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Michael Stolleis
"Margarethe und der Mönch"

Michael Stolleis hat die gesamte Geschichte des öffentlichen Rechts im deutschen Sprachraum in vier Bänden veröffentlicht. Jetzt hat der renommierte und vielfach ausgezeichnete Jurist und Historiker ein Buch vorgelegt, in dem es auch unterhaltsam zugeht - Margarethe und der Mönch - Rechtsgeschichte in Geschichten.

Von Annette Wilmes |
    Margarethe war die älteste Tochter einer wohlhabenden Bürgersfrau, die mit ihrem ersten Mann acht Kinder hatte. Als der Mann starb, heiratete sie noch einmal und bekam fünf weitere Kinder. Bei der Geburt des 13. Kindes starb die Frau. Margarethe war jetzt 18 Jahre alt und führte den Haushalt ihres Stiefvaters. Dann trat ein Mönch in das Leben der Familie.
    Die lebte in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in dem früheren Reval, dem heutigen Talinn, bis die Pest alle 12 Geschwister von Margarethe innerhalb weniger Tage dahinraffte. Der Stiefvater war dem Mönch hörig. Er verkaufte zwei Häuser, die eigentlich Margarethe gehörten. Um diese Häuser ging es in diversen Prozessen, die sich 30 Jahre hinzogen.
    Eine ziemlich schreckliche Geschichte, die Michael Stolleis da in alten Schriften und Archiven gefunden und zusammengeschrieben hat. Die Häuser, sagt Stolleis, stehen heute noch, er hat sich den Schauplatz seiner Geschichte angesehen:
    "Man kann sich das wirklich gut vorstellen, wie so ein Prozess ein Skandal in der Stadt und ein Skandal in der Kirche war. Der Priester wurde dann in Klosterhaft genommen und war ein Prophet und hat den Untergang der Welt prophezeit. Aber er hat auch prophezeit, dass 1516 ein gewisser Mensch kommen wird, der der Kirche einen Schlag versetzen wird. Und das hat Luther gehört und hat sich sehr dafür interessiert und so ist dieser Mönch dann gewissermaßen in die Ahnengalerie der Reformation geraten."
    Stolleis schreibt mit Liebe zum Detail
    Michael Stolleis zeichnet nicht nur die Ereignisse um Margarethes Prozess akribisch nach, er liefert auch gleich noch die Geschichte der Stadt Reval mit und beschreibt das Leben dort im späten Mittelalter anhand vieler Einzelheiten. Auch die anderen Geschichten hat Stolleis mit Liebe zum Detail geschrieben.
    Im Kapitel "Die Prinzessin als Braut" erzählt er, wie mit den Hochzeiten Politik betrieben wurde, wie die Herrscher durch die Verheiratung ihrer Nachkommen zu mehr Macht gelangten, ohne einen Krieg riskieren zu müssen.
    "Nach den Vorverhandlungen begann man mit dem Austausch von Portraits, die Braut bestimmte ihre künftigen Hofdamen, dem Land der Braut wurde eine "Fräuleinsteuer" zur Finanzierung der Ausstattung auferlegt. Waren dann die zahlreichen Wagen mit dem Brautschatz gepackt, fuhr man unter militärischer Begleitung an die Landesgrenze. Dort wartete der Stellvertreter des Bräutigams, der sich nach diplomatischen Regeln auszuweisen hatte, die Braut in Empfang nahm und sie dann seinerseits auf dem eigenen Territorium in die Hauptstadt geleitete, wo Hochamt und Trauung, Hochzeitsessen, Spiele, Wasserfahrten, Jagden, Feuerwerk und Volksbelustigungen stattfanden, roter und weißer Wein aus den Brunnen floss, Ochsen gebraten wurden und die Armen reichlich Almosen erhielten."
    Die Hochzeiten waren zwar prunkvoll, aber vor allem für die Prinzessinnen alles andere als märchenhaft schön. Michael Stolleis:
    "Diese Ehen waren auch keine Liebesheiraten, das war damals ganz undenkbar. Und das hat mich interessiert, weil ich denke, die historische Forschung hat sich sehr viel um Bürgersfrauen, Mägde und Arbeiterfrauen und so weiter gekümmert, aber die Prinzessinnen sind fast, weil es eben nicht mehr in der Mode ist, in einem toten Winkel geblieben."
    Sehr vielfältige Geschichten
    Die 20 Geschichten, die Michael Stolleis in dem hübsch aufgemachten, in Leinen gebundenen Buch versammelt hat, sind sehr vielfältig. Sie handeln von einem Krieg mit einem Toten, von Löwen und Füchsen und des Kaisers neuen Kleidern, es sind ernste und lustige Geschichten, kurze und lange.
    "Schneidermeister Goethe u. a. gegen Syndicus Dr. Textor" - unter dieser Überschrift erzählt Stolleis den Fall des Professors Textor, der als alter Mann in zweiter Ehe eine achtzehnjährige Frau heiratet. Die junge Frau kauft reichlich ein und macht viele Schulden. Als Textor dies merkt, lässt er sich scheiden und weigert sich zu zahlen. So kam es zum Prozess. Der versandete allerdings nach ein paar Jahren vor dem Reichskammergericht, weil Textor 1701 starb. Schneidermeister Goethe und die anderen Lieferanten sind wohl nicht mehr zu ihrem Geld gekommen. Der Schneider, erfährt man, war der Großvater des Dichters Goethe. Aber nicht deswegen ist Michael Stolleis diese Geschichte besonders ans Herz gewachsen:
    "Es ist insofern geradezu Operetten oder Opera-Buffa-Stoff. Dieser Stoff ist dann von Donizetti in Don Pasquale noch mal über ein Jahrhundert später verwendet worden. Also es ist ein sehr komisches und sehr altes Motiv. Auch in der Malerei x-mal abgebildet, alter Mann, junge Frau und die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind."
    Michael Stolleis ist ein Literatur-Liebhaber, vor allem Jean Paul hat es ihm angetan. So empfiehlt er, dessen Roman von 1795 noch einmal zu lesen, die Geschichte des Armenadvokaten Firmian Stanislaus Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel.Aber auch Don Quijote von Cervantes kommt in der Geschichtensammlung vor, der zweite Teil mit der Wunderinsel Barataria, wo Sancho Pansa regiert und Polizeiordnungen erlässt.
    Auf frühe Neuzeit und Gegenwart spezialisiert
    Der Rechtshistoriker Michael Stolleis ist auf die frühe Neuzeit und die Gegenwart spezialisiert. Neben den anekdotenhaften Geschichten widmet er sich in dem Buch auch grundsätzlichen Rechtsproblemen. So schreibt er im letzten Kapitel "Vom Verschwinden verbrauchten Rechts" und ist damit in der Gegenwart angekommen.
    "Die Gesetzbücher werden immer dicker und die Gesetzblätter. Und jeder Herrscher und jeder Ministerpräsident verspricht neue Gesetze. Und wenn was passiert, ruft man sofort nach neuen Gesetzen. Aber wohin kommen eigentlich die alten? Wie ist es, wenn man sich mal der Frage widmet, wer zieht den Stöpsel aus der Badewanne, damit das alte Recht mal wieder ablaufen kann, so dass die Gesamtmasse des Rechts nur etwa gleich bleibt, damit man sie überhaupt hantieren kann."
    Margarethe und der Mönch - ein Buch mit Geschichten aus der Vergangenheit, vom späten Mittelalter bis heute, von denen einige erstaunlich aktuell sind. Umfangreiche Anmerkungen machen das Buch auch für den juristisch und historisch gebildeten Leser zu einer unerschöpflichen Quelle rechtshistorischen Wissens.
    Michael Stolleis: "Margarethe und der Mönch. Rechtsgeschichte in Geschichten." C.H. Beck Verlag, 352 Seiten, 24,95 Euro