschrift: "Der jüdische Krieg beginnt". Doch im Artikel ist nicht die Rede von "den Juden", sondern nur von einem: von Leo Lania. Der tiefe Hass, den die Nazis auf Lania verspürten, wurzelte in dessen Tätigkeit als investigativer Journalist. Schon früh hatte er kritisch über die nationalsozialistische Bewegung berichtet.
Undercover in Hitlers engstem Kreis
Einer seiner faszinierendsten Scoops war im Oktober 1923 eine Undercover-Recherche in Hitlers damaligem Hauptquartier, der Redaktion des "Völkischen Beobachters" in München. Lania, Jude russischer Herkunft, aufgewachsen in Österreich, sprach fließend Italienisch. Er gab sich als Gesandter Benito Mussolinis aus: Der Duce habe ihn geschickt, um mehr über Hitler zu erfahren. Die Maskerade gelang so gut, dass Leo Lania acht Tage im Nazi-Hauptquartier verbringen konnte.
Leo Lania erinnert sich in seiner Autobiografie:
"Röhm war ohne Zweifel der stärkere, Pöhner der gewieftere Politiker, Strasser weit gebildeter - aber Hitler hatte etwas vor ihnen voraus: den Glauben an sich. Einen abnormalen Größenwahn. Im Grunde ihrer Seele waren alle andern Zyniker - Hitler war ein Fanatiker. (…) Hitler war nicht weniger kühl, berechnend, skrupellos, verlogen und zynisch, sofern es sich um Politik, seine Partei, die nationalsozialistische Idee handelte; aber seine Überzeugung von seiner Mission und seiner Größe war unbedingt echt."
Als Lanias Deckung aufzufliegen drohte, gelang ihm knapp die Flucht. Dies war nur eine von zahlreichen aufsehenerregenden Recherchen, die Lania in Zeitungen und als Buchreportagen veröffentlichte, ein Genre, für das er in Deutschland den Grundstein legte.
Leo Lania erinnert sich in seiner Autobiografie:
"Röhm war ohne Zweifel der stärkere, Pöhner der gewieftere Politiker, Strasser weit gebildeter - aber Hitler hatte etwas vor ihnen voraus: den Glauben an sich. Einen abnormalen Größenwahn. Im Grunde ihrer Seele waren alle andern Zyniker - Hitler war ein Fanatiker. (…) Hitler war nicht weniger kühl, berechnend, skrupellos, verlogen und zynisch, sofern es sich um Politik, seine Partei, die nationalsozialistische Idee handelte; aber seine Überzeugung von seiner Mission und seiner Größe war unbedingt echt."
Als Lanias Deckung aufzufliegen drohte, gelang ihm knapp die Flucht. Dies war nur eine von zahlreichen aufsehenerregenden Recherchen, die Lania in Zeitungen und als Buchreportagen veröffentlichte, ein Genre, für das er in Deutschland den Grundstein legte.
An der Schnittstelle von Reportage literarischer und medialer Produktion
Leo Lania, Ende des 19. Jahrhunderts in Charkow in der Ukraine geboren als Lazar Herman, lebte seit 1921 in Berlin. Er war einer der umtriebigsten und vielseitigsten Protagonisten des kulturellen Lebens der Weimarer Republik. Dennoch ist er heute weitgehend vergessen. Michael Schwaiger hat mit "Hinter der Fassade der Wirklichkeit" eine Monografie zu Leben und Werk Lanias veröffentlicht.
Dem Autor geht es in erster Linie um den politischen Publizisten Lania an der Schnittstelle von Reportage und literarischer und medialer Produktion, und dies besonders während der 20er-Jahre. So nehmen die journalistische Arbeit Lanias und sein Kampf gegen Faschismus und Totalitarismus einen ebenso breiten Raum ein wie seine Reportagebücher. "Gewehre auf Reisen" zum Beispiel. In diesem berichtete Lania detailliert von europaweiten Waffenschiebereien und veröffentlichte die Klarnamen und Adressen der Beteiligten.
Dem Autor geht es in erster Linie um den politischen Publizisten Lania an der Schnittstelle von Reportage und literarischer und medialer Produktion, und dies besonders während der 20er-Jahre. So nehmen die journalistische Arbeit Lanias und sein Kampf gegen Faschismus und Totalitarismus einen ebenso breiten Raum ein wie seine Reportagebücher. "Gewehre auf Reisen" zum Beispiel. In diesem berichtete Lania detailliert von europaweiten Waffenschiebereien und veröffentlichte die Klarnamen und Adressen der Beteiligten.
Michael Schwaiger schildert die intensive Zusammenarbeit Lanias mit Erwin Piscator und Bertold Brecht und auch seinen Einsatz für den Berliner "Volksfilmverband" bei dem Versuch, mit Hilfe des Films eine kritische Gegenöffentlichkeit zur zeitgenössischen Filmindustrie aufzubauen. Alle Projekte, die keinen politischen Anspruch haben - wie etwa Lanias Komödien - bleiben bei dieser Betrachtung außen vor.
Schwaiger erwähnt aber nicht nur Leo Lanias fertiggestellte Filme, Theaterstücke, Romane, Drehbücher, Reportagen, sondern auch viele Projekte, die scheiterten. Dadurch wird einerseits die Bandbreite von Lanias Schaffen deutlich, und andererseits die Energie und Leidenschaft, die den Publizisten antrieben. Lania sagte von sich selbst, er schliefe nur drei Stunden pro Tag - angesichts des Nachlasses, der mehr als 10.000 Manuskriptseiten umfasst, darunter zahlreiche Fragment gebliebene Ideen, klingt das tatsächlich nicht unwahrscheinlich. Zum Teil ist dies aber auch der Notwendigkeit geschuldet, in einer finanzschwachen Branche seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Schwaiger erwähnt aber nicht nur Leo Lanias fertiggestellte Filme, Theaterstücke, Romane, Drehbücher, Reportagen, sondern auch viele Projekte, die scheiterten. Dadurch wird einerseits die Bandbreite von Lanias Schaffen deutlich, und andererseits die Energie und Leidenschaft, die den Publizisten antrieben. Lania sagte von sich selbst, er schliefe nur drei Stunden pro Tag - angesichts des Nachlasses, der mehr als 10.000 Manuskriptseiten umfasst, darunter zahlreiche Fragment gebliebene Ideen, klingt das tatsächlich nicht unwahrscheinlich. Zum Teil ist dies aber auch der Notwendigkeit geschuldet, in einer finanzschwachen Branche seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Wissenschaftliches Herangehen - mit gewisser Trockenheit
Medienwissenschaftler Michael Schwaiger hat in seinem Buch sein Dissertationsthema aufgenommen und ausgebaut. Der wissenschaftliche Anspruch ist dabei erhalten geblieben. Das ist einerseits großartig. Denn Schwaiger bettet das publizistische Werk Lanias in einen enorm breiten Kontext ein: Exkurse zum Pressewesen und zu den Nachrichtenagenturen Deutschlands zwischen den Weltkriegen finden sich ebenso wie Faschismustheorien und Ausführungen zum Aufkommen der Massenkultur. Dadurch bietet das Buch einen tiefen, kenntnisreichen Einblick in die Verhältnisse der Weimarer Republik und in die Gründe ihres Scheiterns.
Andererseits bringt das wissenschaftliche Herangehen eine gewisse Trockenheit und Umständlichkeit im Ausdruck mit sich. Es ist wenig zu spüren von dem mitreißenden Redner Lania, dem attestiert wurde, dass er komplexe Zusammenhänge in eine für alle verständliche Sprache fassen konnte. Das ist schade, denn Lania selbst war es wichtig - wie Schwaiger betont - , möglichst viele Menschen zu erreichen. Das war einer der Gründe, warum er mit verschiedenen massenmedialen Ausdrucksformen wie Film oder Hörspiel experimentierte.
Andererseits bringt das wissenschaftliche Herangehen eine gewisse Trockenheit und Umständlichkeit im Ausdruck mit sich. Es ist wenig zu spüren von dem mitreißenden Redner Lania, dem attestiert wurde, dass er komplexe Zusammenhänge in eine für alle verständliche Sprache fassen konnte. Das ist schade, denn Lania selbst war es wichtig - wie Schwaiger betont - , möglichst viele Menschen zu erreichen. Das war einer der Gründe, warum er mit verschiedenen massenmedialen Ausdrucksformen wie Film oder Hörspiel experimentierte.
Dingen auf den Grund gehen und Veränderungen anstoßen
Lanias Ziel war es, sein Publikum zum eigenständigen Denken anzuregen - um ganz in der Tradition der Aufklärung dabei zu helfen, den Menschen aus "seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" herauszuführen. Aus diesem Grund ging es Lania darum, die Zusammenhänge und Wechselwirkungen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft aufzudecken und möglichst verständlich zu darzulegen.
Michael Schwaiger erklärt: "Von Anfang an war sein journalistisches und literarisches Schaffen als politisch-operatives Handeln konzipiert, das in das Zeitgeschehen eingreifen und den Rezipienten zum Eingreifen in eben dieses befähigen und animieren sollte."
Wie Schwaiger schildert, sah sich Lania in der Tradition der amerikanischen "Muckracker", "Schmutzaufwirbler" im Stil Upton Sinclairs. Damit war er Kollege, aber auch Antipode zu Egon Erwin Kisch, dem "rasenden Reporter" der Weimarer Republik, der auch heute noch ein Begriff ist. Doch Kisch ginge es, so kritisierte Lania, um bloße Beobachtung und literarische Reportage. Das war Lania zu wenig: Er wollte ein "eingreifendes Schreiben", ein sezierendes, ein - wie er es nannte - "chirurgisches Verfahren", um den Dingen auf den Grund zu gehen und Veränderungen anzustoßen.
Einen Weg zu einer besseren Gesellschaft sah Lania lange Zeit im Sozialismus. Nach dem Ersten Weltkrieg war er zunächst für zwei Jahre Herausgeber der "Roten Fahne", einer kommunistischen Tageszeitung in Wien. Ab 1921 distanzierte er sich von der Kommunistischen Partei, blieb aber der Idee des Sozialismus verbunden. Zum endgültigen Bruch damit kam es für ihn mit dem Hitler-Stalin-Pakt 1939. Lania, zu jener Zeit im Exil in New York, setzte danach seine Hoffnungen auf US-Präsident Franklin D. Roosevelt, von dessen Politik des "New Deal" er sich eine gerechtere Gesellschaft erhoffte. Nach dem Krieg blieb Lania in den USA. Lediglich um zu recherchieren reiste er nach Deutschland. Unter anderem schrieb er als Ghostwriter Willy Brandts erste Biografie "Mein Weg nach Berlin".
Michael Schwaiger erklärt: "Von Anfang an war sein journalistisches und literarisches Schaffen als politisch-operatives Handeln konzipiert, das in das Zeitgeschehen eingreifen und den Rezipienten zum Eingreifen in eben dieses befähigen und animieren sollte."
Wie Schwaiger schildert, sah sich Lania in der Tradition der amerikanischen "Muckracker", "Schmutzaufwirbler" im Stil Upton Sinclairs. Damit war er Kollege, aber auch Antipode zu Egon Erwin Kisch, dem "rasenden Reporter" der Weimarer Republik, der auch heute noch ein Begriff ist. Doch Kisch ginge es, so kritisierte Lania, um bloße Beobachtung und literarische Reportage. Das war Lania zu wenig: Er wollte ein "eingreifendes Schreiben", ein sezierendes, ein - wie er es nannte - "chirurgisches Verfahren", um den Dingen auf den Grund zu gehen und Veränderungen anzustoßen.
Einen Weg zu einer besseren Gesellschaft sah Lania lange Zeit im Sozialismus. Nach dem Ersten Weltkrieg war er zunächst für zwei Jahre Herausgeber der "Roten Fahne", einer kommunistischen Tageszeitung in Wien. Ab 1921 distanzierte er sich von der Kommunistischen Partei, blieb aber der Idee des Sozialismus verbunden. Zum endgültigen Bruch damit kam es für ihn mit dem Hitler-Stalin-Pakt 1939. Lania, zu jener Zeit im Exil in New York, setzte danach seine Hoffnungen auf US-Präsident Franklin D. Roosevelt, von dessen Politik des "New Deal" er sich eine gerechtere Gesellschaft erhoffte. Nach dem Krieg blieb Lania in den USA. Lediglich um zu recherchieren reiste er nach Deutschland. Unter anderem schrieb er als Ghostwriter Willy Brandts erste Biografie "Mein Weg nach Berlin".
Schon zu Lebzeiten vergessen
Leo Lania starb im November 1961, doch noch zu Lebzeiten geriet er in Deutschland in Vergessenheit. Die Gründe hierfür mögen vielfältig gewesen sein, meint Michael Schwaiger:
"Das Konzept einer politischen und populären Gebrauchsästhetik, die ganz bewusst Unterhaltung mit Aufklärung verbinden und durch den Appell an die Vernunft wie durch die Affizierung des Gefühls wirken wollte, stieß bei der deutschsprachigen Literaturkritik der Nachkriegszeit (…) auf wenig Verständnis. Lanias dezidierter Pro-Amerikanismus und strikter Antikommunismus, den er seit dem amerikanischen Exil demonstrativ zur Schau stellte, war bei vielen westlichen Intellektuellen (…) äußerst unpopulär."
Vielleicht ist es an der Zeit, die vielschichtige und schillernde Persönlichkeit Leo Lanias wieder bekannter und sein Werk einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Wünschenswert wäre eine Biografie, die die Sorgfalt und das umfassende Wissen Michael Schwaigers mit der Lebendigkeit Leo Lanias verbindet.
"Das Konzept einer politischen und populären Gebrauchsästhetik, die ganz bewusst Unterhaltung mit Aufklärung verbinden und durch den Appell an die Vernunft wie durch die Affizierung des Gefühls wirken wollte, stieß bei der deutschsprachigen Literaturkritik der Nachkriegszeit (…) auf wenig Verständnis. Lanias dezidierter Pro-Amerikanismus und strikter Antikommunismus, den er seit dem amerikanischen Exil demonstrativ zur Schau stellte, war bei vielen westlichen Intellektuellen (…) äußerst unpopulär."
Vielleicht ist es an der Zeit, die vielschichtige und schillernde Persönlichkeit Leo Lanias wieder bekannter und sein Werk einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Wünschenswert wäre eine Biografie, die die Sorgfalt und das umfassende Wissen Michael Schwaigers mit der Lebendigkeit Leo Lanias verbindet.
Michael Schwaiger: "Hinter der Fassade der Wirklichkeit. Leben und Werk von Leo Lania" Mandelbaum Verlag Wien, 461 Seiten, kartoniert, 24,90 Euro.