Viel hielt der Philosoph Arthur Schopenhauer vom Leben nicht, das für ihn vor allem Leid bedeutete, Enttäuschung, Krankheit und Tod. Er betrachtete es als ahistorische Zumutung, als blindes Spiel der Triebe, die auf der Bühne der Welt das immer gleiche Schauspiel in immer neuen Varianten aufführen - als ewige Wiederkehr des Gleichen, welchen Gedanken später Nietzsche aufgreifen und in sein Gegenteil verkehren wird.
Dass der französische Schriftsteller Michel Houellebecq mit Mitte zwanzig, nachdem er in einer Pariser Stadtbibliothek auf Schopenhauers Aphorismen zur Lebensweisheit gestoßen war, von der darin vermittelten pessimistischen Grundüberzeugung fasziniert wurde, verwundert kaum. In der Folge bricht sein Denkgebäude zusammen und Schopenhauer steigt zum Leitstern des Schriftstellers auf.
"Nach zweiwöchiger Suche schaffte ich es, mir ein Exemplar von 'Die Welt als Wille und Vorstellung' zu besorgen, das ich in einem Regal der Buchhandlung Presses Universitäires am Boulevard Saint-Michel ausfindig machte. Das Buch war seinerzeit nur antiquarisch erhältlich (monatelang machte ich meinem Erstaunen darüber Luft, ich muss meine Verwunderung mit Dutzenden von Menschen geteilt haben: Da waren wir in Paris, einer der bedeutendsten europäischen Hauptstädte, und das wichtigste Buch der Welt wurde nicht einmal nachgedruckt!)."
Dass der französische Schriftsteller Michel Houellebecq mit Mitte zwanzig, nachdem er in einer Pariser Stadtbibliothek auf Schopenhauers Aphorismen zur Lebensweisheit gestoßen war, von der darin vermittelten pessimistischen Grundüberzeugung fasziniert wurde, verwundert kaum. In der Folge bricht sein Denkgebäude zusammen und Schopenhauer steigt zum Leitstern des Schriftstellers auf.
"Nach zweiwöchiger Suche schaffte ich es, mir ein Exemplar von 'Die Welt als Wille und Vorstellung' zu besorgen, das ich in einem Regal der Buchhandlung Presses Universitäires am Boulevard Saint-Michel ausfindig machte. Das Buch war seinerzeit nur antiquarisch erhältlich (monatelang machte ich meinem Erstaunen darüber Luft, ich muss meine Verwunderung mit Dutzenden von Menschen geteilt haben: Da waren wir in Paris, einer der bedeutendsten europäischen Hauptstädte, und das wichtigste Buch der Welt wurde nicht einmal nachgedruckt!)."
Ein Leitfaden zur Lebensführung
Um 2007 beginnt Houellebecq damit, Passagen aus Schopenhauers Werken zu übersetzen und diese mit Kommentaren zu versehen. Etwa zwei Dutzend Abschnitte kommen zusammen. Dann aber bleibt das angefangene Buchprojekt liegen – und man darf annehmen, dass es nun, mit zehnjähriger Verspätung, als schmales Büchlein unter dem Titel "In Schopenhauers Gegenwart" erschienen ist.
"In Schopenhauers Gegenwart" besteht aus sechs kurzen Kapiteln, die sich ihrerseits zu nicht geringen Teilen von längeren Zitaten nähren, die zur Illustration der Kommentare ihres Autors herangezogen werden – oder nicht eigentlich zur Illustration, sondern eher zur komplizenhaften Begleitung. Alles zusammengenommen kann man in dem Buch eine Art Leitfaden zur Lebensführung sehen, den Michel Houellebecq - auf den Schultern Schopenhauers stehend - der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Ein Vademekum für eine unverständlich gewordene Gegenwart, das nichts, aber auch gar nichts mit jener Ratgeberliteratur zu tun hat, die heutzutage gern schnell zur Stelle ist, um ihre fadenscheinigen Dienste anzubieten.
"Oft bin ich versucht zu denken, dass auf intellektueller Ebene seit 1860 nichts mehr passiert ist. Es zerrt allmählich an den Nerven, in einer Ära der Mittelmäßigen zu leben, umso mehr, wenn man sich selbst außerstande sieht, das Niveau wieder anzuheben. Ich werde gewiss keinen einzigen neuen philosophischen Gedanken hervorbringen; in meinem Alter hätte ich sonst wohl schon entsprechende Anzeichen zeigen müssen. Aber ich bin mir fast sicher, dass ich bessere Romane hervorbringen würde, wäre das geistige Klima um mich herum nur ein wenig fruchtbarer."
"In Schopenhauers Gegenwart" besteht aus sechs kurzen Kapiteln, die sich ihrerseits zu nicht geringen Teilen von längeren Zitaten nähren, die zur Illustration der Kommentare ihres Autors herangezogen werden – oder nicht eigentlich zur Illustration, sondern eher zur komplizenhaften Begleitung. Alles zusammengenommen kann man in dem Buch eine Art Leitfaden zur Lebensführung sehen, den Michel Houellebecq - auf den Schultern Schopenhauers stehend - der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Ein Vademekum für eine unverständlich gewordene Gegenwart, das nichts, aber auch gar nichts mit jener Ratgeberliteratur zu tun hat, die heutzutage gern schnell zur Stelle ist, um ihre fadenscheinigen Dienste anzubieten.
"Oft bin ich versucht zu denken, dass auf intellektueller Ebene seit 1860 nichts mehr passiert ist. Es zerrt allmählich an den Nerven, in einer Ära der Mittelmäßigen zu leben, umso mehr, wenn man sich selbst außerstande sieht, das Niveau wieder anzuheben. Ich werde gewiss keinen einzigen neuen philosophischen Gedanken hervorbringen; in meinem Alter hätte ich sonst wohl schon entsprechende Anzeichen zeigen müssen. Aber ich bin mir fast sicher, dass ich bessere Romane hervorbringen würde, wäre das geistige Klima um mich herum nur ein wenig fruchtbarer."
Gegen Pädagogisierung und Konzeptualisierung
Was ist die Welt? Die Welt ist meine Vorstellung. Was soll ich tun? Den Dingen mit aufmerksamem Blick begegnen.
Mit Formeln dieser Art provoziert Houellebecq den rezeptgläubigen Leser – und entführt ihn dann in seine mäandernden und durchaus originellen Gedankengänge, die die aus Schopenhauers Werk herausdestillierten Passagen in die aktuelle Gegenwart übersetzen. Zum Beispiel wendet sich Houellebecq unter den schützenden Fittichen seines Meisters gegen Pädagogisierung und Konzeptualisierung, insbesondere wenn es um die Kunst geht, die anders als Kunsthochschulen suggerieren, eben nicht lehrbar sei, da diese in Wahrheit doch lediglich eine ...
"... Veranlagung zur passiven und gleichsam gefühllosen Betrachtung der Welt ..."
... voraussetze. Die bestmögliche Reform der Kunsthochschulen sieht Houellebecq darin, diese zu schließen. Denn was den Künstler führt, wenn er diesen Namen verdient, das sei nicht die Lehre, sondern ausschließlich die Intuition. Was der Schriftsteller im Übrigen auch für die Philosophie geltend macht.
"Wenn Leben wirklich leiden heißt, dann ist es offenbar am besten, einfach ruhig in seiner Ecke zu bleiben und darauf zu warten, dass das Alter und der Tod die Sache regeln."
Houellebecqs Leitfaden zum Leben entpuppt sich als das genaue Gegenteil von Paul-Coelho-haften Weisheitslehren. Sein Vademekum gleicht eher einer materialistischen, ebenso klugen wie launischen Klage über die Vorurteile von Zeit und Zeitgenossen, die von einer immer absurder werdenden Fortschrittsfrömmigkeit erfasst zu sein scheinen. Auch in den geistigen Fähigkeiten vermag der Schriftsteller keine Rettung zu erkennen – Rettung allein winkt von einem Vermögen, das den Vorzug hat, einen in die Lage zu versetzen, nicht mehr der Fron täglicher Arbeit ausgesetzt zu sein, um den Tag für den seinen erklären zu können.
Houellebecq ist ein Spielverderber, und auf dieses Handwerk versteht er sich. So auch in seiner neuesten Publikation. Und auch, wenn er diesmal in Gegenwart seines spirituellen Lehrers Arthur Schopenhauer seine Texte verfasst – am Ende kommt doch immer böse funkelnder Houellebecq heraus.
Den existentialistischen Buddhismus, dem hier gefrönt wird, bringt vielleicht am besten ein Zitat Voltaires auf den Punkt, mit welchem Schopenhauer die Einleitung zu den Aphorismen zur Lebensweisheit beschließt:
"Wir werden diese Welt so dumm und so schlecht zurücklassen, wie wir sie vorgefunden haben."
Mit Formeln dieser Art provoziert Houellebecq den rezeptgläubigen Leser – und entführt ihn dann in seine mäandernden und durchaus originellen Gedankengänge, die die aus Schopenhauers Werk herausdestillierten Passagen in die aktuelle Gegenwart übersetzen. Zum Beispiel wendet sich Houellebecq unter den schützenden Fittichen seines Meisters gegen Pädagogisierung und Konzeptualisierung, insbesondere wenn es um die Kunst geht, die anders als Kunsthochschulen suggerieren, eben nicht lehrbar sei, da diese in Wahrheit doch lediglich eine ...
"... Veranlagung zur passiven und gleichsam gefühllosen Betrachtung der Welt ..."
... voraussetze. Die bestmögliche Reform der Kunsthochschulen sieht Houellebecq darin, diese zu schließen. Denn was den Künstler führt, wenn er diesen Namen verdient, das sei nicht die Lehre, sondern ausschließlich die Intuition. Was der Schriftsteller im Übrigen auch für die Philosophie geltend macht.
"Wenn Leben wirklich leiden heißt, dann ist es offenbar am besten, einfach ruhig in seiner Ecke zu bleiben und darauf zu warten, dass das Alter und der Tod die Sache regeln."
Houellebecqs Leitfaden zum Leben entpuppt sich als das genaue Gegenteil von Paul-Coelho-haften Weisheitslehren. Sein Vademekum gleicht eher einer materialistischen, ebenso klugen wie launischen Klage über die Vorurteile von Zeit und Zeitgenossen, die von einer immer absurder werdenden Fortschrittsfrömmigkeit erfasst zu sein scheinen. Auch in den geistigen Fähigkeiten vermag der Schriftsteller keine Rettung zu erkennen – Rettung allein winkt von einem Vermögen, das den Vorzug hat, einen in die Lage zu versetzen, nicht mehr der Fron täglicher Arbeit ausgesetzt zu sein, um den Tag für den seinen erklären zu können.
Houellebecq ist ein Spielverderber, und auf dieses Handwerk versteht er sich. So auch in seiner neuesten Publikation. Und auch, wenn er diesmal in Gegenwart seines spirituellen Lehrers Arthur Schopenhauer seine Texte verfasst – am Ende kommt doch immer böse funkelnder Houellebecq heraus.
Den existentialistischen Buddhismus, dem hier gefrönt wird, bringt vielleicht am besten ein Zitat Voltaires auf den Punkt, mit welchem Schopenhauer die Einleitung zu den Aphorismen zur Lebensweisheit beschließt:
"Wir werden diese Welt so dumm und so schlecht zurücklassen, wie wir sie vorgefunden haben."
In Schopenhauers Gegenwart ist ein Buch, das sich als Auslegung der Kampfzone tarnt – in Wahrheit aber die Kampfzone ins Allgemeine und Grundsätzliche ausweitet.