"Ich habe mir überlegt, was mache ich nach meinem letzten Roman, der eher getragen war vom Ton und eine Art Märchen dargestellt hat. Ich wollte etwas Trashigeres machen, und da habe ich überlegt, wo könnte ich es ansiedeln - Trash, Blut, Fleisch - irgendwie war es dann nicht mehr weit zu den Metzgern. Und so fand ich die Metzger ganz passend als Metapher und überhaupt als Thema für die heutige Zeit, wo es auch um Ernährung und eine bewusstere Wahrnehmung der Umwelt geht, schien mir der Beruf des Metzgers wirklich gut zu passen zu dem Buch."
Der in Wien lebende Autor Michael Stavarič hat mit jedem seiner Romane sein Lesepublikum überrascht und verblüfft. Jeder neue Roman bedeutet für ihn ein Experiment, einen neuen Ton, eine neue Sprache zu finden. Im "Königreich der Schatten" geht es um zwei junge Menschen, die vom Schlachterhandwerk fasziniert sind. Rosi Schmieg wächst in Wien auf, wo sie zusammen mit ihrer Mutter schon immer angezogen war von der Fleischerei Schlingel, und macht schließlich in Leipzig eine eigene Metzgerei auf. Danny Loket ist in New York geboren, sein Großvater war Metzger in der Tschechoslowakei und emigrierte dann in die USA. Auch Rosi hatte einen Großvater, der Metzger war und im Zweiten Weltkrieg getötet wurde, just von Dannys Großvater, der im Dienste der US-Armee in Europa gegen die Nazis kämpfte.
Feuerwerk des schwarzen Humors
An sich schon eine aberwitzige Konstruktion, wie diese beiden Geschichten parallel geführt werden. Rosi lebt eher realistisch, aber mit viel Komik versehen, in die Welt hinein; Danny erlebt New York als eine apokalyptische Landschaft, aus der sogar die Vögel verschwinden, und weil er sich von einem Löwen verfolgt fühlt, verlässt er die USA und macht sich auf den Weg nach Europa, um auf den Spuren seines Großvaters die Welt kennenzulernen. Michael Stavarič schießt ein Feuerwerk des schwarzen Humors ab, wie er diese beiden sehr unterschiedlichen Lebensstränge jeweils aus der Icherzähler-Haltung beschreibt:
"Ich hab mich entschlossen, dass es da grundsätzlich zwei unterschiedliche Töne für mich geben muss, sonst vermischen sich die beiden zu sehr, und ich merk‘ selber beim Schreiben gar nicht mehr, ob das jetzt die Geschichte von Danny ist oder die von Rosi. Deswegen auch von der Atmosphäre her, wenn man so will, zwei unterschiedliche Sets. Als ich von Anfang an geplant hatte, das Buch illustriert erscheinen zu lassen, habe ich filmische Vorlagen gehabt, und da waren für mich einerseits Quentin Tarantino mit seiner realen und doch so komisch blutigen Auseinandersetzung, wo sehr schnell eine Persiflage entsteht. Das stand so im Raum, wenn ich mit Bildern und visuellen Elementen arbeite - das würde ich eher bei der Geschichte von Rosi verorten, und bei Danny ist es mehr David Lynch, wo ich selber, wenn ich Filme von ihm betrachte, mich auf dieses tendenziell Apokalyptische einlasse. Er arbeitet ja auch so, dass man nicht unbedingt mit dem Hammer alles geliefert bekommt und alles groß im Raum steht und zu Ende erzählt und erklärt wird, sondern es geht um eine bestimmte Form von seltsamer Stimmung, die vielleicht eher mit dem Wort kafkaesk zu beschreiben wäre."
Ohne moralischen Zeigefinger
Schlachten in einer Metzgerei ist in diesem Roman kein Ritual oder gar ein Festakt, es ist solide Arbeit. Aber dann kommt die historische Dimension des Zweiten Weltkriegs hinzu, in dem das Abschlachten zum Handwerk der Soldaten gehörte und beide Großväter, der von Rosi und der von Danny, daran beteiligt waren, ohne dass der Autor je den moralischen Zeigefinger erheben würde:
"Ich habe ganz bewusst auf Moral verzichtet, weil ich mir selber da nie so sicher war, wie man die richtigen Töne trifft. Die Geschichte über den Weltkrieg und die Geschichte über die beiden Großväter hatte ich anfangs größer konzipiert. Ich hab viel mehr zum Weltkrieg schon gehabt und gemacht, hab mich dann aber eher wieder dazu entschlossen, das Ganze mehr als Hintergrundtapete im Roman laufen zu lassen und die Deutungshoheit sowieso dem Leser zu überlassen, inwiefern man jetzt Schlachthöfe und eine skurrile Fleischmesse mit Krieg und mit dem Abschlachten von Menschen, inwiefern man da Zusammenhänge sehen will und auch setzen darf, das bleibt einem jeden selbst überlassen. Auf jeden Fall sind sowohl Kriege als auch Schlachthöfe sehr blutige Orte und das Zerteilen von Körpern findet auf beiden Plätzen statt."
Die Mischung aus Ernst und Komik, Tragik und Komödie, Lustigkeit und schwarzem Humor, die unbändige Freude an skurrilen und absurden Situationen tragen diesen Roman. Der Autor scheut keinerlei political uncorrectness, er spielt mit dem Material und hat gleichzeitig sehr aufwendige Recherchen über das Fleischhauer-Handwerk betrieben, um auch in kleinsten Details genau zu sein. Dann aber wieder seiner Fantasie freien Lauf zu lassen: Rosi wird auf der Fleischermesse in Leipzig endgültig von ihrem Berufswunsch als Metzgerin erfasst. Diese Messe wird so komisch beschrieben, dass man anfangs denkt, es sei eine Persiflage auf die Buchmesse - vielleicht ist es auch ein wenig so - bis hin, dass es dort zwar kein blaues Sofa, aber ein rotes Sofa gibt. Die Metzger streiten sich lustvoll über Fragen, ob Kunstfleisch ein Zeichen der neuen Zeit sei. Es gibt ausführliche Vortragsreihen, wo man sich als Leser oder Leserin immer fragen muss, spinnt der Autor uns jetzt etwas vor, gibt es das alles wirklich. Mit dieser Unsicherheit spielt Stavarič ohne Ende. So wird auf der Leipziger Messe auch eine Antirutschgummimatte als große Innovation vorgestellt:
"Ich erfuhr schon bald, dass diese "Antirutschgummimatte" bei der Handschlachtung eine große Rolle spiele, wo sie doch einen sicheren Stand für den Schlachter sowie einen angenehmeren Tritt für das Schlachtvieh garantierte. Der Spezialbelag war in Schwarz gehalten (es gab die Matte aber in allen nur denkbaren Farben), er enthielt zudem fluoreszierende Substanzen, die selbst in völliger Dunkelheit für eine passable Sicht sorgten."
Zeichnungen lesen sich wie eine eigene Bildergeschichte
Rosi ist so begeistert von dieser Novität, dass sie für ihre neue Leipziger Schlachterei selbstverständlich diese Wunder-Matte anschafft. Auf dieser Matte ereignet sich auch das Endspiel zwischen Rosi und Danny, denn Danny entdeckt auf seiner Europareise auf den Spuren seines Großvaters den frisch eröffneten Laden, lässt ihn sich von Rosi zeigen - fotografiert heftig - auch die Schlachträume mit der besagten Matte. Und auf dieser Matte kommt es zum Finale, das hier nicht verraten werden soll; nur so viel, ein Liebesfinale ist es nicht.
Noch etwas Weiteres in diesem Roman ist wichtig, die Zeichnungen von Mari Otberg, die so zahlreich sind, dass sie sich wie eine eigene Bildergeschichte lesen lassen, allerdings nicht als Comic oder Graphic Novel. Text und Bebilderung sind szenische Ergänzungen. Stavarič, der regelmäßig Kinderbücher schreibt, wollte nun zum ersten Mal auch einen Erwachsenen-Roman mit visuellen Mitteln anreichern, und er hat in Mari Otberg eine kongeniale Partnerin gefunden:
"Es ist so, dass diese Bilder zwar auf den ersten Blick grotesk wirken, aber auf den zweiten, dritten Blick - ja, wie soll ich das nennen, das passende wienerische Wort wär ‚grauslich‘, sie bekommen so einen seltsamen Abgrund für mich, wo man dann auch sieht, das ist nicht nur eine komische Szenerie und irgendwie eine Form von Ironie, die jetzt eher in das Leichtere, sondern es ist schon eine große Schwermütigkeit in den Bildern. Und ebenso glaube ich, dass auch in den ganzen Szenen, auf textlicher Ebene, dass da auch sehr viel Schwermut und Ernsthaftigkeit drin ist, die man sich allerdings als Leser/Leserin erarbeiten muss."
"Langeweile ist bei mir tödlich"
Auch wenn der Autor betont, sein Roman habe Tiefgang, das solle man nicht unterschätzen, so ist doch das Leichte, Freche, Kecke, Unkonventionelle seiner Geschichte das, was den Leser fasziniert; dass er nie weiß woran er ist, spintisiert der Autor gerade, oder ist es verdammt ernst. Darin besteht auch das literarische Programm des Michael Stavarič:
"Es wäre ganz bequem, ich hätte irgendeinen Ton meiner Romane nahtlos in eine meiner nächsten Geschichten übernehmen können. Ich will gar nicht sagen, dass das schlecht ist, das ist nicht wertend gemeint. Ich hab auch versucht einen Roman X nach einem Roman Y genau in dem gleichen Tonfall zu schreiben, aber ich hatte das Gefühl, das ist alles der Roman, den ich schon geschrieben habe. Das ist für mich langweilig, daran zu arbeiten und Langeweile ist bei mir ganz tödlich, da verliere ich die Lust zu arbeiten. So suche ich für mich immer wieder neue Herausforderungen. Wäre ich ein Musiker. würde ich auch nicht einen ganz bestimmten Style pflegen, den ich dann bei jedem Album aufnehme, sondern mich würde interessieren, was kann ich noch für Instrumente einsetzen und wie kann man mit Tempi arbeiten und was kann man überhaupt für einen neuen Sound entwickeln. Insofern ist das Experimentieren wahrscheinlich auch in meiner dichterischen Biografie angelegt. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich immer nur Gedichte geschrieben und hab relativ spät begonnen mit narrativer Prosa. Ich versuche nach wie vor, diesen Zauber oder dieses Experimentelle, was man in der Lyrik ausleben kann, doch auch in irgendeiner Art und Weise in das Narrative hinüber zu transportieren und daraus meine Mischung zu finden, die immer wieder aus anderen Elementen besteht. Insofern ist das vielleicht das Kontinuierliche, das ich anbiete, dass ich jedes Mal vorhabe, meine Leser/Leserinnen zu überraschen."
Michael Stavarič: Königreich der Schatten. Roman. Mit Illustrationen von Mari Otberg. C.H.Beck Verlag, 256 Seiten, 19,95 Euro