Unter den politischen Publizisten, die sich mit den Formen staatlicher Gewalt beschäftigen, nimmt Michael Walzer den Platz zwischen allen Stühlen ein. In seinen Büchern versucht der US-amerikanische Politik-Professor jüdischer Herkunft, klassische Moraltheorie und moderne Gesellschaftskritik zu verbinden. Er ist ein engagierter Intellektueller, mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung aufgewachsen und vom Auftreten Martin Luther Kings schwer beeindruckt. Seine zeitgeschichtlichen Diagnosen sind scharfsinnige Plädoyers, die in dezidierte Parteinahmen münden. Als Herausgeber der Zeitschrift 'Dissent' widmet er sich der konkreten Sozialkritik. Mit stilistischem Pathos will das 'enfant terrible' der amerikanischen Politikwissenschaften den Leser überzeugen.
In diesen Tagen kann man die Zeitung nur noch mit zitternden Händen aufschlagen. Die riesige Zahl hingemetzelter Menschen, den Männern, Frauen und Kindern, die an Krankheiten sterben und an bewusst verursachten oder leicht zu verhindernden Hungersnöten, den Strömen verzweifelter Flüchtlinge: Ihnen allen ist nicht mit dem Herunterbeten hehrer Grundsätze gedient. Sicher, die Regel heißt, sich nicht in anderer Leute Länder einzumischen, die Regel ist Selbstbestimmung. Doch nicht für diese Menschen, die Opfer von Despotie, ideologischem Fanatismus, ethnischem Hass sind, die über gar nichts bestimmen und die dringend Hilfe von außen brauchen. Es reicht nicht aus, darauf zu warten, bis die Despoten, Fanatiker und Heuchler ihr schmutziges Werk getan haben, um dann eiligst mit Nahrungsmitteln und Medikamenten den verelendeten Überlebenden beizustehen. Wann immer das schmutzige Werk beendet werden kann, hat es zu geschehen. Und wenn nicht durch uns, die angeblich anständigen Menschen auf dieser Welt, durch wen dann?
Die jüngste Sammlung von Essays geht aktuellen politischen Fragestellungen in moralphilosophischer Absicht nach. Der Titel "Erklärte Kriege – Kriegserklärungen" spielt mit dem Doppelsinn des Wortes. Krieg ist ein Ausnahmezustand, der aller Erklärung bedürftig ist. Walzers Verfahren besticht durch die Kunst der Unterscheidung. Beim Einkreisen des Problemfeldes gehen philologische Akribie und hermeneutische Behutsamkeit Hand in Hand. Seine Prüfung der Entwicklungen in Somalia, am Golf, im Kosovo und im israelisch-palästinensischen Konflikt ist skrupulös. Hier liefert der Autor einen eleganten Lösungsvorschlag. Er optiert für eine symmetrische Anerkennung aus unterschiedlichen Gründen.
Die Juden brauchen die Anerkennung aufgrund ihrer Verwundbarkeit, die Palästinenser aufgrund ihrer Demütigung.
Die Theorie des gerechten Krieges steht im Zentrum der Aufsätze. Zunächst bezeichnet diese Lehre ein spätscholastisches Traditionsstück aus dem Hochmittelalter, das kriegerisches Handeln strengen Regularien unterwirft. So ist die moralische Realität des Krieges rationaler Erörterung zugänglich. Im verminten Gelände des Kampfes auf Leben und Tod hat sich die rhetorische Kompetenz der moralischen Argumente bereits bewährt. Anhand der Untersuchung historischer Schlachten konnte Walzers provokante Lust an paradoxen Beweisführungen die entscheidenden Beiträge liefern. Die Ethik der Kriegsführung, die ein engmaschiges Netz moralischer Vorschriften beschreibt, um Kampfhandlungen restriktiv zu normieren, gehört zum festen Bestandteil der öffentlichen Debatte.
Die Moraltheorie ist als wirkliche Schranke für das Wann und Wie eines Krieges in die Kriegführung aufgenommen worden.
Die politische Rechte hat Lehrstücke der Theorie vom gerechten Krieg für ihre Interessen eingespannt. Deshalb wittert die Linke in solchen Bezugnahmen Heuchelei, die expansive Bestrebungen und imperialistische Gelüste kaschiert. Diesem Abwehrreflex, der zu einer missmutigen "Doktrin des radikalen Argwohns" führt, liest Walzer die Leviten.
Es ist der Radikalismus von Leuten, die nicht erwarten, jemals Macht auszuüben oder Gewalt einzusetzen, und deshalb nicht darauf vorbereitet sind, die Urteile zu fällen, die ein solcher Einsatz und eine solche Ausübung verlangen. Im Gegensatz dazu ist die Lehre vom gerechten Krieg, selbst wenn sie die schonungslose Kritik einzelner Kriegshandlungen erfordert, die Lehre von Leuten, die erwarten, Macht auszuüben und Gewalt einzusetzen. Wir können sie als eine Lehre der radikalen Verantwortung verstehen.
Für Walzer ist der Attentismus einer Linken, die Befreiungsperspektiven an die Erhebung der Unterdrückten koppelt, dogmatisch und pazifistisch, ohnmächtig und resignativ. Er sei den Dringlichkeiten einer globalisierten Welt nicht gewachsen. Statt dessen versieht Walzer den hergebrachten antiimperialistischen Internationalismus mit der Bedeutung einer neuen Unmittelbarkeit. Die Übernahme radikaler Verantwortung hätte hier und jetzt zu erfolgen. Der zentrale Aufsatz stellt die "Politik der Rettung" vor.
Angesichts des menschlichen Elends gewinnt der Internationalismus jedoch eine dringlichere Bedeutung. Es darf nicht mehr gewartet werden: Jeder, der die Initiative zu ergreifen fähig ist, sollte das tun. Aktiver Widerstand gegen Massaker und massive Vertreibungen ist ein moralisches Muss; die daraus resultierenden Risiken muss man nun mal schlucken.
Die Politik der Rettung soll Akten moderner Barbarei ein Ende setzen. Aus den Quellen einer altbackenen Moraltheorie und einer modernen Gesellschaftskritik fertigt Walzer die politische Kunstfigur der humanitären Intervention. Die wirksame Initiative ist ihm wichtiger als die mehrseitige Autorisierung. Der gezielte Tabubruch fährt Sirenenton. Der Feuerwehrattitüde werden Legitimationsdefizite irrelevant. Das ist Walzers Veto gegen die Kultur des endlosen Gesprächs und die Politik der diplomatischen Manöver. Das moralische Muss ist gleichsam das Rückgrat seines spontanen Aufstands gegen das Zögern in der Theorie und das Zaudern in der Praxis. Humanitäre Interventionen erscheinen als politische Samaritergesten. Sie verwirklichen die Lehre von der radikalen Verantwortung.
Humanitäre Interventionen sind nicht um der Demokratie, der freien Marktwirtschaft, der ökonomischen Gerechtigkeit, freiwilliger Vereinigungen oder irgend welcher anderer gesellschaftlicher Praktiken oder Einrichtungen willen erlaubt, die wir für die Länder anderer Leute erhoffen oder sogar fordern können. Ihr Ziel ist seinem Charakter nach durch und durch negativ: Es soll ein Tun beendet werden, das, um den alten, aber zutreffenden Ausdruck zu verwenden, das 'Gewissen der Menschheit schockiert'.
Was das Gewissen der Menschheit schockiert, sei nach den Regeln der Moral und den Gesetzen der Gesellschaft untragbar. Walzers Basta! gibt sich brüsk. Deshalb zeigt die Politik der Rettung nach dem 11. September 2001 zivilreligiöse Züge. Angesichts brutaler Dringlichkeiten nimmt der Autor rechtsfreie Räume in Kauf. In Reaktion auf das, was er mit zitternden Händen liest, schreibt Walzer einen flammenden Aufruf. Er wird gleichsam mit fester Stimme intoniert, machtbewusst und angriffslustig. Er ist an das politische Personal der 'alteuropäischen Bedenkenträger’ adressiert. Walzers Credo will es aus dem dogmatischen Schlummer eines allzu laxen Liberalismus aufrütteln.
Säkulare und religiöse Intellektuelle, Gelehrte, Prediger und Publizisten müssten, nicht notwendig organisiert, aber doch durch ein gemeinsames Kredo verbunden, die Kultur der Entschuldigung und Apologie demaskieren, die religiösen und nationalistischen Quellen des Terrors aufdecken, das Beste in der islamischen Zivilisation gegen das Schlechteste mobilisieren und die Trennung von Religion und Politik in allen Zivilisationen verteidigen.
'Erklärte Kriege - Kriegserklärungen’ von Michael Walzer, erschienen in der Europäischen Verlagsanstalt. Es hat 150 Seiten und kostet 14.80 Euro.
In diesen Tagen kann man die Zeitung nur noch mit zitternden Händen aufschlagen. Die riesige Zahl hingemetzelter Menschen, den Männern, Frauen und Kindern, die an Krankheiten sterben und an bewusst verursachten oder leicht zu verhindernden Hungersnöten, den Strömen verzweifelter Flüchtlinge: Ihnen allen ist nicht mit dem Herunterbeten hehrer Grundsätze gedient. Sicher, die Regel heißt, sich nicht in anderer Leute Länder einzumischen, die Regel ist Selbstbestimmung. Doch nicht für diese Menschen, die Opfer von Despotie, ideologischem Fanatismus, ethnischem Hass sind, die über gar nichts bestimmen und die dringend Hilfe von außen brauchen. Es reicht nicht aus, darauf zu warten, bis die Despoten, Fanatiker und Heuchler ihr schmutziges Werk getan haben, um dann eiligst mit Nahrungsmitteln und Medikamenten den verelendeten Überlebenden beizustehen. Wann immer das schmutzige Werk beendet werden kann, hat es zu geschehen. Und wenn nicht durch uns, die angeblich anständigen Menschen auf dieser Welt, durch wen dann?
Die jüngste Sammlung von Essays geht aktuellen politischen Fragestellungen in moralphilosophischer Absicht nach. Der Titel "Erklärte Kriege – Kriegserklärungen" spielt mit dem Doppelsinn des Wortes. Krieg ist ein Ausnahmezustand, der aller Erklärung bedürftig ist. Walzers Verfahren besticht durch die Kunst der Unterscheidung. Beim Einkreisen des Problemfeldes gehen philologische Akribie und hermeneutische Behutsamkeit Hand in Hand. Seine Prüfung der Entwicklungen in Somalia, am Golf, im Kosovo und im israelisch-palästinensischen Konflikt ist skrupulös. Hier liefert der Autor einen eleganten Lösungsvorschlag. Er optiert für eine symmetrische Anerkennung aus unterschiedlichen Gründen.
Die Juden brauchen die Anerkennung aufgrund ihrer Verwundbarkeit, die Palästinenser aufgrund ihrer Demütigung.
Die Theorie des gerechten Krieges steht im Zentrum der Aufsätze. Zunächst bezeichnet diese Lehre ein spätscholastisches Traditionsstück aus dem Hochmittelalter, das kriegerisches Handeln strengen Regularien unterwirft. So ist die moralische Realität des Krieges rationaler Erörterung zugänglich. Im verminten Gelände des Kampfes auf Leben und Tod hat sich die rhetorische Kompetenz der moralischen Argumente bereits bewährt. Anhand der Untersuchung historischer Schlachten konnte Walzers provokante Lust an paradoxen Beweisführungen die entscheidenden Beiträge liefern. Die Ethik der Kriegsführung, die ein engmaschiges Netz moralischer Vorschriften beschreibt, um Kampfhandlungen restriktiv zu normieren, gehört zum festen Bestandteil der öffentlichen Debatte.
Die Moraltheorie ist als wirkliche Schranke für das Wann und Wie eines Krieges in die Kriegführung aufgenommen worden.
Die politische Rechte hat Lehrstücke der Theorie vom gerechten Krieg für ihre Interessen eingespannt. Deshalb wittert die Linke in solchen Bezugnahmen Heuchelei, die expansive Bestrebungen und imperialistische Gelüste kaschiert. Diesem Abwehrreflex, der zu einer missmutigen "Doktrin des radikalen Argwohns" führt, liest Walzer die Leviten.
Es ist der Radikalismus von Leuten, die nicht erwarten, jemals Macht auszuüben oder Gewalt einzusetzen, und deshalb nicht darauf vorbereitet sind, die Urteile zu fällen, die ein solcher Einsatz und eine solche Ausübung verlangen. Im Gegensatz dazu ist die Lehre vom gerechten Krieg, selbst wenn sie die schonungslose Kritik einzelner Kriegshandlungen erfordert, die Lehre von Leuten, die erwarten, Macht auszuüben und Gewalt einzusetzen. Wir können sie als eine Lehre der radikalen Verantwortung verstehen.
Für Walzer ist der Attentismus einer Linken, die Befreiungsperspektiven an die Erhebung der Unterdrückten koppelt, dogmatisch und pazifistisch, ohnmächtig und resignativ. Er sei den Dringlichkeiten einer globalisierten Welt nicht gewachsen. Statt dessen versieht Walzer den hergebrachten antiimperialistischen Internationalismus mit der Bedeutung einer neuen Unmittelbarkeit. Die Übernahme radikaler Verantwortung hätte hier und jetzt zu erfolgen. Der zentrale Aufsatz stellt die "Politik der Rettung" vor.
Angesichts des menschlichen Elends gewinnt der Internationalismus jedoch eine dringlichere Bedeutung. Es darf nicht mehr gewartet werden: Jeder, der die Initiative zu ergreifen fähig ist, sollte das tun. Aktiver Widerstand gegen Massaker und massive Vertreibungen ist ein moralisches Muss; die daraus resultierenden Risiken muss man nun mal schlucken.
Die Politik der Rettung soll Akten moderner Barbarei ein Ende setzen. Aus den Quellen einer altbackenen Moraltheorie und einer modernen Gesellschaftskritik fertigt Walzer die politische Kunstfigur der humanitären Intervention. Die wirksame Initiative ist ihm wichtiger als die mehrseitige Autorisierung. Der gezielte Tabubruch fährt Sirenenton. Der Feuerwehrattitüde werden Legitimationsdefizite irrelevant. Das ist Walzers Veto gegen die Kultur des endlosen Gesprächs und die Politik der diplomatischen Manöver. Das moralische Muss ist gleichsam das Rückgrat seines spontanen Aufstands gegen das Zögern in der Theorie und das Zaudern in der Praxis. Humanitäre Interventionen erscheinen als politische Samaritergesten. Sie verwirklichen die Lehre von der radikalen Verantwortung.
Humanitäre Interventionen sind nicht um der Demokratie, der freien Marktwirtschaft, der ökonomischen Gerechtigkeit, freiwilliger Vereinigungen oder irgend welcher anderer gesellschaftlicher Praktiken oder Einrichtungen willen erlaubt, die wir für die Länder anderer Leute erhoffen oder sogar fordern können. Ihr Ziel ist seinem Charakter nach durch und durch negativ: Es soll ein Tun beendet werden, das, um den alten, aber zutreffenden Ausdruck zu verwenden, das 'Gewissen der Menschheit schockiert'.
Was das Gewissen der Menschheit schockiert, sei nach den Regeln der Moral und den Gesetzen der Gesellschaft untragbar. Walzers Basta! gibt sich brüsk. Deshalb zeigt die Politik der Rettung nach dem 11. September 2001 zivilreligiöse Züge. Angesichts brutaler Dringlichkeiten nimmt der Autor rechtsfreie Räume in Kauf. In Reaktion auf das, was er mit zitternden Händen liest, schreibt Walzer einen flammenden Aufruf. Er wird gleichsam mit fester Stimme intoniert, machtbewusst und angriffslustig. Er ist an das politische Personal der 'alteuropäischen Bedenkenträger’ adressiert. Walzers Credo will es aus dem dogmatischen Schlummer eines allzu laxen Liberalismus aufrütteln.
Säkulare und religiöse Intellektuelle, Gelehrte, Prediger und Publizisten müssten, nicht notwendig organisiert, aber doch durch ein gemeinsames Kredo verbunden, die Kultur der Entschuldigung und Apologie demaskieren, die religiösen und nationalistischen Quellen des Terrors aufdecken, das Beste in der islamischen Zivilisation gegen das Schlechteste mobilisieren und die Trennung von Religion und Politik in allen Zivilisationen verteidigen.
'Erklärte Kriege - Kriegserklärungen’ von Michael Walzer, erschienen in der Europäischen Verlagsanstalt. Es hat 150 Seiten und kostet 14.80 Euro.